Sächsische Zeitung (Pirna Sebnitz)
So erlebte eine Ersthelferin den Blitzeinschlag in Dresden
Eben hatten sie noch Geburtstag am Elbufer in Dresden gefeiert, dann machte ein Knall dem Treiben ein jähes Ende. Vida Rezaei zögerte keinen Moment, um den Verletzten zu helfen.
Das Flüchten unter die riesige Pappel am Rosengarten am Dresdner Elbufer half nichts. So sehr sich die Gruppe Feiernder am Abend des Pfingstmontags auch an den Baumstamm kauerte, die dicken Regentropfen trafen sie trotzdem. Die Freunde lachten sich aus, wie sie nun pitschenass waren, wie auf einem Video zu sehen ist. Das wird jäh von einem Knall unterbrochen. Alle zuckten zusammen, weil es sich so nahe anhörte. Der Schreck löste erst mal verständnisloses Gekicher aus.
Das war aber sofort verflogen, als nur Sekunden später jemand auf die Gruppe zugerannt kam und bat, dass jemand mit dem Handy einen Notarzt rufen sollte. Ein Blitz habe Menschen verletzt. Atemstillstand. Vida Rezaei verstand zwar nicht jedes Wort, merkte aber sofort, dass etwas Ernstes passiert war.
Ohne zu zögern lief die 36-Jährige sofort los, die wenigen Meter auf die Elbwiese, wo sich fast am Ufer ein Pulk von Menschen befand. „Da sah ich zwei Männer und eine Frau im Gras liegen. Ein Mann hat versucht, abwechselnd Herzdruckmassage bei zwei Verletzten zu machen. Ich habe geholfen und Atem gegeben“, berichtet die gebürtige Iranerin in gutem Deutsch. Auch ihr Bruder habe sofort geholfen.
Der Regen prasselte da noch unermüdlich auf alle Beteiligten ein. Auf dem anderen Elbufer war wenig später sogar noch ein weiterer Blitzeinschlag vernehmbar, der offenbar glimpflicher ausgegangen war. „Wir wollten erst mal nur helfen, das Drumherum haben wir gar nicht richtig wahrgenommen“, sagt Rezaei.
Sie war überrascht, aber auch froh, dass nur wenige Minuten vergingen, bis der Rettungsdienst eingetroffen war. Dann konnten sie sich wieder zurückziehen. „Alle Helfer hatten große Angst, weil sich wegen des Atemstillstands schon die Haut einer der beiden Männer dunkler verfärbte“, sagt die Ersthelferin. Geschockt saßen sie nun wieder als Gruppe zusammen und beobachteten die Einsatzkräfte aus der Entfernung.
Insgesamt waren zehn Menschen bei dem Blitzeinschlag verletzt worden, wie die Feuerwehr am nächsten Tag mitteilt. Zwei Menschen mussten reanimiert werden, bei vier Personen bestand offenbar Lebensgefahr. Wie es ihnen geht, dazu gab es bislang keine Auskunft.
Für Vida Rezaei wäre das aber sehr wichtig. Die Nacht danach hat sie kaum geschlafen und schlecht geträumt. Sie fragte auch persönlich in der Uni-Klinik nach, ob es den Patienten gutgeht, ob die beiden
Männer gerettet seien. Dort erklärte man ihr, dass nur Angehörige Auskunft bekämen. Im Gehen habe ihr nur jemand zugerufen, dass nur ein Patient dort auf der Intensivstation liege, dieser aber schon wieder ansprechbar sei und es ihm den Umständen entsprechend gutgehe.
„Auch von dem anderen Mann zu hören, das würde mir etwas Ruhe geben“, sagt sie, als sie am Tag danach noch mal an den Ort des Geschehens ging, um das Erlebte irgendwie zu verarbeiten. „In dem Moment funktioniert man nur“, sagt sie.
Es ist gerade mal drei Monate her, dass sie einen Ersthelferkurs für den Führerschein gemacht hat. Da wurde auch an einem Dummy Herz-Druck-Massage geübt.
Dass sie das schnell praktisch beweisen musste, darauf hätte sie einerseits gern verzichtet. Andererseits hilft ihr das aber auch, um ein trauriges Erlebnis aus ihrer Vergangenheit zu tilgen.
Vor zehn Jahren hatte sie als junge Frau erleben müssen, wie ihr Großvater vor ihren Augen an einem Herzinfarkt gestorben war. Sie und ihre Mutter wussten einfach nicht, was zu tun gewesen wäre. So hilflos wollte sie nie wieder sein und las sich einiges Wissen an. Entsprechend engagiert ging sie auch ihren Erste-Hilfe-Kurs an.
Seit dreieinhalb Jahren lebt die Architektin in Deutschland, hat Sprachkurse belegt und kurzzeitig auch schon einen Job gehabt. Dass das nicht beim ersten Mal geklappt hat, lässt sie nicht entmutigen. In den Iran zurück könne sie ohnehin nicht als Frau, die das freiheitliche Leben in Deutschland gesucht und gefunden hat. Sie trägt ihr Haar offen und hat sich eine Haarsträhne gefärbt.
