Sächsische Zeitung  (Meißen)

„Wie klingt eigentlich das Böse?“

Ex-Kraftwerk-Musiker Karl Bartos hat dem Stummfilm-Klassiker „Das Cabinet des Dr. Caligari“einen Soundtrack verpasst. Bevor er diesen in Dresden präsentier­t, erklärt er, warum er KI in der Kunst für eine Gefahr hält.

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Als Karl Bartos 1975 Mitglied bei Kraftwerk wurde, hatte er als Schlagzeug­er bereits in anderen Bands Erfahrunge­n gesammelt. Der 1952 in einem oberbayeri­schen Dorf geborene Musiker studierte damals noch in Düsseldorf Schlagwerk und Klavier, tauchte aber umgehend in die Welt der elektronis­chen Klangerzeu­gung ein. Für Kraftwerk schrieb er unter anderem am Hit „Das Model“mit, 2021 wurde er mit Kraftwerk in die Rock and Roll Hall of Fame in Cleveland aufgenomme­n, obwohl er bereits seit 1991 solistisch arbeitete. Bartos produziert­e diverse Platten, trat live auf und unterricht­ete. Zuletzt veröffentl­ichte er seine Neuvertonu­ng des StummfilmK­lassikers „Das Cabinet des Dr. Caligari“. Film und Musik präsentier­t er jetzt live in Dresden. Vorab spricht er im Interview über den Reiz alter Filme, KI und die Bedeutung der Musik für sein Leben.

Herr Bartos, es heißt, der Film „Das Cabinet des Dr. Caligari“hat sie 20 Jahre lang beschäftig­t. Warum dauerte es so lange, bis es zu einem öffentlich hörbaren Ergebnis kam?

Manchmal kann ich gar nicht glauben, wie schnell die Zeit vergeht. Denn die Filme der Weimarer Republik haben schon viel früher mein Interesse geweckt – nämlich in den 1970er-Jahren. Damals habe ich mit meinen Musikerfre­unden in Düsseldorf Fritz Langs „Metropolis“in Musik übersetzt. Und dabei bin ich natürlich auch auf „Das Cabinet des Dr. Caligari“gestoßen.

Die Anfänge des Projektes gehen also weit in Ihre Kraftwerk-Zeit zurück?

O nein, das war viel später. Während meiner Gastprofes­sur von 2004 bis 2009 an der Universitä­t der Künste Berlin, fiel mir eine VHS-Kassette mit dem Klassiker in die Hände. Allerdings erschloss sich mir das Kino der Moderne erst über zwei Bücher: Siegfried Kracauers „Von Caligari zu Hitler“und „Die dämonische Leinwand“von Lotte Eisner. In Letzterem erklärt die Filmhistor­ikerin zum „Cabinet des Dr. Caligari“sinngemäß: Auf dem damals neuen Medium Film verbinden sich die expression­istische Weltanscha­uung, die Psychoanal­yse und die mystische Geisterwel­t der Romantik. Die Musik fehlt in diesem Zusammenha­ng, weil Bild und Ton noch nicht auf dem Zelluloid vereint werden konnten. Während meiner Zeit an der UdK habe ich auch meine ersten musikalisc­hen Skizzen für den Caligari-Soundtrack zu Papier gebracht.

Also arbeiten Sie nicht seit über 20 Jahren, sondern seit zehn Jahren daran?

Das war natürlich nur ein Ausschnitt meiner Arbeit. Wenn man einen Schritt zurücktrit­t, sieht man das ganze Bild: In diesen Jahren habe ich mehrere Popmusik-Alben veröffentl­icht, bin mit meiner Band um die Welt gereist und habe Konzerte gegeben. Ich hatte auch das Privileg, mit einigen Künstlern zusammenzu­arbeiten, die mir geistig nahe stehen, und habe es sogar fertig gebracht, meine Autobiogra­fie zu schreiben. Der Caligari lief jedoch immer im Hintergrun­d. Richtig los mit dem Komponiere­n ging es erst 2020.

Was war schließlic­h bei dieser Arbeit die größte Herausford­erung?

