102-jährige Großenhainerin dreht Ehrenrunde im Oldtimer
Fit wie ein moderner Turnschuh, gesund und für jeden Spaß zu haben: Erna Richter ist die Oma, die sich viele wünschen würden.
Es ist, als ob die Zeit stehen geblieben ist. Auch wenn die herzlich lächelnde Frau die frisch frisierten Haare im prächtigen Weiß trägt, scheinen die Jahre augenscheinlich an Erna Richter vorübergegangen zu sein. Glücklicherweise noch immer gesund und wortgewandt, steht die an einem Karfreitag geborene Großenhainerin in der Haustür und wartet auf die überraschenden Dinge, welche ihr Enkel Maik Rode an diesem Montagmittag avisiert hat.
Gemeinsam mit dem 46-Jährigen lebt die Jubilarin nun schon einige Zeit harmonisch unter einem Dach. Wer die beiden miteinander schwatzend und häufig herumalbernd erlebt – die Sächsische Zeitung hatte Erna Richter schon einmal besuchen dürfen – hegt keinen Zweifel daran, dass diese Wohngemeinschaft eine Entscheidung aus Liebe gewesen sein muss.
Wurde Maik einst von ihr in den Kindergarten gebracht und mit jenem leckeren Linseneintopf bekocht, den Oma im Übrigen bis heute noch immer am allerbesten zubereiten würde, sorgt inzwischen er sich um ihr Wohlergehen. Hier auf dem Grundstück der Familie, in welches die Kästners bereits 1929 Einzug gehalten haben. Auf dem Areal mit dem prächtig großen Garten hinterm Haus und einer Landwirtschaft, zu der auch Tiere wie eine Kuh, Hühner, Schafe oder Ziegen gehörten. Kräftig mit angepackt musste da immer werden, keine Frage.
Wenn Erna Richter in ihren Erinnerungen kramt, hat sie eine stolze Zahl an Jahrzehnten zu bewältigen. Dicht beschrieben ist das Buch des Lebens, das ihr überaus glückliche, aber auch sorgenvolle Tage bescheren sollte. Mit 16 Jahren als Dienstmädchen in Stellung gegangen, versorgte sie zunächst die Wirtschaft in einer vornehmen Villa in den Radebeuler Weinbergen und trug überdies Brötchen aus. Eine arbeitsreiche, aber schöne Zeit, die durch den Krieg je unterbrochen werden sollte. Wenn auch nicht unmittelbar in Großenhain angekommen, habe schmerzlich gereicht, was sie und viele andere Menschen davon mitbekommen hätten.
Wie Seelenpflaster muss danach das Kennenlernen ihres Gerhards gewesen sein. Ein prächtiger Bursche, der nicht nur handwerklich sehr begabt gewesen sei, sondern sie schließlich auch zum Großenhainer Standesamt führte.
Eine Ehe, aus der Zwillingsmädchen und 1956 auch noch ein Sohn hervorgehen würde – eine, welche über die diamantene Hochzeit hinaus währen sollte. Gern denke die dreifache Oma und vierfache Urgroßmutter an die gemeinsame Zeit zurück. Glücklich und zufrieden seien sie bis zum
Tod ihres Mannes miteinander gewesen. „Auch wenn es manchmal alles sehr viel gewesen ist, die Arbeit in der Landwirtschaft, unsere drei Kinder und die Versorgung der pflegebedürftigen Eltern. Wir haben dennoch alles zusammen gemeistert“, sagt Erna Richter und lächelt wissend in sich hinein.
Was sie hingegen bisher nicht wusste, rollt nun gerade aufsehenerregend auf der Wildenhainer Straße vor. Ein schmucker Wagen des Großenhainer Autohauses Weigel: stolze 102 Jahre alt, genauso wie Erna Richter seit diesem 15. April. „Los geht’s, Mutsch“, ruft Maik Rode liebevoll und muss die alte Dame nicht erst lange bitten. Gekonnt klettert Erna Richter in das betagte, aber noch immer sehr schicke Fahrzeug des englischen Automobilherstellers Clyno, um gemeinsam mit ihrem einfallsreichen Enkel eine Runde durch ihre Heimatstadt zu drehen. Eine, in der die Zeit keineswegs stehen geblieben ist und – die flotte Jubilarin ist immer noch mittendrin.