Wie man sehenswert scheitert
Mal wieder „Clivia“in Dresdens Staatsoperette. Und mal wieder: Kitsch bleibt Kitsch, da helfen auch ein Theaterprofi wie Regisseur Peter Lund und ein fantastisches Ensemble nicht.
Nico Dostals „Clivia“ist ein Stück ganz nach dem Geschmack deutschen Operettenpublikums nach 1933. Seit dem Wochenende steht es wieder auf dem Spielplan der Staatsoperette Dresden. Die Komposition ist vielleicht nicht künstlerisch anspruchsvoll, aber wirksam und überaus effektvoll. Die Handlung ist trivial, geradezu typisch für Operette und Musikfilm der Entstehungszeit: ein exotischer Spielort, ein heiteres und ein ernstes Liebespaar, ein Erzschurke samt kurioser Helfershelfer, eine hochdramatische Zuspitzung, die sich in Wohlgefallen auflöst, weil die Musik mit einer süßen, dickflüssigen Soße alle aufgerissenen Gräben, alle scharfen Kanten mildert, zudeckt und ausfüllt.
Opulenz und Effekte
1998 hatte sich Ralf Nürnberger in Leuben am Stück versucht. Er wollte im Rückblick der alternden Clivia Film- und Realebene trennen, um die scheinheile Welt des Librettos zu entlarven. Nun hat Peter Lund einen anderen Versuch unternommen. Er breitet die Illusionswelt des Films in opulenten Bildern und effektvollen Arrangements aus und bricht sie mit Ironie und Konfrontation. Er scheitert grandios. Auch die „Realhandlung“ist von Dostals Musik und Ästhetik durchdrungen. Und das Publikum, wenigstens in der Sonntagnachmittagsvorstellung nach der Premiere, blendet die Ironie weitgehend aus. Zwei Beispiele:
Die Szene ist urkomisch. Die Filmdiva füttert den als Gaucho verkleideten Revolutionsführer, der ein unstillbares Faible für amerikanische Zigaretten und HollywoodFilme hat und auf einem viel zu kleinen Hocker zu ihren Füßen sitzt, mit Rührei. Der schlingt, als habe er mehrere Tage nichts Warmes zu essen bekommen. Doch das Publikum lacht nicht. Es schwelgt in dem Liebesduett, welches die beiden gleichzeitig schmelzend singen.
Oder: Wenn zum dramatischen Höhepunkt der Erschießungsbefehl der guten Diva und dem bösen Produzenten zugetragen wird, ist die Spannung im Zuschauerraum fast unerträglich. Obwohl ein Zitat aus Puccinis tragischer Oper „Tosca“die Absurdität der Szene entlarven will.
Peter Lund ist Theaterprofi. Viele Jahre hat er als Dozent der Musical-Klasse an der Hochschule der Künste Berlin quasi jährlich neue, effektvolle Musicals geschrieben. „Der Frosch muss weg“war in Radebeul zu erleben, „Grimm! Die Geschichte vom Rotkäppchen und ihrem Wolf “läuft derzeit erfolgreich im Kulturkraftwerk. Lund weiß, wie man Effekte setzt. Sie zu entlarven und zu konterkarieren, ist eine andere Nummer. „Clivia“bleibt Kitsch.
Die Konflikte und Probleme, die angesprochen werden, sind ebenso Pappmaché und Kulisse wie der südamerikanische Regenwald, der, abgebaut, eine ebenso kunstvoll errichtete Erdöl-Wüste freilegt. Die Revolution, die Emanzipation der Frau, entlarvte Korruption – all die Themen, die schon die Autoren ins Stück eingeschrieben haben, sind nur Dekoration für eine erwartbar gut ausgehende romantische Liebesbeziehung.
Wenn sich schlussendlich Clivia als neue Evita vor ihren Präsidentengatten schiebt, dann singt man halt nur noch von Clivia!
Geboten wird das Ganze in sehr guter Operettenqualität. Bei Bühne und Kostümen greifen Jürgen Franz Kirner und Daria Kornysheva in die Vollen. Da können Werkstätten und Technik zeigen, was sie draufhaben. Die Effekte sind beeindruckend. Ballett, Chor und Orchester der Staatsoperette sind bei Dostal in ihrem Metier. Das klingt, das rauscht, das hat Pfiff. Christian Garbosnik, der auch schon 1998 den Taktstock geschwungen hatte, bringt das richtige Feeling und die nötige Erfahrung ein. Mit Bart de Clercq bekommen Ballett und Solisten Schwung für effektvolle Tänze.
Steffi Lehmann als große Diva
Steffi Lehmann zeigt als Clivia gekonnt die große Diva. Wenn man gut aufpasst, sieht man auch, dass ihre Figur einfach nicht anders kann. Selbst wenn sie ehrlich Film und Schminke hinter sich lassen will, bleibt sie ein Produkt Hollywoods. Riccardo Romero, als Liebhaber Juan und Revolutionsführer Olivero ist zwar ein herrlicher Kontrast, aber natürlich trotzdem ein Operettengeneral, der stimmstarke Partner für herzerweichende Romanzen.
Überaus spannend ist die Konstellation des Buffopaares. Sascha Luder erfüllt mit enormer Spielfreude und tänzerischem Geschick das Rollenklischee. Silke Richter als kämpferisch-emanzipierte Guerillera führt den Spagat zur Soubrette mit großem, ansteckendem Humor vor.
Sehenswert, hörenswert, inhaltsleer. Applaus, Applaus – und dann?
Termine: 21. und 23. 4. sowie 4., 5., 7., 19. und 20. 5., Kartentel. 0351 32042222