Sächsische Zeitung (Pirna Sebnitz)
Eine einzige Frostnacht rafft den ganzen Wein in Pirna und Freital dahin
Minusgrade ließen die schon austreibenden Reben erfrieren. Die Winzer sprechen von einem Totalausfall, einen 2024er-Jahrgang wird es wohl nicht geben.
Die Katastrophe kam über Nacht, nur wenige Stunden reichten aus, um nahezu alles zu zerstören. Seit 28 Jahren betreibt Wolfgang Winn aus dem Pirnaer Ortsteil Graupa Weinbau, es ist sein Hobby. Die sächsische Weinstraße beginnt in Pirna, es ist schon lange sein Anspruch, diese Tradition am Leben zu erhalten. Winn bewirtschaftet eine Fläche von rund 6.000 Quadratmeter, seine Weinstöcke gedeihen an Hängen in Pirna-Copitz sowie am königlichen Weinberg in Dresden-Pillnitz. Mehrere Qualitätsweine sind daraus schon hervorgegangen. Rund 2.500 Flaschen produziert er pro Jahr.
Erst vor kurzem hat er die Reben verschnitten, eine der wichtigsten Arbeiten im Weinberg, wie er sagt. Der Rebschnitt legt die Grundlage für die Weinqualität, das Holz der Weinstöcke ist gut und gesund, die Pflanzen sind 2023 gut gewachsen. Das warme Wetter Anfang April ließ die ersten Triebe austreiben. Alles schien gut und vielversprechend – bis zum 22. April.
An jenem Montag schaute Winn nach seinen Reben, da war noch alles Ordnung. Doch mit dem hereinbrechenden KurzzeitWinter fuhr in der Nacht zum Dienstag der Frost in die Weinstöcke, die Temperaturen in Pirna lagen bei minus sechs Grad, und ließen dem Wein keine Chance. „Alle Triebe sind tot“, sagt Winn, „so etwas habe ich in den 28 Jahren noch nicht erlebt.“Blattspitzen und Gescheine – die länglichen, rispenartigen Blütenstände der Weinrebe – waren allesamt kaputtgefroren, alles hängt herunter wie welkes Laub. „Das Weinjahr ist gelaufen“, sagt er.
Das Frost-Desaster in Winns Weinbergen ist kein Einzelfall. Auch andernorts hat der Kurzzeit-Wintereinbruch die Winzer kalt erwischt. Im großen Elbland-Weinanbaugebiet in den Regionen Meißen und Radebeul ist nahezu die gesamte Ernte dahin, ehe sie reifen konnte. Und auch in den wenigen Anbaugebieten im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge sind mindestens 90 Prozent der Trauben erfroren, die Pirnaer Winzer sprechen gar von einem Totalausfall. Möglicherweise wird es keinen 2024er Wein geben.
Auch Katja Riedel steht am Mittwochmorgen bedrückt in ihrem Weinberg in Pirna-Copitz. Die jungen Triebe der Weinstöcke sind alle grau und erfroren. „Es ist eine Katastrophe, wirklich, wirklich schlimm“, sagt die Pirnaer Hobbywinzerin. Bei ihr hatte der Frost in der Nacht zum Dienstag ebenso extreme Schäden angerichtet, auch bei ihr fällt die Ernte in diesem Jahr wohl komplett aus.
Riedel bewirtschaftet seit zwölf Jahren Weinberge in Dresden-Pillnitz, DresdenOberpoyritz und Pirna-Copitz. Auf einer Fläche von insgesamt 4.000 Quadratmeter gedeihen mehrere Sorten, die allesamt vom Kältetod betroffen sind. „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, sagt die ehemalige Weinkönigin.
