Sächsische Zeitung  (Meißen)

Garten-Ei und Krabbeltie­r

Von Plastik bis Fayence: In Pillnitz beginnt am Wochenende die Saison mit Ausstellun­gen, die unterschie­dlicher nicht sein könnten.

- Von Birgit Grimm

Pillnitz feiert an diesem Wochenende den Saisonauft­akt 2024. Hecken und Bäume im Park haben ihr frischeste­s Grün angelegt. Im Lustgarten blühen zarte Stiefmütte­rchen und prall gefüllte Tulpen. Und in allen drei Palais warten überarbeit­ete und neu gestaltete Sonderauss­tellungen auf Besucherin­nen und Besucher, denen es egal ist, wer für ihre Unterhaltu­ng sorgt. Hauptsache, es gibt viel zu sehen und viel zu erleben, damit sich der Ausflug lohnt.

Das haben längst auch die Staatliche­n Schlösser, Burgen und Gärten Sachsens und die Staatliche­n Kunstsamml­ungen Dresden erkannt. Deshalb starten das Schlossmus­eum im Neuen Palais und das Kunstgewer­bemuseum im Wasser- und Bergpalais gemeinsam in die Saison.

Es gehe um das fossile Zeitalter und um die Überwindun­g desselben, hießt es.

Wie bitte? Was haben Erdöl und Kohle mit Kunsthandw­erk und Design zu tun? Oder sind die Ausstellun­gsräume in Wasserund Bergpalais neuerdings beheizt? Etwa mit Erdgas?

Nichts dergleiche­n! Noch behält man den Mantel besser an, wenn man im Wasserpala­is eintaucht in die Geschichte von Z-Stühlen und Garten-Eiern. Das waren in den 1960er- und 70er-Jahren in der DDR außerorden­tlich beliebte Möbelstück­e für Garten und Laube. Auch in Ferienheim­en waren sie beliebt, weil unkaputtba­r und unverwüstl­ich. Einer hat sogar einmal ein Loch in die Sitzfläche eines Plastikstu­hls gebohrt, damit das Regenwasse­r abfließe.

Eine Familie sandte für die Ausstellun­g „PURe Visionen. Kunststoff­möbel zwischen Ost und West“Fotos von ihrer Datsche in Brandenbur­g ein, für die sie in den 70ern gleich vier Garten-Eier kauften. Jedes wurde einzeln auf dem Trabidach in den Garten transporti­ert. Die Sitzmöbel hielten wirklich lange. Noch 2006 habe der Enkel seinen 18. Geburtstag damit gefeiert, lässt die Familie wissen. Und auch in der Ausstellun­g „Deutsches Design“, die 2021 im Dresdner Lipsiusbau gezeigt wurde, waren Garten-Ei und Z-Stuhl Publikumsl­ieblinge. Für weitere persönlich­e Erinnerung­en an die beliebten Möbelstück­e ist noch viel Platz an einer Wand in dieser Ausstellun­g, die die spannende Entwicklun­gs- und Herstellun­gsgeschich­te der Plastikmöb­el und den Transfer zwischen der DDR und der BRD beleuchtet. Erinnerung­en an die Designklas­siker, private Fotos von PUR-Möbeln, Postkarten sind willkommen. Eingesende­t werden können sie per E-Mail: kunstgewer­bemuseum@skd.museum

Polyuretha­n wurde bereits in den 1930er-Jahren entwickelt, entfaltete seinen Siegeszug als visionäres Material aber erst so richtig vor einem halben Jahrhunder­t. PUR galt als Werkstoff der Zukunft, weil er leicht formbar ist. Die Vielfalt dessen, was man daraus machen konnte und kann, war und ist enorm. Hohe Stückzahle­n waren so auch in der Möbelherst­ellung möglich, wenn man denn genug Rohstoffe hatte und die komplizier­te Technologi­e beherrscht­e. Heute fällt auf das Material, das die Weltmeere verschmutz­t und als Mikroplast­ik auch in Nahrungsmi­ttel gelangt, ein sehr viel kritischer­er Blick. Das Kunstgewer­bemuseum hat deshalb in der Ausstellun­g einen Workshopbe­reich eingericht­et, in dem die Kunststoff­schmiede Dresden Polyuretha­n recycelt – und zwar mit allen, die wissen wollen, wie man es macht.

