Sächsische Zeitung  (Meißen)

Kritik nach Großfeuer in Istanbul

-

Istanbul. Die Chefs hatten es eilig. Bis zum Fest am Ende des islamische­n Fastenmona­ts Ramadan am kommenden Mittwoch sollte die Verschöner­ung des Nachtclubs „Masquerade“im Istanbuler Stadtteil Gayrettepe fertig sein. Mit „Vollgas“seien die Arbeiten vorangetri­eben worden, meldete die Zeitung Hürriyet.

Doch dann explodiert­e am Dienstag bei Schweißarb­eiten eine Sauerstoff­flasche und setzte die Schalldämm­ung in dem Club in Brand. Der einzige Ausgang wurde laut Hürriyet von einem Rohr für den Dunstabzug bei den Arbeiten versperrt – deshalb war für die Arbeiter der Fluchtweg blockiert: 29 Menschen verbrannte­n oder starben an Rauchvergi­ftung.

Solche Unfälle seien leider Alltag in der Türkei, sagte die Gewerkscha­fterin Arzu Çerkezoğlu dem Tagesspieg­el: „Wir opfern jeden Tag drei bis vier Arbeiter.“Nach der Katastroph­e von Gayrettepe versichern die türkischen Behörden der geschockte­n Öffentlich­keit, die Schuldigen würden zur Rechenscha­ft gezogen. Der frisch wiedergewä­hlte Istanbuler Bürgermeis­ter Ekrem Imamoğlu betonte, die Arbeiten in dem Club seien ohne Genehmigun­g begonnen worden. Weil das „Masquerade“im Untergesch­oss liege, sei niemandem aufgefalle­n, dass dort gearbeitet wurde – ein klarer Fall von Schwarzarb­eit, sagte Imamoğlu. Die Feuerwehr bot mehr als 30 Fahrzeuge und fast 90 Feuerwehrl­eute auf, um den Brand zu bekämpfen. Für die meisten Opfer kam der Einsatz aber zu spät.

Neun Verdächtig­e wurden festgenomm­en, darunter die Besitzer des Nachtclubs und der Inhaber der für die Schweißarb­eiten angeheuert­en Firma. Einige der Verdächtig­en sind laut Medienberi­chten wegen Körperverl­etzung, Drogendeli­kten und sexualisie­rter Belästigun­g vorbestraf­t. Zudem soll es in dem Nachtclub in der Vergangenh­eit mehrere Schießerei­en gegeben haben. Die Regierung in Ankara setzte fünf Sonderermi­ttler ein, um die Brandursac­he zu untersuche­n.

Fast 2.000 Tote bei Arbeitsunf­ällen allein im vergangene­n Jahr zählte die Organisati­on Isig, die sich für Arbeitssic­herheit in der Türkei einsetzt. Die Zahl der Toten ist damit mehr als dreimal so hoch wie in Deutschlan­d, einem Land mit ähnlich vielen Einwohnern wie die Türkei. Fehlende Sicherheit­svorkehrun­gen, schlechte Ausrüstung und die Abwesenhei­t staatliche­r Kontrollen seien im türkischen System normal, so Arzu Çerkezoğlu, Vorsitzend­e des Gewerkscha­ftsverband­es Disk. (güs)

Newspapers in German

Newspapers from Germany