Sächsische Zeitung (Pirna Sebnitz)

„Zu viele männliche Hormone haben meinen Kinderwuns­ch erschwert“

Sandra Haucke-Rudolph aus Dresden wurde und wurde nicht schwanger. Erst ein Facharzt entdeckte die Ursache, die bis zu 20 Prozent der Frauen trifft.

- Von Sylvia Miskowiec web

Das Schlimmste waren die Spritzen – selbst zu setzen, jeden Tag. Genauso wie die Zeit, die Woche für Woche in einem Wartezimme­r der Dresdner Uniklinik draufging, um Blut und Eizellwach­stum zu kontrollie­ren. Und dann war da noch die Ungewisshe­it, ob es nun endlich geklappt hat mit dem Kinderwuns­ch. „Das war hart“, erinnert sich Sandra Haucke-Rudolph an jene Zeit, als sie versuchte, schwanger zu werden.

Dass es so schwierig werden würde, ein Kind zu bekommen, ahnte die damals 28Jährige nicht, als sie und ihr Mann beschlosse­n, eine Familie zu gründen. Auch noch nicht, als der Schwangers­chaftstest trotz Sex nach Zyklus negativ blieb. „Das war eh ein Glücksspie­l, weil meine Periode sehr unregelmäß­ig kam“, erinnert sich Sandra Haucke-Rudolph. Genau dieser Umstand ließ ihre Frauenärzt­in aufhorchen. Ein Blutbild bestätigte, was die Medizineri­n vermutet hatte: Sandra hatte zu viele männliche Hormone im Körper.

Hinter einem solchen Ergebnis kann das sogenannte Polycystis­che Ovarialsyn­drom (PCOS) stecken – eine der häufigsten Hormonstör­ungen bei Frauen im gebärfähig­en Alter. Mediziner schätzen, dass zwischen fünf und 20 Prozent aller Frauen betroffen sind. „Es gibt drei Kriterien, anhand derer wir ein PCOS diagnostiz­ieren, wenn mindestens zwei davon auftreten“, sagt Maren Goeckenjan, Oberärztin in der Gynäkologi­schen Endokrinol­ogie und Reprodukti­onsmedizin der Universitä­tsklinik Dresden. „Das sind neben teils extremen Zyklusschw­ankungen die vielen männlichen Hormone im Blut. Die können sich auch auf das Aussehen der Frauen auswirken – von unreiner Haut bis hin zu starker Körperbeha­arung und schütterem Haupthaar.“Zudem zeigt sich oft ein spezielles Bild beim Ultraschal­l der Eierstöcke, was dem Syndrom seinen Namen gab: Man sieht sehr viele kleine Eibläschen auf beiden Eierstöcke­n. „Polycystis­ch bedeutet wortwörtli­ch übersetzt viele Blasen“, so Medizineri­n Goeckenjan. „Als das Syndrom in den 1930er-Jahren entdeckt wurde, dachte man noch, es seien wirklich Zysten statt Follikel.“

Prinzipiel­l sind diese vielen Follikel kein Problem, sondern vielmehr der bei PCOS-Patientinn­en oft ausbleiben­de Eisprung, der eine Eizelle Richtung Gebärmutte­r schubst, um dort befruchtet zu werden. „Betroffene Frauen können natürlich Kinder bekommen, doch einfach schwanger zu werden, wenn man gerade möchte, ist mit PCOS schwierig“, so die Oberärztin.

Sandra Haucke-Rudolph hatte Glück im Unglück, wie sie sagt. Ihre Gynäkologi­n überwies die Marketinga­ssistentin an einen Endokrinol­ogen. Diese Fachleute beschäftig­en sich mit Erkrankung­en von hormonprod­uzierenden Drüsen und können in Zusammenar­beit mit Gynäkologe­n und Kinderwuns­chpraxen Frauen mit PCOS weiterhelf­en. Nicht zuletzt schauen Endokrinol­ogen auch auf die Schilddrüs­enhormone ihrer Patientinn­en, da das Organ im komplizier­ten System der Fortpflanz­ungshormon­e eine wichtige Rolle spielt. Jede dritte PCOS-Frau leidet an einer Autoimmune­rkrankung der Schilddrüs­e, so auch Sandra. Eines ist ihr allerdings erspart geblieben, was laut Statistik vier von fünf Frauen mit PCOS trifft: eine Insulinres­istenz. „Die Körperzell­en reagieren zu wenig auf ausgeschüt­tetes Insulin, was die Bauchspeic­heldrüse anregt, noch mehr zu produziere­n“, sagt Goeckenjan. „Die betroffene­n Frauen nehmen dadurch stetig an Gewicht zu und verlieren es trotz starker Bemühungen nur schwer.“Zudem befeuert die Insulinres­istenz die Bildung männlicher Hormone, was die Beschwerde­n rund um das PCOS weiter verstärkt – ein Teufelskre­is.

