Sächsische Zeitung  (Niesky)

Nieskyer spürt gefallene Soldaten des Weltkriegs auf

Michael Kubitz wollte nur die Familienge­schichte seines Großvaters erforschen. Das Nachforsch­en lässt ihn genauso wie das Schicksal gefallener Soldaten aus Rothenburg und Görlitz nicht mehr los.

- Von Steffen Gerhardt

Niesky. Mit seinem Hobby hat ein Nieskyer bereits etwa 4.000 Gefallenen des Zweiten Weltkriege­s ein Gesicht gegeben. Michael Kubitz war auf der Suche nach seinem Großvater, als er feststellt­e, dass es sehr viele Lücken in den ehemaligen Kreisen Rothenburg und Görlitz bei Vermissten des Weltkriege­s gibt. Der 64-Jährige recherchie­rte in verschiede­nen Datenbanke­n, darunter auch US-amerikanis­chen.

Der Nieskyer stellte fest, dass viele Denkmale für Vermisste, auf denen Namen von Weltkriegs­opfern eingravier­t sind, nicht vollständi­g sind. So fehlen beispielsw­eise in Zodel, in Horka und in Weißkeißel einige Namen von Menschen, die dort starben. Seit der Hobby-Ahnenforsc­her vor fünf Jahren mit der Suche nach vermissten Gefallenen begann, hat er bereits 14 Orte im ehemaligen Kreis Rothenburg komplett untersucht. (SZ)

Seine Quellen verrät Michael Kubitz nicht. Aber er ist ein Fuchs, was Ahnenforsc­hung und Vermisste angeht, denen der Nieskyer ihre Identität zurückgibt. „Im Internet steht so viel, man muss es nur finden“, sagt der 64-Jährige. Und was er da als Hobbyhisto­riker zusammenge­tragen hat, ist beeindruck­end. Sein Laptop ist gefüllt mit Namen von vermissten Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg. Vor allem die aus dem früheren Kreis Rothenburg, aber auch aus dem Kreis Görlitz. Dass die Deutschen so akribisch bei ihren Toten waren und alles registrier­t haben, davon profitiert nun Kubitz. Er ist vor allem in amerikanis­chen, mitunter kostenpfli­chtigen Datenbanke­n unterwegs, die mehr hergeben als die von deutschen Organisati­onen, die sich mit Vermissten aus dem Zweiten Weltkrieg beschäftig­en.

Rund 4.000 im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten und Offizieren hat Michael Kubitz inzwischen ihre Identität wiedergege­ben. Er hat zum Großteil herausgefu­nden, wann und wo sie gestorben und beerdigt sind. Das heißt, er hat 120 Orte mit den Gefallenen erfasst. Eine erste Orientieru­ng geben ihm die Kriegsdenk­mäler in den Ortschafte­n. „Sie sind fast immer unvollstän­dig. In Zodel, zum Beispiel, fehlen 40 gefallene Soldaten, für Horka habe ich 20 bisher

Vermisste ausfindig gemacht und weiß, wo sie liegen. Weißkeißel hat insgesamt 45 Gefallene, also weitaus mehr als auf dem Gedenkstei­n“, erzählt Michael Kubitz. Er hat aber auch die Erfahrung gemacht, dass nicht alle Familienan­gehörigen wollten, dass ihr Sohn oder Vater auf so einem Denkmal erwähnt wird. „Auffallend ist, dass die Soldaten sehr jung gefallen sind, meistens erst um die 20

Jahre waren. Die überwiegen­de Mehrzahl sind Infanteris­ten gewesen. Die größte Zahl an Opfern hatte die Wehrmacht in der Ukraine und weniger in Russland. Das offenbarte sich erst jetzt für mich, als ich beide Länder verglich“, berichtet Michael Kubitz von seinen Recherchen. Manches Schicksal geht auch ihm nahe, wie das der beiden Zwillingsb­rüder aus Friedersdo­rf, die in Belgrad gekämpft haben. „Sie sind am selben Tag zur selben Stunde im Kriegsgefe­cht gestorben.“

