Zeit für neue Regeln im Abtreibungsrecht
Muss das sein? Die Welt fürchtet einen neuen Nahostkrieg, die Ukraine droht gegen Russland zu verlieren, die deutsche Wirtschaft lahmt, die AfD rechnet mit historischen Wahlergebnissen. Und die Ampel? Sie beschäftigt sich unverdrossen mit dem Umbau der Gesellschaft. Jetzt will sie das Abtreibungsrecht liberalisieren. Auch das noch. Dieses Argument hört man oft in den letzten Tagen. Es ist so falsch, wie es gefährlich ist.
Die Aufforderung, die Politik solle sich um vermeintlich wichtigere Themen kümmern, folgt dem Irrglauben, Politik sei monothematisch. Warum sollte das Familienministerium die Arbeit einstellen, nur weil das Auswärtige Amt gefordert ist wie nie?
Eine Expertenkommission mahnt nun eine Reform der Regeln zum Schwangerschaftsabbruch an. Sie empfiehlt, eine Abtreibung in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft straflos zu stellen. Dafür gibt es viel Kritik. Die Fragen, ob man abtreiben oder sein Geschlecht ändern kann, sind aber kein „Gedöns“, wie so mancher behauptet. Für die einzelne Person sind sie essenziell, und sie sagen viel über unsere Gesellschaft aus. Es ist richtig, für einen Schwangerschaftsabbruch Regeln vorzusehen, um ungeborenes Leben zu schützen. Die Expertenkommission will Frauen in Sachen Abtreibung auch keinen Freifahrtschein ausstellen – auch wenn in der aufgeregten Debatte teilweise ein anderer Eindruck entsteht. Der Schutz des Ungeborenen ist abzuwägen gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Wenn sich zwei Grundrechte gegenüberstehen, sind sie in Ausgleich zu bringen. Kein Recht außer der Menschenwürde ist absolut, alles ist Kompromiss.
Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1993 ist Grundlage des aktuellen Paragrafen 218 des Strafgesetzbuches. Darin steht: „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“Wer innerhalb der ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft nach vorheriger Beratung abtreibt, bleibt zwar straffrei, handelt aber rechtswidrig. Frauen tun also etwas Verbotenes, etwas Strafwürdiges. Damit geht eine Stigmatisierung der Betroffenen einher, die sich ohnehin in einem schweren Gewissenskonflikt befinden. Kaum eine Frau wird einen solchen Abbruch leichtfertig durchführen lassen.
Sicher ist: Seit 1993 ist der Schutz ungeborenen Lebens nicht unwichtiger geworden. Aber unsere Gesellschaft spricht Frauen, längst überfällig, mehr Rechte zu.