Was bedingungsloses Grundeinkommen für diese beiden Frauen bedeutet
Drei Jahre lang erhielten 122 Menschen bedingungsloses Grundeinkommen. Zwei von ihnen ziehen jetzt ein erstes Fazit. Dabei erscheint das Konzept zunehmend umkämpft.
Schwierig ist es, alles unter einen Hut zu bringen. Die fast zwei Jahre alte Tochter geht jetzt in die Kita. So stieg ihre Mutter Sarah Bäcker im vergangenen August wieder in die Arbeit als Architektin ein, zunächst mit 20 Stunden pro Woche. Mittlerweile hat sie auf 30 Stunden erhöht. „Mehr geht aber kaum“, sagt sie. „Ich bin so schon im Dauereinsatz.“
Beim Austarieren der fragilen Balance von Kind, Arbeit und Partnerschaft hilft, dass die 42-jährige Architektin nicht unter finanziellem Stress leidet. „Ich muss keinen Vollzeitjob machen, um das nötige Geld zusammenzukratzen.“Denn drei Jahre lang bekam Bäcker zusätzlich zu ihren normalen Einnahmen 1.200 Euro monatlich überwiesen, als sogenanntes bedingungsloses Grundeinkommen.
Sie hatte das Glück, als eine von 122 Personen für dieses wissenschaftliche Experiment ausgewählt worden zu sein. Mit dem Pilotprojekt wollen unter anderem der Verein Mein Grundeinkommen und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) herausfinden, wie sich Haushalte der Mittelschicht verhalten, wenn sie materiell besser abgesichert sind. Arbeiten sie dann weniger – oder anders, oder mehr, geben sie ihren Leben eine neue Richtung?
Anfang Mai haben Sarah Bäcker und die übrigen Teilnehmenden nun ihre letzte Überweisung bekommen – Zeit für ein erstes Fazit. Die wissenschaftliche Auswertung des Experiments wird erst zu Beginn des Jahres 2025 veröffentlicht. Wobei die grundsätzliche Idee dieser Sozialreform gerade jetzt verstärkt in die politische Auseinandersetzung gerät.
Vor Grundeinkommen und Kind arbeitete Bäcker sehr viel. Sie war gleichzeitig als Architektin und selbstständige Ausstellungsmacherin tätig und verdiente etwa 2.000 Euro netto monatlich. Die 1.200 Euro zusätzlich verschafften ihr eine finanzielle Sicherheit, die sie bis dahin nicht kannte. Nach der Geburt ihrer Tochter Alva fand sie sich in der komfortablen Lage, mit Grundeinkommen, Eltern- und Kindergeld einen ähnlichen Betrag zur Verfügung zu haben wie vorher. Deshalb konnte sie sich für anderthalb Jahre Elternzeit ohne bezahlte Arbeit entscheiden.
Und jetzt, da die Architektin mit ihrer 30-Stunden-Stelle wieder ungefähr 2.000 Euro netto selbst verdient, braucht sie das Grundeinkommen für das tägliche Leben eigentlich nicht mehr. Wie auch vor der Mutterschaft lässt sie das Geld auf dem Konto, wo sich mittlerweile ein Puffer von rund 15.000 Euro angesammelt hat. Mit diesem kleinen Vermögen im Rücken kann „ich mich zum Beispiel in gewissem Rahmen selbst entscheiden, wie viel ich arbeite“, sagt Bäcker. Genug Geld bedeutet Selbstbestimmung – das ist für sie ein wesentliches Fazit aus dem Pilotprojekt.
Wie weit ein solcher Entscheidungsspielraum reichen kann, lässt sich an Elisabeth Ragusa beobachten, einer anderen Teilnehmerin des Pilotprojekts. Bis zum Frühjahr 2023 arbeitete die heute 31-Jährige als Industriekauffrau in einer Druckerei, die Etiketten zum Beispiel für Weinflaschen herstellte. Dann machte sie Schluss mit dieser Tätigkeit, die Ragusa, wenn sie ehrlich zu sich selbst war, nicht ausfüllte. Und Ragusa begann, Lehramt für Grundschulen mit den Fächern Deutsch und Naturkunde an der Pädagogischen
Hochschule im baden-württembergischen Freiburg zu studieren.
Früher war das ein Traum, weil sie Angst hatte, fünf Jahre Universität finanziell nicht durchzustehen. „Ein Studium muss man sich ja leisten können“, sagt Ragusa. „Das erschien mir nicht möglich.“Die regelmäßige Zahlung der zusätzlichen 1.200 Euro monatlich, von denen sie einen guten Teil sparen konnte, gaben den Ausschlag.
Jetzt studiert Ragusa bereits im dritten Semester, sie fühlt sich am richtigen Platz: „Ich freue mich schon darauf, meine zukünftige Klasse an der Schule einzurichten.“Solche Erfahrungen mit dem Grundeinkommen
zeigen, dass dadurch das System der Arbeit etwas weniger Stress und Zwang ausüben würde.
Andererseits hat das Thema gerade jetzt keine gute Konjunktur. Die hiesige Wirtschaft stagniert. Die Forderung steht im Raum, mehr zu arbeiten, um den absehbaren Mangel an Beschäftigten auszugleichen. Aber führt das Grundeinkommen nicht gerade dazu, dass weniger gearbeitet wird? Die Erfahrungen von Sarah Bäcker und Elisabeth Ragusa könnte man in diese Richtung deuten, wobei sie, wie das ganze Projekt, nur eine Momentaufnahme darstellen.
FDP und Union benutzen den Begriff „Grundeinkommen“nun, um SPD und Grüne in Bedrängnis zu bringen. Dabei geht es nicht um das Konzept an sich – es dient den Kritikern als Symbol für Sozialleistungen, die aus ihrer Sicht ausufern. So zog Bundesfinanzminister Christian Lindner beim jüngsten Parteitag seiner FDP gegen das Bürgergeld zu Felde, das Hartz IV abgelöst hat. Das Bürgergeld dürfe „kein bedingungsloses Grundeinkommen“sein, schimpfte Lindner.