Wäre das Klima eine Bank …
Der deutsche Astrophysiker und Naturphilosoph Harald Lesch kommentiert „Die vier Jahreszeiten“Vivaldis. Und lässt sie so anders klingen.
Die Musikgeschichte bietet eine Fülle von Werken, die Natur, Naturkatastrophen oder menschliche Tragödien thematisieren. Antonio Vivaldi dürfte kaum geahnt haben, dass sein Konzert-Zyklus „Die vier Jahreszeiten“eines Abends als Soundtrack zu einem Vortrag dienen könnte, der die Dramatik des Klimawandels eindringlich vor Augen führt. Nun: Der Raubbau an der
Erde war im Barockzeitalter bereits im Gange. Die erste industrielle Revolution stand unmittelbar bevor. In deren Verlauf beschrieb Joseph Fourier 1824 erstmals das, was später als Treibhauseffekt bezeichnet wurde.
Den Kassenschlager der Klassik herzunehmen, um auf das wohl größte Menschheitsproblem aufmerksam zu machen, kann reißerisch anmuten. Aber der Verdacht verfliegt, wenn der Referent Harald Lesch heißt und das Merlin Ensemble um Konzertmeister Martin Walch musiziert. Und das Bühnenprogramm „Harald Lesch und Vivaldis ‚Vier Jahreszeiten‘ im Klimawandel“beginnt, Kreise zu ziehen. Dresdens Musikfestspiele sind nicht die erste Station, und es gibt bereits Termine 2025. Ein sehr gut besuchter Kulturpalast am Sonntag mit stehenden Ovationen zeugte von der gewaltigen Resonanz.
Lesch ist Physiker, Astronom und Naturphilosoph. Ein Moderator und Wissenschaftsjournalist der besonderen Art, engagiert im Kampf gegen den menschengemachten Klimawandel. Einer, der nicht mit Fachbegriffen einschüchtert, sondern Menschen gewinnt. Untermalt mit ersten Vivaldi-Klängen, begann er bei der Entstehung der Erde und ihrer Jahreszeiten, stellte Begriffe vor, mit denen in einer „galaktischen Chronik“die Schönheit Erde beschrieben werden könnte.
Der Saal schimmerte grün, als das Merlin Ensemble zum „Frühling“ansetzte. Gegründet aus dem Chamber Orchestra of Europe, ist die Wiener Formation nicht auf Alte Musik spezialisiert. Ihr Vivaldi erfrischte durch eine sprechende Musizierweise. Das Publikum durfte nach jedem Satz applaudieren – ohnehin setzte Lesch dann seinen Vortrag fort. Sogar Handyklingeln wurde akzeptiert: „Geh’n Sie ruhig ran!“, rief Lesch schlagfertig. „Das sagen wir Physiker uns immer. Vielleicht ist es ja Stockholm.“
Eine Lachpartie war dieser Abend freilich nicht – im Gegenteil. Im rot schimmernden Sommer, die Musik begann zu flimmern, wurde Lesch geradezu wütend, als er über Regen (der zunehmend entweder strömt oder ausbleibt) und viele katastrophale Auswirkungen des Klimawandels referiert. „Dafür muss man nicht Physik studieren.“Nüchtern gab er zu bedenken, dass die Natur weder verhandelt noch uns braucht – anders als umgekehrt.
„Wäre das Klima eine Bank, hätten wir es längst gerettet“, war einer dieser starken Lesch-Sätze, die ein Wertgefüge vor Augen führen, das zweifeln lässt, ob der Mensch je diese komplexe Krise überwinden kann. Am Ende kommt Lesch auf die galaktische Chronik zurück, wo einmal über die Menschheit stehen könnte: „Sie hatten sich bemüht, aber es hat nicht gereicht. Dabei hatten sie alle Möglichkeiten. Schade.“
Zwei Zugaben ehrten den Kabarettisten Hanns Dieter Hüsch. Der lässt in „Posthum“Gott sagen: „Wenn ich noch einmal Menschen mache, bekommen sie keinen freien Willen. Dann werd ich sie dumm, aber glücklich halten.“Nein, mitnichten ist Lesch ein einsamer Rufer.
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