Jubiläum am Dirigentenpult
Meißens langjähriger Domkantor Andreas Weber wird 80 Jahre alt. Gemeinsam mit Sängern und Musikern macht er sich selbst ein ganz besonderes Geschenk.
In seinem Arbeitszimmer ist Andreas Weber an einem seiner Lieblingsplätze verewigt. Das dort hängende Gemälde von Ulrich Jungermann zeigt ihn in der Johanneskirche – bei einem Konzert mit Orchestermusikern und Chorsängern. Mit unfassbar vielen von ihnen hat Andreas Weber in seinem Berufsleben zusammengearbeitet. Als Kantor ist er nicht nur Kirchenmusiker, der das Orgelspiel beherrscht, sondern auch Dirigent, Chorleiter, Organisator und Projektmanager. Heute noch, mit seinen fast 80 Jahren.
Seit 1980 in Meißen
Der Begriff Kantor leitet sich vom lateinischen Wort „canto“ab, das sich mit Sänger übersetzen lässt. Heute ist es die Berufsbezeichnung für einen hauptamtlichen Kirchenmusiker. Andreas Weber hat einige Umwege beschreiten müssen, ehe er diesen Beruf ausüben konnte.
In den 50er Jahren verweigerten ihm die Behörden in der DDR den weiteren Schulbesuch nach der 8. Klasse – wegen „ungenügender gesellschaftlicher Betätigung“, wie es ihm damals beschieden wurde. Dass er einer Pfarrersfamilie am Rande des Erzgebirges entstammte, erwies sich ebenso als Ausschlusskriterium wie die Verweigerung des Wehrdienstes bei der NVA.
Damals war es noch nicht möglich, den Dienst bei den Bausoldaten abzuleisten, erinnert er sich. Regelmäßig wurde er nach dem 18. Geburtstag und der Musterung in Dresden ins Wehrkreiskommando einbestellt. „Irgendwann sahen die Offiziere wohl ein, dass es zwecklos war“, berichtet Andreas Weber. Auch ein „Gesprächsangebot“der Staatssicherheit ließ er ins Leere laufen.
Vom 14. bis zum 24. Lebensjahr war Andreas Weber in der Ausbildung, um Kantor zu werden. Über vorbereitende Kurse und eine kirchliche Fachschule in Dresden kam er zur Musik-Hochschule in Weimar, wo in der Abteilung „Künstlerisches Orgelspiel“Musiker für den künftigen Dienst in den Kirchen ausgebildet wurden. Außer dem Beherrschen dieses Instruments erlernte er in Weimar das Dirigieren und Komponieren. Erfolgreich nahm er schon als Student an internationalen Musik-Wettbewerben teil. Sein Staatsexamen legte Andreas Weber in Suhl ab, wo er seine erste Arbeitsstelle als Kantor antrat. „Ich dirigierte ein Orchester, in dem auch Musiker des Meininger Theaters mitwirkten“, erinnert er sich. Diese Erfahrung prägte sein Berufsleben. Immer muss man schauen, wie und wo man Musiker, Sänger und Techniker zusammenbekommt – egal ob es sich um ein Kammerkonzert handelt oder ein Großprojekt mit vielen Mitwirkenden wie das Weihnachtsoratorium.
Konflikte mit der Obrigkeit
1980 kam Andreas Weber nach Meißen, als Nachfolger von Dr. Erich Schmidt, der hier seit 1950 Domkantor war und in Rente ging. Der Wechsel nach Meißen war auch ein Neuanfang, nach den Jahren in Suhl und von 1973 bis 1979 als Domkantor in Halberstadt, die mit schweren persönlichen Schicksalsschlägen verbunden waren. Mit dieser Andeutung erklärt Andreas Weber, dass er sich selbst als Kämpfer sieht. „Ich bin immer sehr direkt und ehrlich – dabei aber wenig diplomatisch“, sagt er über sich selbst. Sicher lagen darin auch Enttäuschungen und Konflikte begründet, blickt Andreas Weber auf die ersten Jahre am Meißner Dom zurück. „Ich war noch keine 40 Jahre alt, als ich hierherkam. Und ich hatte einige Ideen“, erzählt er. Den Dom zu öffnen und die Orgel täglich für Zuhörer erklingen zu lassen – das fand in Meißen nicht nur Zustimmung. „Am Dom widerspricht man nicht“, bekam er zu hören, als er die Auseinandersetzung suchte. Und in den 350 Seiten seiner Stasi-Akte, die er einsehen konnte, findet sich auch die Einschätzung, Weber sei ein eingebildeter Hagestolz. Außerdem fröne er gemeinsam mit seiner Frau der Hausmusik.