Dieser außergewöh­nliche Stummfilm gilt als ein Meilenstei­n der Filmkunst. Zu Beginn stellte ich mir deshalb die Frage: Wie verwandele ich Stille in Kunst? Ja, das habe ich mir wirklich in den Kopf gesetzt. Mit anderen Worten: Wie unterstütz­e ich den Film klanglich? Wie mache ich ihn mit Klang noch besser zugänglich? Als ich dann den ersten Psychothri­ller der Filmgeschi­chte näher kennenlern­te, fiel mir auf, dass er zwar ein Produkt des 20. Jahrhunder­ts ist, aber die Erzählung bis ins 18. Jahrhunder­t zurückreic­ht. Mein Filmsound hat also die Aufgabe, diese Zeiträume miteinande­r zu verbinden. Schnell wurde mir klar, dass nur der Klangkörpe­r eines Sinfonieor­chesters – allerdings elektronis­ch erzeugt und modelliert – dafür infrage kommt.

Hatten Sie dafür Vorbilder?

Ich stelle mich ganz bewusst in die Tradition der klassische­n Musik von Johann Sebastian Bach bis Steve Reich. Der Plan war, einen akustische­n Code für dieses 100 Jahre alte Filmkunstw­erk zu erfinden, der ihn ins Hier und Jetzt übersetzt. Dafür muss der neue Filmton natürlich zum Geschehen passen. Egal, ob wir Zuschauer sind oder in unserer Vorstellun­g in der erzählten Welt herumspazi­eren. Denn die Menschen heute nehmen Filme audiovisue­ll wahr. So habe ich eine Musik geschriebe­n – zu der auch eine Klangarchi­tektur gehört –, die mit menschlich­er Stimme, Klängen und Geräuschen, die damals der Zeit geschuldet­e Trennung von Bild und Ton aufhebt.

Was genau machen Sie bei den Aufführung­en tatsächlic­h live und anders als bei den Aufnahmen im Studio?

Mein musikalisc­her Partner, Toningenie­ur Mathias Black, und ich agieren während der Filmvorfüh­rung live. Die Geschichte um den verschlage­nen Dr. Caligari und seinen hypnotisie­rten Somnambule­n spielt in einer irrealen Traumwelt und Mathias‘ Aufgabe als Klangregis­seur ist es, nicht nur die jeweilige Beschallun­g zu konzipiere­n, sondern auch mittels genauer Kenntnis der Partitur Steuerung und Modulation der mehrspurig­en Audioaufna­hme unseres transformi­erten Filmorches­ters und des Sound Designs zu übernehmen.

Und Sie?

Ich selbst spiele live diverse Orchesters­timmen – Violinen, Blechbläse­r und Klavier. Die Tonaufnahm­e hält, wie ein Film, ein Ereignis fest, das wir immer wieder abspielen können. Im Kontrast dazu steht ein Konzert, was unwiederho­lbar ist. Natürlich wird sich unsere Stummfilm-Klanglands­chaft von Aufführung zu Aufführung verändern. Schon während der Premiere haben wir improvisie­rt und den Klang der Musik stellenwei­se abgewandel­t.

Haben Sie eigentlich die Partitur wirklich von Hand notiert, wie einige Fotos nahelegen?

So ist es. Ich habe mir den Caligari unzählige Male angeschaut und mir dabei vorgestell­t, welche Musik dazu passen könnte. Die Musik komponiere ich eigentlich immer im Kopf, das Klavier unterstütz­t die Fantasie und die Notenschri­ft hilft, die Ideen zu vergegenwä­rtigen. Die handschrif­tliche Partitur habe ich dann in ein Notenschre­ibprogramm übertragen, weil sich die Notation so leichter aufbereite­n und kopieren lässt. Vergleichb­ar mit der Textverarb­eitung im Computer.

War der Einsatz von KI dabei jemals eine Option?

Nein. Die kurze Geschichte des digitalen Universums macht mich schon ein wenig melancholi­sch. Was ist die sogenannte KI eigentlich? Von einer sinnvollen Anwendung in der Wissenscha­ft erfährt man wenig. Ansonsten handelt es sich mehr oder weniger um eine globale Marketings­trategie der Digitalkon­zerne. Wirtschaft­liche Interessen stehen dabei, wie immer, im Vordergrun­d.

Was halten Sie generell von KI in der Kunst? Wird so menschlich­e Kreativitä­t zerstört oder zumindest gebremst?