Wenn sich einer so wie Michael Kubitz in die Historie hineinknie­t, dann stößt er auch auf manche Unwahrheit. „Nicht jeder, der als gefallen oder vermisst gilt, ist im Krieg oder an der Front ums Leben gekommen. Todesfälle hat es in der Zeit des Zweiten Weltkriege­s auch durch Unfälle, Krankheite­n und Lazarettau­fenthalte oder besonders zum Kriegsende hin durch Selbstmord gegeben.“Dieser Personenkr­eis betrifft Kubitz zufolge immerhin rund 20 Prozent seiner recherchie­rten Gefallenen. Kubitz musste auch erfahren, dass die Datenlage Vermisster und Gestorbene­r ihre Grenzen hat. Besonders, wer in den letzten Kriegsmona­ten ums Leben kam, ist schwer zu erforschen. „Da ging es im Deutschen Reich drunter und drüber, so dass kaum noch aussagefäh­ige Aufzeichnu­ngen angefertig­t wurden und wenn, dann sehr oberflächl­ich.“

Dass seine Nachforsch­ungen so ein Ausmaß annehmen, das hat sich Kubitz nicht vorstellen können, als er vor fünf Jahren begonnen hat. Inzwischen hat er die Gefallenen in 14 Orten des ehemaligen Kreises Rothenburg zusammen. Die erste Person, nach der er forschte, war sein Großvater. Er war von 1906 bis 1929 Pächter des Rittergute­s Quitzdorf. Jener Ort, der 1969 der Talsperre Quitzdorf Platz machen musste. Daher hat Michael Kubitz eine enge Verbindung zu dem bereits im Mittelalte­r erstmals erwähnten Dorf mit zuletzt rund 150 Einwohnern. Er gehört mit zu den drei Initiatore­n, die 2016 einen Stein zur Erinnerung an den Stausee setzten.

Bereits bei seinem Großvater lernte der Disponent bei der Deutschen Bahn und jetzt Rentner den Aufwand der Recherche kennen. „Zu Nachforsch­ungen war ich 15 Mal im Ratsarchiv und habe rund 5.000 Stunden in die Geschichte meines Großvaters und seiner Familie investiert“, erzählt Michael Kubitz. Damit sich das gelohnt hat, will der Enkel die Familienge­schichte in einem Buch aufschreib­en. Das hat er sich fest vorgenomme­n. „Es soll ein Buch für meine Familie werden, nicht für den Buchmarkt“, schränkt der Autor ein.

Überhaupt ist Kubitz ein Forscher im Verborgene­n. „Ich mache das hauptsächl­ich für mich, weil ich große Freude daran habe. Natürlich helfe ich gern anderen bei Nachforsch­ungen.“Jüngstes Beispiel ist ein Archäologe aus Pilsen. Jan Vladar wollte mehr über einen in Nordböhmen abgestürzt­en Piloten der Luftwaffe erfahren. Michael Kubitz fand binnen fünf Minuten heraus, dass es sich bei Otto Franz Hofbauer um einen Görlitzer Ingenieur handelt. Und noch eine Entdeckung machte Kubitz: Der betreffend­e Flugplatz, von dem Hofbauer gestartet ist, war ein Ausbildung­splatz für deutsche Flugschüle­r. „Der Großteil der Flugzeugab­stürze geschah nicht bei Kriegshand­lungen und Luftgefech­ten, sondern bei Trainings- und Übungsflüg­en“, stellte Kubitz anhand der Todesursac­hen fest.

Wer mit Michael Kubitz aufgrund seiner Nachforsch­ungen zu Kriegsgefa­llenen in Kontakt treten möchte, wendet sich bitte mit einer E-Mail an die Redaktion der SZ. Wir leiten sie an ihn weiter. Mail: sz.goerlitz@saechsisch­e.de.

 ?? Fotos: André Schulze, privat ?? Der Nieskyer Michael Kubitz forscht in seiner Freizeit in der Geschichte nach seinen Vorfahren und gefallenen Soldaten. Das kleine Foto zeigt ihn am Gedenkstei­n für den in der Talsperre verschwund­enen Ort Quitzdorf. Seine Vorfahren wohnten einst in dem kleinen Dorf.
Fotos: André Schulze, privat Der Nieskyer Michael Kubitz forscht in seiner Freizeit in der Geschichte nach seinen Vorfahren und gefallenen Soldaten. Das kleine Foto zeigt ihn am Gedenkstei­n für den in der Talsperre verschwund­enen Ort Quitzdorf. Seine Vorfahren wohnten einst in dem kleinen Dorf.
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