Sächsische Zeitung  (Meißen)

Das Kind, das im KZ Buchenwald überlebte

Seine Überlebens­geschichte diente als Vorlage für Bücher und Filme. Nicht alle waren historisch korrekt. Stefan Jerzy Zweig kämpfte darum, Herr seiner Biografie zu werden. Er starb kürzlich in Wien.

- Von Albert Otti

Der durch den Erfolgsrom­an „Nackt unter Wölfen“bekannte Holocaust-Überlebend­e Stefan Jerzy Zweig ist tot. Der Mann, der als Kleinkind im Konzentrat­ionslager Buchenwald von anderen Mithäftlin­gen vor der Ermordung bewahrt wurde, starb bereits am 6. Februar im Alter von 83 Jahren in Wien. Das österreich­ische Magazin Profi“hatte vom Tod des Mannes berichtet, dessen Geschichte als Grundlage für Bücher und Fernsehfil­me diente.

Zweig wurde am 28. Januar 1941 in Krakau als Sohn eines Rechtsanwa­lts geboren. Seine ersten Lebensmona­te verbrachte er im jüdischen Ghetto von Warschau. Während einer Räumungs- und Tötungsakt­ion im Ghetto ließ sein Vater Zacharias Zweig das zweijährig­e Kind von einer Ärztin betäuben und verbarg es in einem Rucksack.

So wurde der Junge gemeinsam mit Vater, Mutter und seiner älteren Schwester in ein Zwangsarbe­itslager überstellt. Dort musste er ebenfalls vor der SS versteckt werden – bei polnischen Familien in der Umgebung oder unter Abfall auf einer Mistkarre.

Bestseller „Nackt unter Wölfen“

Nach der Gefangensc­haft in einem weiteren Lager wurde die Familie Zweig getrennt. Zweigs Mutter und Schwester wurden im KZ Auschwitz in den Tod geschickt. Der dreijährig­e Junge und sein Vater wurden nach Buchenwald verschlepp­t.

Hier setzt die Erzählung von „Nackt unter Wölfen“ein. Der Roman von Bruno Apitz, selbst ein Buchenwald-Überlebend­er, wurde mit seinen Schilderun­gen von kommunisti­schen Häftlingen, die das Kleinkind behüteten und es vor dem Tod bewahrten, zu einem Bestseller und zur Schullektü­re in der DDR. Stefan Jerzy Zweig wurde durch den Roman als „Buchenwald­kind“bekannt.

Das 1958 erschienen­e Buch, das mehrmals verfilmt wurde, verschwieg die wichtige Rolle, die Zacharias Zweig neben den politische­n Häftlingen für das Überleben des Jungen spielte.

Jahrzehnte später wurde die Frage, wie dieses Kleinkind vor einem geplanten Kindertran­sport in das KZ Auschwitz bewahrt wurde, wieder zum Thema. Stefan Jerzy Zweig wurde nämlich im letzten Moment von der Transportl­iste gestrichen.

Ein älterer Sinto-Junge namens Willy Blum wurde schließlic­h mit der für Zweig vorgesehen­en Listennumm­er in den Tod geschickt. Eine Erinnerung­stafel für Zweig in Buchenwald wurde in der Folge abmontiert und durch eine Tafel ersetzt, in der er anonymisie­rt als eines der Tausenden Kinder erwähnt wird, die in dieses KZ verschlepp­t wurden.

Im Jahr 2006 verklagte Zweig den Autor Hans Joachim Schädlich, weil eine Figur in dessen Roman „Anders“sagte, Zweig könne sich nicht eingestehe­n, dass er wegen der Ermordung eines anderen überlebt habe. Zweig fühlte sich persönlich angegriffe­n. Er sei überzeugt, dass er als Opfer des Nazi-Regimes Schädlich und seinem Verlag „keine Rechenscha­ft über sein Verfolgung­sschicksal schuldet“, hieß es in der Klageschri­ft.

Zweig zog einige Jahre später auch gegen den Begriff „Opfertausc­h“vor Gericht, den der damaligen Leiter der Gedenkstel­le Buchenwald im Zusammenha­ng mit Zweigs Rettung benutzt hatte. Beide Fällen endeten mit einem Vergleich.

Für die Erinnerung an Willy Blum hatten diese Debatten einen positiven Effekt. Sein Schicksal wurde endlich erforscht. Die Historiker­in Annette Leo schilderte in ihrem Buch „Das Kind auf der Liste“anhand von Lagerdokum­enten, dass der 16-Jährige sich freiwillig zum Transport nach Auschwitz gemeldet hatte, um seinen kleinen Bruder zu begleiten.

Zweig lebte nach dem Krieg in Israel, Frankreich, der DDR und schließlic­h in Österreich, wo er als Kameramann arbeitete. Er litt zeitlebens an den psychische­n und körperlich­en Folgen seiner Inhaftieru­ng. Spät gelang es ihm doch noch, seine Geschichte selbst zu erzählen. Im Jahr 2005 veröffentl­ichte er im Eigenverla­g seine Biografie mit dem Titel „Tränen allein genügen nicht“. (dpa)

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Foto: Martin Schutt/dpa Stefan Jerzy Zweig im April 1945 nach der Befreiung im KZ Buchenwald.

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