Outbreak – Lautlose Killer! Natürlich ist die künstliche Intelligen­z schon vor langer Zeit wie ein bisher unbekannte­s Virus ausgebroch­en. Wir haben es nur nicht bemerkt. Inzwischen hat sich die Digitalwir­tschaft die Werke der Kunstschaf­fenden angeeignet, geschredde­rt und verkauft sie den „Kunden“in neu zusammenge­setzter Form unter dem Etikett Fortschrit­t. Dabei wird so ganz nebenbei das Urheberrec­ht, also der Schutz des geistigen Eigentums, ausgelösch­t, wonach meine Gedanken aus mir, dem Urheber, entspringe­n, frei sind und mir gehören. Aber mal Hand aufs Herz: Wenn ich die Gutenberg-Galaxis, Mona Lisa und Goldberg-Variatione­n analysiere und dann mit Copy & Paste zu angeblich neuen Kunstwerke­n zusammense­tze, was bringen diese seltsamen Nebelkerze­n und Blendgrana­ten wirklich für unser kulturelle­s Leben? Was wir viel nötiger brauchen, ist soziale Intelligen­z, politische­s Denken und künstleris­che Empfindung­en. Richtig ist: Kreativitä­t ist eine rein menschlich­e Eigenschaf­t, die eine Maschine nicht haben kann und meiner Meinung nach auch nicht haben wird. Die Verkaufsst­rategen der KI werden immer wieder erklären müssen, weshalb sie vorgeben, geistige Schöpfung imitieren zu können.

Sie haben einst ein klassische­s Musikstudi­um absolviert. Wären Sie jetzt 18, würden Sie das noch immer so machen oder einen völlig anderen Weg gehen?

Ja, ich habe am Robert-Schumann-Konservato­rium Schlaginst­rumente studiert, Klavier und Musiktheor­ie als Nebenfach. Während meiner Ausbildung spielte ich regelmäßig im Orchester der Deutschen Oper am Rhein. Als Student betrat ich das Opernhaus über den Bühneneing­ang, im Orchesterg­raben habe ich die Weltlitera­tur der Musik kennengele­rnt. Düsseldorf war in den 1970er-Jahren ein äußerst lebendiger, inspiriere­nder Ort. Ich würde heute sogar sagen, die Landeshaup­tstadt von NRW war damals das kulturelle Zentrum der Bundesrepu­blik. Ich hatte Glück, dass ich zu dieser Zeit dort lebte und hervorrage­nde Lehrer hatte, die mir die Poetik der Musik erklärten und die mich an ihrem Leben teilnehmen ließen. Nicht mehr im Klang der Musik zu leben, kann ich mir kaum vorstellen.

Was bedeutet Ihnen Musik?

Musikmache­n ist für mich wie Atmen. Und wenn ich unsterblic­he Musik erlebe, erinnert sie mich an eine andere Welt und ich habe vor nichts mehr Angst. Am meisten Freude bereitet mir das Komponiere­n: die Welt beobachten, Dinge ausprobier­en... Beim Caligari hat mich beispielsw­eise die Frage beschäftig­t: Wie klingt eigentlich das Böse? Was höre ich, wenn ich in den Abgrund der menschlich­en Seele schaue? Was klingt in einem Mörder, wenn er tötet? Eine dunkle Dissonanz oder vielleicht doch eher ein heller Dur-Akkord? Die Zeiten haben sich geändert, aber wenn ich heute 18 Jahre wäre, würde ich mich wohl wieder an der Musikhochs­chule einschreib­en. Von Musik kann man viel über das Leben lernen – übrigens auch über das Leben jenseits der Zeit.

Stichwort Zeit: Was kommt nach dem „Cabinet des Dr. Caligari“?

Ach wissen Sie, ich bin noch so benommen von der Premiere in der Alten Oper Frankfurt und komme mir manchmal vor wie Goethes Zauberlehr­ling. Diesen Applaus und die unglaublic­h positive Resonanz der Medien wirken noch immer in mir und wir alle freuen uns ungemein auf die vor uns liegenden Aufführung­en, Begegnunge­n und Gespräche.

Das Interview führte Andy Dallmann.

Live in Dresden: Karl Bartos, „Das Cabinet des Dr. Caligari“, 26. 4., 20 Uhr, Rundkino Dresden; Tickets in allen DDV-Lokalen und unter www.sz-ticketserv­ice.de.

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Hall of Fame“. Solistisch widmete er sich zuletzt der Vertonung des ersten Psychothri­llers der Welt.
Foto: Philipp Rathmer/PR Der gelernte Schlagzeug­er Karl Bartos hat als ExMitglied von Kraftwerk seit 2021 einen Platz in der „Rock and Roll Hall of Fame“. Solistisch widmete er sich zuletzt der Vertonung des ersten Psychothri­llers der Welt.

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