Assange darf noch einmal hoffen
Der Rechtsstreit um den Wikileaks-Gründer geht in eine nächste Runde. Er könne nicht unmittelbar in die USA ausgeliefert werden, entschied der Londoner High Court.
Die Regierung in Washington will dem 52-jährigen Australier Julian Assange seit Jahren wegen Spionage den Prozess machen, Assange sieht sich wegen seiner journalistischen Tätigkeit strafrechtlich verfolgt. Er sitzt deshalb seit fast genau fünf Jahren im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London. Zuvor versteckte er sich sieben Jahre unter diplomatischem Asyl in Ecuadors Botschaft in der britischen Hauptstadt. Assanges Berufungsantrag wurde laut schriftlichem Urteil in sechs von neun Punkten abgelehnt. Bei drei Punkten hänge es davon ab, ob sowohl die US-Behörden als auch das britische Innenministerium bestimmte Garantien abgeben. Dafür haben sie drei Wochen Zeit.
Konkret wird gefordert, dass die US-Regierungen versichert, dass sich Julian Assange wie alle US-Bürger bei seiner Verteidigung auf den ersten US-Verfassungszusatz – das Recht auf freie Meinungsäußerung – berufen kann. Zudem muss Washington garantieren, dass dem WikiLeaksGründer kein Todesurteil droht. Auch muss Assange als Australier während eines Verfahrens dieselben Rechte wie US-Bürger genießen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisiert solche diplomatischen Zusicherungen der USA als „von Natur aus unzuverlässig“.
Will oder kann die Biden-Regierung die Zusagen nicht geben, kann Assange laut Gericht erneut gegen seine Auslieferung in Berufung gehen. Ein früheres Revisionsverfahren hatte der 52-Jährige 2021 vor dem höchsten britischen Gericht verloren.
Der Entscheidung war eine zweitägige Anhörung Mitte Februar vorausgegangen. Wäre das Urteil gegen Assange ausgefallen, hätte er alle Rechtsmittel vor britischen Gerichten ausgeschöpft und hätte vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ziehen müssen.
Der Anwalt des US-amerikanischen Whistleblowers Edward Snowden begrüßte die Entscheidung des Gerichts. „Dies ist eine willkommene Entwicklung“, sagte Ben Wizner dem Berliner Tagesspiegel. „Wenn Julian Assange an die USA ausgeliefert wird, um sich wegen der Veröffentlichung wahrheitsgemäßer Informationen vor Gericht verantworten zu müssen, wäre das eine Katastrophe für die weltweite Pressefreiheit.“
Zudem würde eine Verurteilung in den USA einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen, dass Länder „ihre nationalen Gesetze zur strafrechtlichen Geheimhaltung gegen Journalisten und Verleger“im Ausland anwenden können. „Wir sollten diese Büchse der Pandora nicht öffnen.“
Dutzende Menschen hatten vor dem Gerichtsgebäude die sofortige Freilassung Assanges gefordert. Auch seiner Ehefrau, Stella Assange, war dort. Sie nannte die Entscheidung Berichten zufolge „erstaunlich“. Sie forderte die US-Regierung auf, „diesen schändlichen Fall“fallenzulassen.
Sorge um die Pressefreiheit
Die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen warnt ähnlich wie Anwalt Wizner vor den Folgen einer Auslieferung. „Die Zukunft des Journalismus steht auf dem Spiel“, sagt Pressereferentin Katharina Viktoria Weiß. Dennoch sei die Entscheidung „eine letzte Hoffnung auf Gerechtigkeit im Vereinigten Königreich“. Dass die USA Sicherheitsgarantien abgeben können, kritisiert Weiß. „Die Möglichkeit, Berufung einzulegen, könnte jedoch entfallen, wenn die US-Regierung zufriedenstellende Zusicherungen gibt.“Weitere Anhörungen in Großbritannien würden damit erforderlich sein. „In der Zwischenzeit bleibt Assange im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh inhaftiert, wo seine geistige und körperliche Gesundheit weiterhin in großer Gefahr ist.“Niemand solle mit der Möglichkeit einer lebenslangen Haftstrafe konfrontiert werden, nur weil er Informationen im öffentlichen Interesse veröffentlicht, sagte Weiß. „Zu diesem späten Zeitpunkt muss das Vereinigte Königreich handeln, um die Pressefreiheit zu schützen, indem es die Auslieferung von Assange verhindert und seine sofortige Freilassung aus dem Gefängnis ermöglicht.“
Gemeinsam mit der von ihm gegründeten Enthüllungsplattform WikiLeaks und der Whistleblowerin Manning hatte Assange geheimes Material über die Militäreinsätze der USA in Afghanistan und im Irak veröffentlicht. Auf Videos und Bildern war die Tötung von Zivilpersonen und die Misshandlung von Gefangenen durch die US-Soldaten zu sehen. Die USA sehen darin einen Verstoß gegen ihre Spionagegesetzgebung und beharren darauf, dass die Veröffentlichung das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht hätte. Bei einer Auslieferung drohen dem Australier Assange bis zu 175 Jahre Haft in den Vereinigten Staaten.
Für Julian Assange heißt es nun vor allem: Warten. Eine abschließende Entscheidung, ob er ausgeliefert wird oder nicht, soll nach einer weiteren Anhörung am 20. Mai vor dem Londoner High Court getroffen werden.