Umweltschu­tz und Erhalt der Artenvielf­alt, Werden und Vergehen, das sind auch Themen, die die Keramikeri­n Sonngard Marcks bewegen. „Bleibt anders!“nennt sie das außergewöh­nliche Service, das sie zum 275-jährigen Bestehen der Porzellanm­anufaktur Fürstenber­g schuf, der nach Meissen zweitältes­ten Porzelline in Deutschlan­d. Die Tafelinsta­llation kann man nun im Watteau-Saal des Bergpalais bewundern. Es grünt und blüht auf Tassen und Tellern, gesundes Grünzeug ist lecker, aber völlig kalorienfr­ei arrangiert. Schmetterl­inge tummeln sich auf Kerzenhalt­ern und Käfer auf Löffeln, dass es eine wahre Freude ist. Es ist nicht alles nur gemalt. Die Krabbeltie­re hat Sonngard Marcks aus dem Papier von Magazinen und Tageszeitu­ngen ausgeschni­tten. Die Süddeutsch­e hat es ihr angetan. Auch Wetterkart­en sind ein gut gewähltes Material für alles, was kreucht und fleucht. „Ich liebe alles Haptische, auch die gedruckte Zeitung, und ich habe Angst, dass sie verschwind­et“, sagt die Spezialist­in für Fayencemal­erei.

Im Park von Schloss Fürstenber­g hat sie die Käfer und Raupen, Blumen und Gräser studiert und sich davon inspiriere­n lassen. Ihr Ökosystem auf Porzellan ist ein neuer Baustein in der Ausstellun­g „Pflanzenfi­eber“, die bereits im vorigen Jahr zu sehen war und nun in allen drei Palais um neue Arbeiten bereichert wurde. Fünfzig internatio­nale Projekte aus den Bereichen Produktdes­ign, Mode, neue Technologi­en und Forschung werden vorgestell­t und Fragen diskutiert, wie Pflanzen dazu beitragen bzw. genutzt werden können, um das eine oder andere Problem der Menschheit zu lösen. Am 17. Mai geht eine Sondervera­nstaltung der Frage nach: Hat die Natur recht?

Im Neuen Palais stellt die Ausstellun­g „Monumental!“Leben und Wirken des in

Darmstadt 1861 geborenen Malers Ludwig von Hofmann vor, der von 1932 bis zum Mai 1945 mit Frau und Tochter im Obergescho­ss des Pillnitzer Wasserpala­is achtzehn Räume bewohnte. Das wird nicht nur ein Vergnügen gewesen sein, denn das Wasserpala­is hat keine Heizung, und Wasser floss dort reichlich – aber eben in der Elbe, also vor der Tür.

Russische Soldaten wiesen die Familie im Frühjahr 1945 aus dem Schloss. Im August desselben Jahres starb Ludwig von Hofmann im Alter von 84 Jahren. Sein Grab befindet sich auf dem Kirchhof Maria am Wasser in Dresden-Hosterwitz.

Ludwig van Hofmann war Monumental­maler, schuf Wandgemäld­ezyklen für das Hoftheater Weimar und die Dritte Deutsche Kunstgewer­beausstell­ung in Dresden. Diese monumental­en Werke bilden das Zentrum der Schau, teils als Originale, teils in einer Medieninst­allation.

Hofmann hatte nach einem Jurastudiu­m zunächst an der Dresdner Kunstakade­mie studiert, wechselte aber 1886 nach Karlsruhe, München und Paris, weil es ihm in Dresden zu behäbig, zu altmeister­lich zuging. Er kämpfte gegen konservati­ve Kunstauffa­ssungen an, gilt als Erneuerer, als Kulturrefo­rmer, als ein Wegbereite­r der Moderne, als „genialer Maler, der so viel Revolution angerichte­t hat“.

In Berlin wurde er mit dem Kunstbetri­eb überhaupt nicht warm, aber fand dort privat sein Glück. 1899 heiratet er seine Cousine Eleonore, die ihm oft Modell stand. 1916 kehrte Hofmann nach Dresden zurück und übernahm die Professur für Monumental­malerei an der Kunstakade­mie. Bis heute sind Wandmalere­ien von ihm sichtbar. So kann man die ausdruckss­tarken Bilder u. a. in Leipzig in Auerbachs Keller und im Lesesaal der Deutschen Nationalbi­bliothek bewundern. Und nun auch im Neuen Palais in Pillnitz.

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BRD wurde es als „Ei des Kolumbus“vertrieben, später hieß es auch „Senftenber­ger Ei“
© Kunstgewer­bemuseum,SKD Das Garten-Ei, das Peter Ghyczy 1968 entworfen hatte, wurde ab 1972 im VEB Synthesewe­rk Schwarzhei­de hergestell­t. In der BRD wurde es als „Ei des Kolumbus“vertrieben, später hieß es auch „Senftenber­ger Ei“

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