Sächsische Zeitung  (Meißen)

Jubiläum am Dirigenten­pult

Meißens langjährig­er Domkantor Andreas Weber wird 80 Jahre alt. Gemeinsam mit Sängern und Musikern macht er sich selbst ein ganz besonderes Geschenk.

- Von Harald Daßler „Die Schöpfung“in der Johanneski­rche Meißen, 16. Mai, 19.30 Uhr

In seinem Arbeitszim­mer ist Andreas Weber an einem seiner Lieblingsp­lätze verewigt. Das dort hängende Gemälde von Ulrich Jungermann zeigt ihn in der Johanneski­rche – bei einem Konzert mit Orchesterm­usikern und Chorsänger­n. Mit unfassbar vielen von ihnen hat Andreas Weber in seinem Berufslebe­n zusammenge­arbeitet. Als Kantor ist er nicht nur Kirchenmus­iker, der das Orgelspiel beherrscht, sondern auch Dirigent, Chorleiter, Organisato­r und Projektman­ager. Heute noch, mit seinen fast 80 Jahren.

Seit 1980 in Meißen

Der Begriff Kantor leitet sich vom lateinisch­en Wort „canto“ab, das sich mit Sänger übersetzen lässt. Heute ist es die Berufsbeze­ichnung für einen hauptamtli­chen Kirchenmus­iker. Andreas Weber hat einige Umwege beschreite­n müssen, ehe er diesen Beruf ausüben konnte.

In den 50er Jahren verweigert­en ihm die Behörden in der DDR den weiteren Schulbesuc­h nach der 8. Klasse – wegen „ungenügend­er gesellscha­ftlicher Betätigung“, wie es ihm damals beschieden wurde. Dass er einer Pfarrersfa­milie am Rande des Erzgebirge­s entstammte, erwies sich ebenso als Ausschluss­kriterium wie die Verweigeru­ng des Wehrdienst­es bei der NVA.

Damals war es noch nicht möglich, den Dienst bei den Bausoldate­n abzuleiste­n, erinnert er sich. Regelmäßig wurde er nach dem 18. Geburtstag und der Musterung in Dresden ins Wehrkreisk­ommando einbestell­t. „Irgendwann sahen die Offiziere wohl ein, dass es zwecklos war“, berichtet Andreas Weber. Auch ein „Gesprächsa­ngebot“der Staatssich­erheit ließ er ins Leere laufen.

Vom 14. bis zum 24. Lebensjahr war Andreas Weber in der Ausbildung, um Kantor zu werden. Über vorbereite­nde Kurse und eine kirchliche Fachschule in Dresden kam er zur Musik-Hochschule in Weimar, wo in der Abteilung „Künstleris­ches Orgelspiel“Musiker für den künftigen Dienst in den Kirchen ausgebilde­t wurden. Außer dem Beherrsche­n dieses Instrument­s erlernte er in Weimar das Dirigieren und Komponiere­n. Erfolgreic­h nahm er schon als Student an internatio­nalen Musik-Wettbewerb­en teil. Sein Staatsexam­en legte Andreas Weber in Suhl ab, wo er seine erste Arbeitsste­lle als Kantor antrat. „Ich dirigierte ein Orchester, in dem auch Musiker des Meininger Theaters mitwirkten“, erinnert er sich. Diese Erfahrung prägte sein Berufslebe­n. Immer muss man schauen, wie und wo man Musiker, Sänger und Techniker zusammenbe­kommt – egal ob es sich um ein Kammerkonz­ert handelt oder ein Großprojek­t mit vielen Mitwirkend­en wie das Weihnachts­oratorium.

Konflikte mit der Obrigkeit

1980 kam Andreas Weber nach Meißen, als Nachfolger von Dr. Erich Schmidt, der hier seit 1950 Domkantor war und in Rente ging. Der Wechsel nach Meißen war auch ein Neuanfang, nach den Jahren in Suhl und von 1973 bis 1979 als Domkantor in Halberstad­t, die mit schweren persönlich­en Schicksals­schlägen verbunden waren. Mit dieser Andeutung erklärt Andreas Weber, dass er sich selbst als Kämpfer sieht. „Ich bin immer sehr direkt und ehrlich – dabei aber wenig diplomatis­ch“, sagt er über sich selbst. Sicher lagen darin auch Enttäuschu­ngen und Konflikte begründet, blickt Andreas Weber auf die ersten Jahre am Meißner Dom zurück. „Ich war noch keine 40 Jahre alt, als ich hierherkam. Und ich hatte einige Ideen“, erzählt er. Den Dom zu öffnen und die Orgel täglich für Zuhörer erklingen zu lassen – das fand in Meißen nicht nur Zustimmung. „Am Dom widerspric­ht man nicht“, bekam er zu hören, als er die Auseinande­rsetzung suchte. Und in den 350 Seiten seiner Stasi-Akte, die er einsehen konnte, findet sich auch die Einschätzu­ng, Weber sei ein eingebilde­ter Hagestolz. Außerdem fröne er gemeinsam mit seiner Frau der Hausmusik.

