Spezialpraxis muss schließen: Neurologie-Patienten stehen im Regen
Eine Großschönauerin braucht regelmäßig lebensrettende Infusionen. Bisher bekam sie die in einer Ambulanz am Görlitzer Klinikum. Die aber darf plötzlich nicht mehr praktizieren.
Der Anruf aus Görlitz ist ein Schock für Monika* aus Großschönau. Eine Neurologin aus dem Städtischen Klinikum teilt der Rentnerin voller Bedauern mit, dass sie vorerst nicht mehr zur Behandlung in die Spezialambulanz für neuromuskuläre Erkrankungen kommen könne. Denn die Ambulanz müsse schließen. Monika ist entsetzt: „Die Behandlung ist für mich doch lebenswichtig. Was soll ich denn jetzt machen?“, fragt sie. Und das fragen sich gerade sehr viele betroffene Patienten mit hochkomplizierten, lebensbedrohlichen Nervenleiden in der Oberlausitz.
Bei Monika fängt es vor anderthalb Jahren an. Sie kann auf einmal ihre Beine nicht mehr spüren. Sie kann nicht mehr laufen, kann sich nicht mehr bewegen, ihre Augen nicht mehr steuern. „Ich konnte meine Muskulatur überhaupt nicht mehr kontrollieren“, sagt die 79-Jährige. „Es war, als wäre die Verbindung vom Gehirn zum Körper weg.“Die Ärzte werden eine schwere neuromuskuläre Erkrankung feststellen. Sie würde unweigerlich zum Tode führen, wenn sie nicht behandelt wird. Aber die Neurologen machen Monika Mut. Es gibt ein Medikament, das die Erkrankung in Schach halten kann. Wenn ihr Körper es regelmäßig bekommt, kann Monika relativ gut mit ihrer Krankheit leben. Sie bekommt nun regelmäßig Infusionen mit diesem speziellen Medikament. Es ist eine teure und hochkomplizierte, ambulante Behandlung, für die es schon sein vielen Jahren an der Neurologischen Klinik des Städtischen Klinikums in Görlitz extra eine Spezialambulanz gibt. Vielmehr: Es gab die Ambulanz. Denn seit diesem Monat dürfen die Görlitzer Neurologen dort plötzlich nicht mehr praktizieren. Der Grund ist weder für die betroffenen Patienten noch für andere niedergelassenen Neurologen, wie die Zittauer Fachärztin Kyra Ludwig nachvollziehbar. Denn was bisher jahrelang erfolgreich funktionierte, soll auf einmal nicht mehr alle vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllen.
Weil die bisher geltende Verordnung für ambulante Behandlung im Krankenhaus ausgelaufen ist, musste die Klinik ihre Berechtigung zur „Ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung“bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) in Sachsen und dem Erweiterten Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen neu beantragen. Dabei wurde „nach sorgfältiger Prüfung der eingereichten Unterlage bedauerlicherweise festgestellt“, dass das Görlitzer Klinikum „die erforderlichen Richtlinien“für diese Ambulanz nicht erfüllt. So teilt es eine KV-Sprecherin auf Nachfrage der SZ mit. Damit habe dem Antrag leider nicht stattgegeben werden können, bedauert die Sprecherin. Die KV stehe jedoch eng mit dem Klinikum in Kontakt, heißt es aus Dresden. Sobald die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt werden, könne neu über den Antrag entschieden werden.“
So lange aber können Monika aus Großschönau und viele andere der nach Klinikangaben insgesamt 180 betroffenen Patienten, die ihre regelmäßigen Behandlungen brauchen, nicht warten. „Wenn ich die Infusionen nicht in den regelmäßigen Abständen bekomme, kann ich mich nicht mehr bewegen und es geht mir von Tag zu Tag schlechter“, erklärt die Rentnerin. Was also tun? Sie versucht es zuerst am Fachkrankenhaus
in Großschweidnitz. Dort wird sie abgewiesen. Man könne die spezielle Behandlung nicht leisten, erfährt sie. Die nächsten Spezialambulanzen gibt es in Dresden, Leipzig und Berlin.
Teure Behandlung
Monika ruft bei der Zittauer Neurologin Kyra Ludwig an. Sie ist längst nicht die einzige: „Bei uns klingeln sich seit Tagen die Telefone heiß, wir können uns gar nicht mehr retten“, sagt die Fachärztin. Aber auch sie kann die betroffenen Patienten nicht so ohne Weiteres aufnehmen. „So eine Infusion kostet über 3.000 Euro, das sind rund 10.000 Euro im Quartal“, erklärt die Neurologin. „Ein so großes Budget für Medikamente habe ich gar nicht.“Und überschreiten darf sie ihr Budget nicht, sonst droht ihr Regress. Zudem muss die Infusion unter Aufsicht gegeben werden. Das geht nur in einer Praxis, in der Patienten auch mehrere Stunden unter Beobachtung bleiben können. Weil die Zeit bei Monika aber drängt, hat Kyra Ludwig auch das organisiert. Sie stellt ihr das notwendige Rezept aus. Die Behandlung übernimmt dann Dr. Mathias Schulze in seiner Zittauer Praxis für Onkologie, der die Betreuung während der Infusion sicherstellen kann.
Die Großschönauerin ist froh und erleichtert, dass ihr auf diese Weise geholfen wird. Aber sie weiß auch, dass das kein Dauerzustand sein kann. „Was die KV da macht, ist doch unverantwortlich“, sagt Kyra Ludwig. „Man kann doch nicht urplötzlich so eine Entscheidung treffen. Da muss man doch eine schnelle Lösung finden im Sinne der Patienten.“
An der Lösung wird gearbeitet, heißt es aus dem Städtischen Klinikum. „Wir haben unsere Anzeige nach der Ablehnung unverzüglich aktualisiert und unter Berücksichtigung aller geforderten Richtlinien erneut eingereicht“, teilt eine Sprecherin mit. „Da wir alle Voraussetzungen erfüllen, gehen wir davon aus, dass die Ambulanz unseren Patientinnen und Patienten bald wieder zur Verfügung stehen wird.“Wann allerdings „bald“ist, kann man im Görlitzer Klinikum nicht sagen. Das hängt an der KV.