Reaktiviert Russland nach dem Anschlag die Todesstrafe?
Der Kreml greift hart durch. Das sagen Experten dazu.
Die Spuren der Folter waren unübersehbar, als die mutmaßlichen Täter des Anschlags auf die „Krokus“-Stadthalle in Krasnogorsk einem Gericht in Moskau vorgeführt wurden. Die Sicherheitsorgane hatten sich keine Zurückhaltung auferlegt, das war zuvor bereits auf einem Video und Fotos auf sogenannten Z-Kanälen im Internet zu sehen, auf denen ultrapatriotische russische Kriegsreporter miteinander kommunizieren. Einen tatverdächtigen tadschikischen Islamisten führten maskierte FSB-Angehörige vornübergebeugt in den Saal. Als er den Kopf heben konnte, wurden Hämatome an den Augen sichtbar, die Wange war dick geschwollen. Der nächste trug einen notdürftigen Verband über dem Ohrbereich. Berichten zufolge ist ihm das Ohr abgeschnitten worden. Die Frage steht: Sind die Geständnisse durch Folter erpresst worden?
Dmitri Kolezev geht davon aus, „dass inhaftierte Verdächtige mit Elektroschocks gefoltert werden“. Folter sei in Russland eine gängige Sache. Auf seinem Telegram-Kanal schreibt der Chefredakteur der oppositionellen, im Exil erscheinenden Nachrichtenseite Republik: „Ungewöhnlich ist hier, dass die Sicherheitskräfte solche Dinge früher schamhaft verschwiegen haben. Aber jetzt sind sie stolz darauf und geben offenbar selbst Fotos von Folterungen an befreundete Telegram-Kanäle weiter.“
Von einem CNN-Reporter auf Spuren der Folter angesprochen, erklärte KremlSprecher Dmitri Peskow kurz angebunden: „Ich lasse diese Frage unbeantwortet.“
Folter und andere Misshandlungen gehörten in russischen Haftanstalten zum Alltag, darunter Schläge, sexualisierte Gewalt, Ersticken und Elektroschocks, sagt Janine Uhlmannsiek von Amnesty International.
Folter bleibe fast immer ungestraft. „Es herrscht ein Klima der Straffreiheit.“
Die Anklage der mutmaßlichen Attentäter lautet bislang „Terrorismus“– hierfür droht ihnen lebenslange Haft. Zugleich nimmt nach dem Anschlag, bei dem mindestens 137 Menschen ermordet wurden, die Diskussion über die Rückkehr zur Todesstrafe Fahrt auf. Sie wird seit Ende der 1990er-Jahre nicht mehr vollstreckt, aber steht unverändert im Strafgesetzbuch. Der frühere Präsident Dmitri Medwedjew war der Erste, der eine Rückkehr zur Todesstrafe forderte. Auf dem Fuße folgte Wladimir Wassiljew, der Fraktionschef der Kremlpartei „Einiges Russland“.