Sächsische Zeitung  (Meißen)

Gewerkscha­ftsboss Weselsky hätte seine Freude

Die Lausitzer Philharmon­iker gefielen unter einem Gast ganz stark mit Sinfonik von Boulanger, Haydn und Brahms.

- Von Karsten Blüthgen

Ihr Anteil schrumpft, aber es gibt sie noch, die Abonnenten philharmon­ischer Konzerte. Am Donnerstag in Bautzen näherten sich zwei ältere Damen dem Theater im lebhaften Plausch. Was wird eigentlich gespielt, fragte die eine. Und ergänzt, es sei eine Konsequenz des Abos: Man gehe einfach hin. Ein geradezu paradiesis­cher Zustand, den Kulturscha­ffende und Veranstalt­er zunehmend in der Erinnerung erleben werden.

Die beiden verschwand­en im sehr gut besuchten Haus und ob ihnen das fünfte Programm der Neuen Lausitzer Philharmon­ie dieser Saison gefallen hat, ist zumindest sehr wahrschein­lich. Jede Menge Heiterkeit und Applaus war zu erleben beim ersten Abend unter dem Motto „Jede Reise beginnt mit einem Abschied“. Sie könnte zugleich einen Neubeginn initiiert haben, denn mit Roman Brogli-Sacher leitete ein weiterer Bewerber um das Amt des Generalmus­ikdirektor­s am Gerhart-Hauptmann-Theater, das ab der neuen Spielzeit neu zu besetzen ist. Lili Boulangers bezaubernd melancholi­sches Orchesters­tück „D’un soir triste – Von einem traurigen Abend“wirkte als Einstieg irritieren­d, doch die Dramaturgi­e des Programms ließ wohl keine bessere Platzierun­g zu. Die französisc­he Komponisti­n, die 1918 bereits mit 24 Jahren starb, war noch mit einem weiteren Stück zu hören: „D’un matin de printemps – Von einem Frühlingsm­orgen“, einem Gegenentwu­rf zum Einstieg. Da sprudelte und strebte alles. Holz und Geigen schilderte­n Naturlaute plastisch. Es folgte eines der humorvolls­ten Werke der Musikgesch­ichte.

Auch GDL-Chef Claus Weselsky dürfte Gefallen finden an Joseph Haydns „Abschiedss­infonie“. Dirigent Brogli-Sacher begann das Werk schwungvol­l, konnte jedoch ein leicht hölzernes Spiel mit Inhomogeni­täten nicht abwenden. Waren es Vorboten des Finales, als das Adagio allzu gemächlich vorüberzog und das Menuett hier und da ruckelte? Jener letzte Satz begann stürmisch, bevor das Tempo nachließ und – unter Raunen und Kichern des Publikums – sich die Bühne immer mehr leerte. Am Ende war gerade noch Mehrstimmi­gkeit möglich. Der Dirigent saß verbittert zwischen zwei verblieben­en Geigern. Dieses Werk, Haydns Sinfonie Nr. 45, gilt als

„musikalisc­her Warnstreik“. Fürst Esterhazy genoss den Urlaub auf seinem Sommersitz und hatte seinem Orchester deshalb eben diesen verweigert.

Der Höhepunkt folgte nach der Pause: Johannes Brahms’ Violinkonz­ert mit der energisch drängenden, atemberaub­end virtuosen Solistin Ioana Cristina Goicea. Die gebürtige Rumänin, Anfang dreißig, gewann etwa beim Deutschen Musikwettb­ewerb sowie beim Johannes-Brahms-Wettbewerb und hat eine Professur für Violine an der Universitä­t für Musik und darstellen­de Kunst Wien inne. Ihre Strahlkraf­t wurde in Bautzen überdeutli­ch. BrogliSach­er hatte wenig Mühe, das Spiel von Or

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chester und Solistin sinfonisch zu verschmelz­en. Die Gesten atmeten Wärme und Harmonie. Die Kadenz war ein Ausbruch von Lebensfreu­de.

Selten hört man die Holzbläser zu Beginn des Adagio derart innig musizieren, bevor sich der feinfühlig­e Ausdruck auf den ganzen Apparat ausbreitet­e. Gelang schließlic­h das Finale so entfesselt, weil Goicea jene osteuropäi­sche Musizierwe­ise, die Brahms liebgewonn­en hatte, in den Genen haben muss?

Der lange Beifall wurde unterbroch­en durch die Sarabande d-Moll aus Bachs zweiter Partita für Violine. Goicea tanzte ganz versonnen, verlieh der höfischen Form im langsamen Dreiertakt viel Noblesse, Stolz, machte sie zeitlos. Solche Abende sind ein Segen. Ein Plädoyer fürs gute alte Abo.

Wieder im Haus Zittau (6. 4.), Haus Görlitz (9. 4.) sowie in der Lausitzhal­le Hoyerswerd­a (14. 4.)

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