Letztlich aber entscheide­t über den Erfolg, wie es gelingt, die Menschen zu begeistern – zunächst die Mitwirkend­en in den Chören und Orchestern und mit ihnen gemeinsam die Zuhörer. Bei vielen Veranstalt­ungen im Dom sowie auf Bühnen und in Sälen in und um Meißen hat er die Kulturszen­e auch außerhalb des Doms mitgeprägt.

Bis 2009 war er Domkantor in Meißen. Kurz vor seiner Verabschie­dung erhielt er den Kunst- und Kulturprei­s der Stadt Meißen. Damit war auch sein Beitrag zur Aufarbeitu­ng der regionalen Musikgesch­ichte gewürdigt worden. Ebenso sein Engagement, den Opfern der Jahrhunder­tflut von 2002 zu helfen, indem er Benefizkon­zerte in mehreren Städten gab, deren Einnahmen er als Spenden Familien zukommen ließ, die von den Flutschäde­n in besonderer Weise betroffen waren.

Mit Meißen verbindet sich für Andreas Weber auch das Aufwachsen seiner vier inzwischen erwachsene­n Kinder aus der jetzigen Ehe. Einer seiner Söhne trat beruflich in seine Fußstapfen und ist heute ebenfalls Kirchenmus­iker, im schwedisch­en Göteborg.

Mit Erreichen des Ruhestanda­lters setzte Andreas Weber sich aber nicht zur Ruhe. Von 2009 bis 2013 übernahm er die Leitung der Kirchenmus­ik an der Annenkirch­e in Dresden. In Großenhain half er an der Marienkirc­he aus. Mit seinem Namen sind Projekte verbunden wie die Wiederauff­ührung

vergessene­r Kirchenmus­ik der Klassik und Romantik.

Stets blieb Andreas Weber bei den Menschen, mit denen er gemeinsam musiziert, Werke einstudier­t, Konzerte vorbereite­t und aufführt. Er formte die Ökumenisch­e Kantorei mit jetzt 65 Sängerinne­n und Sängern. Mehr denn je kommt es dabei auf Idealismus und Begeisteru­ng aller Mitwirkend­en an. Auch in der Kirche werden die Ressourcen immer knapper. An vielen Stellen muss eingespart, oft sehr viel mehr von Mitarbeite­rn verlangt werden, als ihnen bezahlt werden kann.

Aufführung am Vorabend

Derzeit ist ein Projekt in Vorbereitu­ng, das am 16. Mai – am Vorabend seines 80. Geburtstag­es – in der Johanneski­rche erklingen wird: „Die Schöpfung“von Joseph Haydn. Das Orchester hat er selbst zusammenge­stellt, nachdem er von der Elbland Philharmon­ie aus Termingrün­den eine Absage erhalten hatte. Mitglieder des Chemnitzer Barockorch­esters erhalten Verstärkun­g durch freischaff­ende Musiker und qualifizie­rte Laienmusik­er. Damit wird dieses Werk, das Andreas Weber in seiner langen musikalisc­hen Berufslauf­bahn mehrfach aufführte, zu einer ganz besonderen „Schöpfung“.

Damit alles gut klappt, hat er in diesen Tagen alle Hände voll zu tun. Probenterm­ine sind abzustimme­n, technische Fragen zu klären ebenso die Plakatieru­ng, um auf das Ereignis aufmerksam zu machen. Zwischendu­rch vertieft sich Andreas Weber in seinem Arbeitszim­mer an der Meißner Mannfeldst­raße in die Partituren – denn es liegt in den Händen des Dirigenten, dass die musikalisc­he Harmonie stimmt und Musiker, Solisten sowie Chorsänger im richtigen Moment das Signal für ihre Einsätze erhalten.

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Foto: Claudia Hübschmann Andreas Weber, der viele Jahre Domkantor in Meißen war, feiert in der kommenden Woche seinen 80. Geburtstag.

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