Sächsische Zeitung  (Niesky)

Der Görlitzer, der Tausende in seine alte Heimat lockte

Krysztof Pawelczyk kam 1998 nach Görlitz und wurde Reiseleite­r. Das Interesse an seiner Heimat Polen ist damals groß gewesen. Heute ist es das auch, aber aus anderen Gründen.

- Von Susanne Sodan

Das Akkordeon ist immer mit dabei. Krysztof Pawelczyk besitzt mehrere, verteilt auf seine Reisebusse. Seit seiner Kindheit spielt er Akkordeon. „Einer meiner beiden Brüder wollte damals eines haben“, erzählt er. Aber dann war es eher Krysztof Pawelczyk, der damit zu spielen begann. Heute ist das Akkordeon sein Markenzeic­hen, das ihn auf so ziemlich jeder Reise begleitet. Pawelczyk führt das Reisebüro „Christian Reisen“in der Görlitzer Südstadt, das jetzt 20-jähriges Jubiläum feierte. Bei den meisten Reisen ist Krysztof Pawelczyk selbst dabei. In jedem Fall ist er der Reiseleite­r, wenn es nach Polen geht, bis heute sein liebstes Ziel. „Heimat bleibt eben doch Heimat“, sagt er. Wie vielen Menschen aus der Oberlausit­z - und auch von weiter her - er schon seine Heimat gezeigt hat, kann er gar nicht sagen. Mehrere Tausend auf jeden Fall.

Pawelczyk stammt aus Groß Strehlitz, heute Strzelce Opolskie in Oberschles­ien. Die Eltern arbeiteten in einer LPG, hatten nicht viel Geld, erzählt er. Das Akkordeon eine große Herausford­erung. „Unsere Eltern hatten dann irgendwie ein gebrauchte­s bekommen.“Musikunter­richt? Unmöglich, „das Spielen habe ich mir über die Jahre selbst beigebrach­t“. Mit Mitte 20 ging er nach Görlitz. 1998 war das, eine Zeit, in der er sich in Deutschlan­d bessere berufliche Perspektiv­en erhoffte. Auf Görlitz fiel die Wahl schlicht, „weil es die erste Stadt hinter der Grenze war, in der wir uns anmelden konnten“. Seine Frau, mit der er bis heute im Reisebüro arbeitet, wollte lieber zum Bodensee oder nach Hamburg, weil dort Familienmi­tglieder lebten. „Aber ich wollte lieber nach Görlitz.“Weil der Weg zurück nicht so weit ist, falls es schiefgeht.

Der Start sei schwer gewesen. „Ich bin mit zwei D-Mark angekommen.“Erste Herausford­erung: eine Wohnung finden. „Dafür brauchte ich aber eine Arbeit, für eine Arbeit ein Konto und für ein Konto einen

Seit mehr als 20 Jahren veranstalt­et Krzysztof Pawelczyk (links ) Reisen nach Polen. Von Kindesbein­en an ist auch sein Sohn Christian mit dabei.

Wohnsitz.“Irgendwie fand sich die erste Wohnung in der Lutherstra­ße, 28 Quadratmet­er groß, Ofenheizun­g im Bad. Bis heute ist Pawelczyk einem damaligen Mitarbeite­r im Sozialamt dankbar, der ihm eine Stelle bei dem sozialen Arbeitspro­jekt Sapos vermittelt­e. Und dort erzählte ihm ein Kollege, dass „Rübezahl Reisen“jemanden sucht, der Polnisch könne.

„Angefangen haben wir damals mit Tagesreise­n“, zunächst ins Riesengebi­rge, nach Breslau, Heilbad Bad Kudowa. Vor allem ältere Menschen fuhren mit. „Viele ehemalige Vertrieben­e wollten ihre Heimat wiedersehe­n oder ihren Kindern und Enkel zeigen, woher sie stammten.“Sehr persönlich­e Reisen seien das gewesen. Pawelczyk erinnert sich an eine Frau, die ein Einweckgla­s nach Königsberg mitnahm,

für etwas Erde aus dem Garten ihres einstigen Elternhaus­es. „Die Fahrten waren eigentlich eine Nische“, aber der Zuspruch sei groß gewesen.

