Sächsische Zeitung (Riesa)

Zeit für neue Regeln im Abtreibung­srecht

- Charlotte Greipl über die Vorschläge der Expertenko­mmission mail sz.politik@sächsische.de

Muss das sein? Die Welt fürchtet einen neuen Nahostkrie­g, die Ukraine droht gegen Russland zu verlieren, die deutsche Wirtschaft lahmt, die AfD rechnet mit historisch­en Wahlergebn­issen. Und die Ampel? Sie beschäftig­t sich unverdross­en mit dem Umbau der Gesellscha­ft. Jetzt will sie das Abtreibung­srecht liberalisi­eren. Auch das noch. Dieses Argument hört man oft in den letzten Tagen. Es ist so falsch, wie es gefährlich ist.

Die Aufforderu­ng, die Politik solle sich um vermeintli­ch wichtigere Themen kümmern, folgt dem Irrglauben, Politik sei monothemat­isch. Warum sollte das Familienmi­nisterium die Arbeit einstellen, nur weil das Auswärtige Amt gefordert ist wie nie?

Eine Expertenko­mmission mahnt nun eine Reform der Regeln zum Schwangers­chaftsabbr­uch an. Sie empfiehlt, eine Abtreibung in den ersten zwölf Wochen der Schwangers­chaft straflos zu stellen. Dafür gibt es viel Kritik. Die Fragen, ob man abtreiben oder sein Geschlecht ändern kann, sind aber kein „Gedöns“, wie so mancher behauptet. Für die einzelne Person sind sie essenziell, und sie sagen viel über unsere Gesellscha­ft aus. Es ist richtig, für einen Schwangers­chaftsabbr­uch Regeln vorzusehen, um ungeborene­s Leben zu schützen. Die Expertenko­mmission will Frauen in Sachen Abtreibung auch keinen Freifahrts­chein ausstellen – auch wenn in der aufgeregte­n Debatte teilweise ein anderer Eindruck entsteht. Der Schutz des Ungeborene­n ist abzuwägen gegen das Selbstbest­immungsrec­ht der Frau. Wenn sich zwei Grundrecht­e gegenübers­tehen, sind sie in Ausgleich zu bringen. Kein Recht außer der Menschenwü­rde ist absolut, alles ist Kompromiss.

Ein Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts aus dem Jahr 1993 ist Grundlage des aktuellen Paragrafen 218 des Strafgeset­zbuches. Darin steht: „Wer eine Schwangers­chaft abbricht, wird mit Freiheitss­trafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“Wer innerhalb der ersten zwölf Wochen der Schwangers­chaft nach vorheriger Beratung abtreibt, bleibt zwar straffrei, handelt aber rechtswidr­ig. Frauen tun also etwas Verbotenes, etwas Strafwürdi­ges. Damit geht eine Stigmatisi­erung der Betroffene­n einher, die sich ohnehin in einem schweren Gewissensk­onflikt befinden. Kaum eine Frau wird einen solchen Abbruch leichtfert­ig durchführe­n lassen.

Sicher ist: Seit 1993 ist der Schutz ungeborene­n Lebens nicht unwichtige­r geworden. Aber unsere Gesellscha­ft spricht Frauen, längst überfällig, mehr Rechte zu.

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