Gewerkschaftsboss Weselsky hätte seine Freude
Die Lausitzer Philharmoniker gefielen unter einem Gast ganz stark mit Sinfonik von Boulanger, Haydn und Brahms.
Ihr Anteil schrumpft, aber es gibt sie noch, die Abonnenten philharmonischer Konzerte. Am Donnerstag in Bautzen näherten sich zwei ältere Damen dem Theater im lebhaften Plausch. Was wird eigentlich gespielt, fragte die eine. Und ergänzt, es sei eine Konsequenz des Abos: Man gehe einfach hin. Ein geradezu paradiesischer Zustand, den Kulturschaffende und Veranstalter zunehmend in der Erinnerung erleben werden.
Die beiden verschwanden im sehr gut besuchten Haus und ob ihnen das fünfte Programm der Neuen Lausitzer Philharmonie dieser Saison gefallen hat, ist zumindest sehr wahrscheinlich. Jede Menge Heiterkeit und Applaus war zu erleben beim ersten Abend unter dem Motto „Jede Reise beginnt mit einem Abschied“. Sie könnte zugleich einen Neubeginn initiiert haben, denn mit Roman Brogli-Sacher leitete ein weiterer Bewerber um das Amt des Generalmusikdirektors am Gerhart-Hauptmann-Theater, das ab der neuen Spielzeit neu zu besetzen ist. Lili Boulangers bezaubernd melancholisches Orchesterstück „D’un soir triste – Von einem traurigen Abend“wirkte als Einstieg irritierend, doch die Dramaturgie des Programms ließ wohl keine bessere Platzierung zu. Die französische Komponistin, die 1918 bereits mit 24 Jahren starb, war noch mit einem weiteren Stück zu hören: „D’un matin de printemps – Von einem Frühlingsmorgen“, einem Gegenentwurf zum Einstieg. Da sprudelte und strebte alles. Holz und Geigen schilderten Naturlaute plastisch. Es folgte eines der humorvollsten Werke der Musikgeschichte.
Auch GDL-Chef Claus Weselsky dürfte Gefallen finden an Joseph Haydns „Abschiedssinfonie“. Dirigent Brogli-Sacher begann das Werk schwungvoll, konnte jedoch ein leicht hölzernes Spiel mit Inhomogenitäten nicht abwenden. Waren es Vorboten des Finales, als das Adagio allzu gemächlich vorüberzog und das Menuett hier und da ruckelte? Jener letzte Satz begann stürmisch, bevor das Tempo nachließ und – unter Raunen und Kichern des Publikums – sich die Bühne immer mehr leerte. Am Ende war gerade noch Mehrstimmigkeit möglich. Der Dirigent saß verbittert zwischen zwei verbliebenen Geigern. Dieses Werk, Haydns Sinfonie Nr. 45, gilt als
„musikalischer Warnstreik“. Fürst Esterhazy genoss den Urlaub auf seinem Sommersitz und hatte seinem Orchester deshalb eben diesen verweigert.
Der Höhepunkt folgte nach der Pause: Johannes Brahms’ Violinkonzert mit der energisch drängenden, atemberaubend virtuosen Solistin Ioana Cristina Goicea. Die gebürtige Rumänin, Anfang dreißig, gewann etwa beim Deutschen Musikwettbewerb sowie beim Johannes-Brahms-Wettbewerb und hat eine Professur für Violine an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien inne. Ihre Strahlkraft wurde in Bautzen überdeutlich. BrogliSacher hatte wenig Mühe, das Spiel von Or
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chester und Solistin sinfonisch zu verschmelzen. Die Gesten atmeten Wärme und Harmonie. Die Kadenz war ein Ausbruch von Lebensfreude.
Selten hört man die Holzbläser zu Beginn des Adagio derart innig musizieren, bevor sich der feinfühlige Ausdruck auf den ganzen Apparat ausbreitete. Gelang schließlich das Finale so entfesselt, weil Goicea jene osteuropäische Musizierweise, die Brahms liebgewonnen hatte, in den Genen haben muss?
Der lange Beifall wurde unterbrochen durch die Sarabande d-Moll aus Bachs zweiter Partita für Violine. Goicea tanzte ganz versonnen, verlieh der höfischen Form im langsamen Dreiertakt viel Noblesse, Stolz, machte sie zeitlos. Solche Abende sind ein Segen. Ein Plädoyer fürs gute alte Abo.
Wieder im Haus Zittau (6. 4.), Haus Görlitz (9. 4.) sowie in der Lausitzhalle Hoyerswerda (14. 4.)