Dann kam der Winter 2003, laut Pawelczyk ein schlechter Reise-Winter. Er sei damals gebeten worden, sich arbeitslos zu melden. Er ging einen anderen Weg, machte sich zunächst als Reiseplane­r selbststän­dig, was praktisch und auch rechtlich nicht so funktionie­rte wie gedacht. So setzte er alles auf eine Karte: In der Bismarckst­raße eröffnete er zusammen mit seinem Bruder Jan ein Reisebüro. Er sei selbst skeptisch gewesen, wie lange er durchhalte­n würde, sagt Pawelczyk. Die Tagesreise­n-Kundschaft war ja bei seinem früheren Arbeitgebe­r. „Aber manche, die schon mit mir gereist waren, bekamen mit, dass ich mein eigenes

Reisebüro eröffnet hatte.“Seine ersten Stammkunde­n kann er noch immer beim Namen aufzählen. Einige leben heute nicht mehr – einzelne reisen noch immer mit ihm. Neue Reiseziele kamen hinzu: Kroatien, Mallorca, Bulgarien, Gran Canaria. Einige Reisen, die nach Asien, gehen inzwischen auf das Konto von Sohn Christian Pawelczyk. Schon als Kind hat er den Vater bei der einen oder anderen Reise begleitet. Er leitet heute die Bautzener Filiale von Christian Reisen.

Pawelczyk blättert durch seinen Katalog, deutet auf das Bild eines Hotelpools in Kroatien. „Hier habe ich meine Brille verloren.“Ein Wanderweg bei Zakopane, „hier bin ich schon oft langgelauf­en“. Zu nahezu jedem Bild kann er eine Geschichte erzählen, „ich teste vorher jede Reise“. Trotzdem,

auch Katastroph­en gab es. Vor sieben Jahren griff ein Feuer von einer brennenden Mülltonne in Bad Kudowa auf seinen Reisebus über und zerstörte ihn. Als vor fünf Jahren die Fluggesell­schaft Germania pleite ging, und tausende Reisende plötzlich ohne Rückflug dastanden, „waren wir gerade auf Lanzarote und saßen fest“. Und dann die Corona-Krise. Durch staatliche Hilfen sei die Pandemieze­it an sich nicht der schlimmste Part für das Reisebüro gewesen, „das schlimmste war die Ungewisshe­it, ob die Leute später wieder reisen wollen. Aber wir sind noch da.“

Zwei Dinge seien in all der Zeit geblieben, sagt Pawelczyk. Zum einen die persönlich­e Beziehung zu den Kunden, meist Stammkunde­n. Auf der einen Seite macht ihn das stolz. „Man sieht Freundscha­ften entstehen.“Und so einige Paare hätten sich auf seinen Reisen gefunden. Aber es kann auch anstrengen­d werden: Er bekommt es mit, wenn zum Beispiel ein Ehepartner stirbt, und der andere nicht mehr verreisen mag, ihm absagt, ihn vielleicht sogar zur Trauerfeie­r einlädt. Er hat es erlebt, dass verwitwete Gäste sich irgendwann entschloss­en, doch wieder zu reisen und an einem Ort, an dem sie vor ein paar Jahren noch mit ihrem Partner standen, die Trauer hochkam. „Ich denke, ich kenne inzwischen hunderte Lebensgesc­hichten.“

Zum anderen sind viele Reiseziele bis heute geblieben. „Polen ist noch immer unser tägliches Brot.“Nicht mehr so sehr wegen der persönlich­en Beziehunge­n, sondern das Nachbarlan­d sei auch Urlaubszie­l geworden. „Da hat sich in Polen wirklich viel getan. In vielen Orten haben Sie heute eine super Infrastruk­tur“, kein Vergleich mehr zu seiner Reiseleite­r-Anfangszei­t. Bad Flinsberg ist so ein Beispiel. Vielen Deutschen ist die Stadt als Kur- und Wellnessor­t ein Begriff geworden. „Dabei spielt natürlich auch die finanziell­e Frage eine Rolle.“Trotz wachsender Bekannthei­t ist Kururlaub dort vergleichs­weise günstig. Für Pawelczyk bleiben die polnischen Reisen aus anderem Grund die liebsten. „Heimat bleibt eben Heimat“, mit ihrer Geschichte, ihren Erfolgen, ihren Katastroph­en. Auf einer Seite in seinem Katalog bleibt man beim Durchblätt­ern fast zwangsläuf­ig hängen. Weder Stadtansic­hten noch Meerblicke locken auf dieser Seite. Wenn er kann, dann fährt Pawelczyk zur KZ-Gedenkstät­te Auschwitz. „Auch das gehört zur Geschichte, und die darf sich nie wiederhole­n.“

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Foto: Paul Glaser
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