Fast die gesamte Familie hat den Iran verlassen. In Dresden hat sie inzwischen Freunde gefunden. Sie waren eine gemischte Truppe von etwa 40 Leuten, die sich am Pfingstmontag am Elbufer trafen, darunter viele Deutsche. Einer von ihnen feierte seinen Geburtstag. Daran war nach dem Blitz aber nicht mehr zu denken. Etwa eine Stunde danach, als die Verletzten abtransportiert waren, verließen auch Vida Rezaei und ihre Freunde das Elbufer. Erst in der Straßenbahn merkte sie, wie durchnässt ihre Kleidung vom Regen und dem
Knien auf der Wiese war. Zu Hause angekommen hat sie erst mal ihrer Mutter und einer Freundin eine Nachricht geschrieben, dass sie sie liebt. Schnell kann es zu spät sein, sich das zu sagen.
Möglicherweise war die Gruppe der Verletzten mit Fahrrädern am Elbufer unterwegs. Jedenfalls lagen um die Verletzten welche. Ob das Metall eine Rolle für den Blitzeinschlag gespielt hat, kann nur spekuliert werden.
Daten des Blitz-Informationsdienstes von Siemens – kurz „Blids“– auf dem Wetterportal Kachelmann.com zeigen, dass es sich um einen negativ geladenen WolkenErde-Blitz handelte, der um 17.02 Uhr einschlug. Die Stärke betrug acht Kiloampere, womit der Blitz eher zu den schwächeren zählte. „Dass es in Dresden keine Toten gab, liegt nur am Glück, dass es ein relativ schlapper Blitz war“, postete Jörg Kachelmann am Dienstag beim Kurznachrichtendienst X.
Das dürfte aber auch daran gelegen haben, dass Ersthelfer wie Vida Rezaei so beherzt aktiv geworden sind. Sie fragt sich, ob denn nicht in Schulen darüber aufgeklärt wird, wie man sich bei Gewitter verhalten sollte. Sie selbst habe noch kurz vor dem Blitzeinschlag zu ihren Freunden gesagt, dass sie dort unter dem Baum nicht sicher seien und lieber unter das Dach des Häuschens am Eingang zum Rosengarten gehen sollten, das nur wenige Schritte entfernt war. Da wurde sie noch als überängstlich belächelt.
Zeitpunkt hatte ich den Gedanken: Ich möchte mit ihr eine längere Reise machen“, sagt sie. Das Ziel verfolgt sie stringent: Das Geld von der Arbeit wird gespart, die Wohnung gekündigt und wieder bei den Eltern eingezogen. Statt mit dem Auto geht es mit dem Rad zur Arbeit in Großpostwitz. Irgendwann entschließen Mutter Gisela, Tochter Marie Theres und Enkelin Meggie, einmal die Niederlande zu umrunden. 1.200 Kilometer strampeln die drei in ihrem Urlaub. „Bei einer solchen Tour bist du den ganzen Tag mit Fahrradfahren beschäftigt. Zugleich siehst du aber Dinge am Wegesrand, die du sonst nicht sehen würdest und kommst ganz anders mit den Menschen in Kontakt“, sagt die junge Frau. Zurück in der Oberlausitz steht der Entschluss fest: Wir fahren ein Jahr weg, und zwar Richtung Sommer. Im Fall des Duos war das ein Freiwilligendienst in einem Hundeheim in Portugal.
Meggie hat nur eine Frage, als ihre Mama ihr vom gemeinsamen Abenteuer erzählt. „Was sollen wir mit Püppi machen“, fragt sie. Marie Theres Kuchinke besorgt einen kleinen Kindersitz fürs Fahrrad, allein eine Fahrradtasche wird für das Spielzeug vorgesehen. Ansonsten wird noch in den Seitentaschen das Nötigste verstaut. Was braucht man? Jeweils zwei Radshorts, eine lange Hose, zwei T-Shirts, Daunen- und Regenjacke, ein bisschen Unterwäsche und einen guten Plan, an dem man allerdings nichts zu sehr festhält. Bis zum Elberadweg in Dresden begleitet die Mutter Marie-Theres und Meggie, anschließend radelt auch noch ein Bruder ein paar Kilometer mit. In gut zwei Wochen geht’s durch Deutschland, danach nach Frankreich, Portugal und Spanien. Diese und viele andere Geschichten wird die Weltbummlerin aus Kynitzsch in der Stadtbibliothek Bischofswerda erzählen, zum Beispiel wie man sein Leben in vier Taschen packt und woher das Mutter-Tochter-Duo den Mut für das nächste Abenteuer nimmt.
„Von Bischofswerda in die Welt“, 23. Mai, 19 Uhr, Stadtbibliothek Bischofswerda, Dresdener Straße 1, Eintritt frei.