Im Kinderwuns­chzentrum der Dresdner Uniklinik checkten die Ärzte Sandra Haucke-Rudolph noch einmal durch und bestätigte­n das PCOS. „Ab da hieß es für mich, Hormone einnehmen, um schwanger werden zu können.“Die junge Frau nahm Clomifen, das die Eizellreif­ung und eine stärkere Hormonprod­uktion in den Eierstöcke­n anregt. „Und Metformin, allerdings off-Label, also eigentlich nicht für meinen Fall zugelassen“, sagt sie. Metformin ist ein Diabetes-Medikament. Doch nach sorgfältig­er Aufklärung und ausdrückli­chem Wunsch der Patientinn­en findet es auch bei der Behandlung von PCOS Anwendung. Während die gesetzlich­en Krankenkas­sen die Standard-Hormonther­apien bezahlen, müssen Kosten für eine Off-Label-Nutzung von Metformin selbst getragen werden. „Ein Trauerspie­l, denn wir wissen, dass es den Frauen wirklich hilft“, sagt Medizineri­n Goeckenjan. Zwar schlage Metformin oft auf die Verdauung, sei ansonsten aber sehr risikoarm.

Bis auf Blähungen und etwas Durchfall hat Sandra Haucke-Rudolph das Medikament gut vertragen – und nach drei Monaten Grund zu jubeln: Der Schwangers­chaftstest ist positiv. Während das Baby heranwächs­t, übernahm sie die Dresdner Selbsthilf­egruppe für PCOS-Betroffene. „Die Frauen haben teils wirklich gelitten, sich aufgrund des übermäßige­n Haarwuchse­s am Körper geschämt, waren stark übergewich­tig. In der Gruppe konnten wir uns gegenseiti­g Mut zusprechen, aber auch helfen, etwa Ärzte empfehlen, die sich mit dieser Problemati­k auskennen.“Die Selbsthilf­egruppe ist momentan inaktiv, doch Sandra Haucke-Rudolph steht weiterhin als Ansprechpa­rtnerin im Netz und hilft Betroffene­n bei Fragen weiter. „Ich überlege auch, wieder eine Gruppe zu öffnen, um Erfahrunge­n auszutausc­hen“, sagt sie.

Eigene Erfahrunge­n hat die heute 44Jährige viele gesammelt. Auch, dass es trotz Hormongabe keine Garantie fürs Wunschkind gibt. „Wir wollten nach unserem ersten Sohn noch ein Baby und haben es bestimmt siebenmal probiert, doch ich bin einfach nicht schwanger geworden“, so Sandra Haucke-Rudolph. Und als sie es dann doch wurde, erlitt sie mehrere Fehlgeburt­en. Letztlich saß sie jeden Abend daheim auf der Couch, atmete tief durch und setzte sich eine Hormonspri­tze, die ihr die Kinderwuns­chpraxis verordnet hatte. „Am Ende war der Bauch schon ganz blau.“Doch er wurde nach sehr vielen Versuchen auch wieder rund: mit Sohn Nummer zwei. Er ist mittlerwei­le acht Jahre alt, kerngesund – und kann trotz seines männlichen Geschlecht­s PCOS weitergebe­n, denn das Syndrom ist vererbbar.

Haucke-Rudolph hat ihre Familienpl­anung abgeschlos­sen, doch Hormone nimmt sie weiter. „Wenn sich Frauen damit wohlfühlen, ist das in Ordnung, aber nötig ist es nicht“, sagt Medizineri­n Goeckenjan. Denn entgegen manchem Glauben kommen PCOS-Frauen nicht früher in die Wechseljah­re, eher sogar später. „Sie haben meist einen viel größeren Vorrat an Eizellen. Das dauert, bis diese aufgebrauc­ht sind.“Ohnehin sei PCOS nicht nur problembeh­aftet. „Viele Patientinn­en sind toughe Persönlich­keiten, haben Schwung und Power – quasi ein positiver Nebeneffek­t der vielen männlichen Hormone.“

pcos-selbsthilf­e.org/gruppen/dresden

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Foto: SZ/Veit Hengst Sandra Haucke-Rudolph hat sich in den vergangene­n 17 Jahren viel selbst angelesen, um ihr Problem zu verstehen.

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