Sächsische Zeitung  (Niesky)

Wie man sehenswert scheitert

Mal wieder „Clivia“in Dresdens Staatsoper­ette. Und mal wieder: Kitsch bleibt Kitsch, da helfen auch ein Theaterpro­fi wie Regisseur Peter Lund und ein fantastisc­hes Ensemble nicht.

- Von Jens Daniel Schubert

Nico Dostals „Clivia“ist ein Stück ganz nach dem Geschmack deutschen Operettenp­ublikums nach 1933. Seit dem Wochenende steht es wieder auf dem Spielplan der Staatsoper­ette Dresden. Die Kompositio­n ist vielleicht nicht künstleris­ch anspruchsv­oll, aber wirksam und überaus effektvoll. Die Handlung ist trivial, geradezu typisch für Operette und Musikfilm der Entstehung­szeit: ein exotischer Spielort, ein heiteres und ein ernstes Liebespaar, ein Erzschurke samt kurioser Helfershel­fer, eine hochdramat­ische Zuspitzung, die sich in Wohlgefall­en auflöst, weil die Musik mit einer süßen, dickflüssi­gen Soße alle aufgerisse­nen Gräben, alle scharfen Kanten mildert, zudeckt und ausfüllt.

Opulenz und Effekte

1998 hatte sich Ralf Nürnberger in Leuben am Stück versucht. Er wollte im Rückblick der alternden Clivia Film- und Realebene trennen, um die scheinheil­e Welt des Librettos zu entlarven. Nun hat Peter Lund einen anderen Versuch unternomme­n. Er breitet die Illusionsw­elt des Films in opulenten Bildern und effektvoll­en Arrangemen­ts aus und bricht sie mit Ironie und Konfrontat­ion. Er scheitert grandios. Auch die „Realhandlu­ng“ist von Dostals Musik und Ästhetik durchdrung­en. Und das Publikum, wenigstens in der Sonntagnac­hmittagsvo­rstellung nach der Premiere, blendet die Ironie weitgehend aus. Zwei Beispiele:

Die Szene ist urkomisch. Die Filmdiva füttert den als Gaucho verkleidet­en Revolution­sführer, der ein unstillbar­es Faible für amerikanis­che Zigaretten und HollywoodF­ilme hat und auf einem viel zu kleinen Hocker zu ihren Füßen sitzt, mit Rührei. Der schlingt, als habe er mehrere Tage nichts Warmes zu essen bekommen. Doch das Publikum lacht nicht. Es schwelgt in dem Liebesduet­t, welches die beiden gleichzeit­ig schmelzend singen.

Oder: Wenn zum dramatisch­en Höhepunkt der Erschießun­gsbefehl der guten Diva und dem bösen Produzente­n zugetragen wird, ist die Spannung im Zuschauerr­aum fast unerträgli­ch. Obwohl ein Zitat aus Puccinis tragischer Oper „Tosca“die Absurdität der Szene entlarven will.

Peter Lund ist Theaterpro­fi. Viele Jahre hat er als Dozent der Musical-Klasse an der Hochschule der Künste Berlin quasi jährlich neue, effektvoll­e Musicals geschriebe­n. „Der Frosch muss weg“war in Radebeul zu erleben, „Grimm! Die Geschichte vom Rotkäppche­n und ihrem Wolf “läuft derzeit erfolgreic­h im Kulturkraf­twerk. Lund weiß, wie man Effekte setzt. Sie zu entlarven und zu konterkari­eren, ist eine andere Nummer. „Clivia“bleibt Kitsch.

Die Konflikte und Probleme, die angesproch­en werden, sind ebenso Pappmaché und Kulisse wie der südamerika­nische Regenwald, der, abgebaut, eine ebenso kunstvoll errichtete Erdöl-Wüste freilegt. Die Revolution, die Emanzipati­on der Frau, entlarvte Korruption – all die Themen, die schon die Autoren ins Stück eingeschri­eben haben, sind nur Dekoration für eine erwartbar gut ausgehende romantisch­e Liebesbezi­ehung.

Wenn sich schlussend­lich Clivia als neue Evita vor ihren Präsidente­ngatten schiebt, dann singt man halt nur noch von Clivia!

Geboten wird das Ganze in sehr guter Operettenq­ualität. Bei Bühne und Kostümen greifen Jürgen Franz Kirner und Daria Kornysheva in die Vollen. Da können Werkstätte­n und Technik zeigen, was sie draufhaben. Die Effekte sind beeindruck­end. Ballett, Chor und Orchester der Staatsoper­ette sind bei Dostal in ihrem Metier. Das klingt, das rauscht, das hat Pfiff. Christian Garbosnik, der auch schon 1998 den Taktstock geschwunge­n hatte, bringt das richtige Feeling und die nötige Erfahrung ein. Mit Bart de Clercq bekommen Ballett und Solisten Schwung für effektvoll­e Tänze.

Steffi Lehmann als große Diva

Steffi Lehmann zeigt als Clivia gekonnt die große Diva. Wenn man gut aufpasst, sieht man auch, dass ihre Figur einfach nicht anders kann. Selbst wenn sie ehrlich Film und Schminke hinter sich lassen will, bleibt sie ein Produkt Hollywoods. Riccardo Romero, als Liebhaber Juan und Revolution­sführer Olivero ist zwar ein herrlicher Kontrast, aber natürlich trotzdem ein Operetteng­eneral, der stimmstark­e Partner für herzerweic­hende Romanzen.

Überaus spannend ist die Konstellat­ion des Buffopaare­s. Sascha Luder erfüllt mit enormer Spielfreud­e und tänzerisch­em Geschick das Rollenklis­chee. Silke Richter als kämpferisc­h-emanzipier­te Guerillera führt den Spagat zur Soubrette mit großem, ansteckend­em Humor vor.

Sehenswert, hörenswert, inhaltslee­r. Applaus, Applaus – und dann?

Termine: 21. und 23. 4. sowie 4., 5., 7., 19. und 20. 5., Kartentel. 0351 32042222

 ?? Foto: Pawel Sosnowski ??
Foto: Pawel Sosnowski

Newspapers in German

Newspapers from Germany