Die Pflanzen vor solchen Nachtfrösten zu schützen, sei schwierig. Der Einsatz von
Frostschutzkerzen sei für sie keine Option, weil es zu unwirtschaftlich ist. Feuer zwischen den Rebstöcken könne man in den Steillagen auch nicht entzünden, weil beispielsweise in Pirna unterhalb des Weinbergs Wohnhäuser stehen. Eine Möglichkeit wäre gewesen, die Reben abzudecken. „Aber so viele Planen habe ich gar nicht“, sagt die Winzerin.
Mit Blick auf die Weinreben graben sich auch Lars Folde und seiner Mannschaft von Gut Pesterwitz in Freital tiefe Sorgenfalten in die Stirn. Denn noch ist fraglich, welcher Ertrag sich nach den jüngsten Nachtfrösten am Ende von den Rebstöcken holen lässt. Auch der schon zart heranreifende Wein des Gutes Pesterwitz war über mehrere Stunden hinweg Temperaturen von minus fünf bis minus sieben Grad ausgesetzt. Es sei allerdings unmöglich gewesen, die die etwa 80.000 Quadratmeter großen Flächen zu beheizen. Rund 50 Tonnen Trauben ernteten er und seine Mannschaft im vergangenen Jahr, in diesem Jahr könnten es im schlimmsten Fall nur zehn Prozent dieser Menge sein – das wären dann nur etwa 3.000 der sonst üblichen 30.000 Flaschen. Das ist auch finanziell eine Katastrophe.
Folde lebt von der Landwirtschaft. Aber auch den Pirnaer Hobbywinzern setzt der Ausfall finanziell zu. Sie haben laufende Kosten und wissen derzeit nicht, wie sie sie decken sollen. Den 2023er Wein von Wolfgang Winn wird es daher ab sofort nicht mehr in Geschäften und ab Hof zu kaufen geben. „Ich versuche jetzt, ihn bei Weinfesten und anderen Gelegenheiten so teuer wie möglich zu verkaufen“, sagt er, „um zumindest einen Teil meiner Kosten zu erwirtschaften.“
Kommt es in diesem Jahr tatsächlich zum befürchteten Ernte-Totalausfall, kann auch Katja Riedel die Verluste kaum kompensieren. „Zwar werden Frostversicherungen angeboten, aber das ist für mich nicht realistisch“, sagt sie. Das heißt im Endeffekt: Sämtliche Kosten laufen weiter, aber die Einnahmen fehlen.
Ein wenig Zuversicht bleibt immerhin. Die ganze Hoffnung von Lars Folde liegt jetzt darin, dass die Pflanzen trotz des verspäteten Winterintermezzos weiterwachsen und sie im nächsten Jahr die Landwirte wieder mit größeren Erträgen beglücken. Auch bei Katja Riedel ist noch eine vage Hoffnung, dass die Reben – wenn nicht der gesamte Rebstock erfroren ist – vielleicht jetzt noch einmal neu austreiben und eine Lese im Herbst möglich machen. Allerdings ist die Vegetationsphase ihrer Ansicht nach dafür schon zu weit fortgeschritten.
Wolfgang Winn ist da pessimistischer. „In diesem Jahr reift da nichts mehr nach“, sagt er. Die Reben müssen jetzt erst wieder von unten nachwachsen, aus den Bereichen, die der Frost verschont hat. So bleibt derzeit nur die unsichere Aussicht, dass die in diesem Jahr doch noch keimenden Triebe dann eine gute Grundlage für 2025 sind.
Und Wolfgang Winn bleibt zumindest noch ein kleiner Trost. Aufgrund des idealen Wetters ist der 2023er Weinjahrgang ein besonders guter, mit angenehmer Restsüße und nicht zu viel Säure. Auch ist der Vorjahres-Wein ein ungewöhnlich ertragreicher, Winn hat statt der sonst üblichen 2.500 Flaschen nun etwa 3.500 Flaschen Wein produziert. Mit deren Verkauf, so hofft er, lasse sich zumindest ein Teil des Ertragsausfalls in diesem Jahr kompensieren.