Letztlich aber entscheidet über den Erfolg, wie es gelingt, die Menschen zu begeistern – zunächst die Mitwirkenden in den Chören und Orchestern und mit ihnen gemeinsam die Zuhörer. Bei vielen Veranstaltungen im Dom sowie auf Bühnen und in Sälen in und um Meißen hat er die Kulturszene auch außerhalb des Doms mitgeprägt.
Bis 2009 war er Domkantor in Meißen. Kurz vor seiner Verabschiedung erhielt er den Kunst- und Kulturpreis der Stadt Meißen. Damit war auch sein Beitrag zur Aufarbeitung der regionalen Musikgeschichte gewürdigt worden. Ebenso sein Engagement, den Opfern der Jahrhundertflut von 2002 zu helfen, indem er Benefizkonzerte in mehreren Städten gab, deren Einnahmen er als Spenden Familien zukommen ließ, die von den Flutschäden in besonderer Weise betroffen waren.
Mit Meißen verbindet sich für Andreas Weber auch das Aufwachsen seiner vier inzwischen erwachsenen Kinder aus der jetzigen Ehe. Einer seiner Söhne trat beruflich in seine Fußstapfen und ist heute ebenfalls Kirchenmusiker, im schwedischen Göteborg.
Mit Erreichen des Ruhestandalters setzte Andreas Weber sich aber nicht zur Ruhe. Von 2009 bis 2013 übernahm er die Leitung der Kirchenmusik an der Annenkirche in Dresden. In Großenhain half er an der Marienkirche aus. Mit seinem Namen sind Projekte verbunden wie die Wiederaufführung
vergessener Kirchenmusik der Klassik und Romantik.
Stets blieb Andreas Weber bei den Menschen, mit denen er gemeinsam musiziert, Werke einstudiert, Konzerte vorbereitet und aufführt. Er formte die Ökumenische Kantorei mit jetzt 65 Sängerinnen und Sängern. Mehr denn je kommt es dabei auf Idealismus und Begeisterung aller Mitwirkenden an. Auch in der Kirche werden die Ressourcen immer knapper. An vielen Stellen muss eingespart, oft sehr viel mehr von Mitarbeitern verlangt werden, als ihnen bezahlt werden kann.
Aufführung am Vorabend
Derzeit ist ein Projekt in Vorbereitung, das am 16. Mai – am Vorabend seines 80. Geburtstages – in der Johanneskirche erklingen wird: „Die Schöpfung“von Joseph Haydn. Das Orchester hat er selbst zusammengestellt, nachdem er von der Elbland Philharmonie aus Termingründen eine Absage erhalten hatte. Mitglieder des Chemnitzer Barockorchesters erhalten Verstärkung durch freischaffende Musiker und qualifizierte Laienmusiker. Damit wird dieses Werk, das Andreas Weber in seiner langen musikalischen Berufslaufbahn mehrfach aufführte, zu einer ganz besonderen „Schöpfung“.
Damit alles gut klappt, hat er in diesen Tagen alle Hände voll zu tun. Probentermine sind abzustimmen, technische Fragen zu klären ebenso die Plakatierung, um auf das Ereignis aufmerksam zu machen. Zwischendurch vertieft sich Andreas Weber in seinem Arbeitszimmer an der Meißner Mannfeldstraße in die Partituren – denn es liegt in den Händen des Dirigenten, dass die musikalische Harmonie stimmt und Musiker, Solisten sowie Chorsänger im richtigen Moment das Signal für ihre Einsätze erhalten.