Mit künstlerischer Intelligenz
Deep Fake: Margret Eicher setzt in ihren Wandteppichen Bilder und Figuren aus der Popkultur in gesellschaftlich und politisch relevante Zusammenhänge.
Hätte sich ein Fürst im 16. und 17. Jahrhundert entscheiden müssen, ob er das Geld seiner Untertanen für ein Gemälde oder für einen Wandteppich ausgibt, er hätte vermutlich den Wandteppich gewählt. Und das nicht nur, weil Burgen und Schlösser schlecht beheizt waren und so ein kuschelig geknüpfter oder gewebter Behang vor der Wand ein wenig von der Kälte genommen hätte. Wandteppiche waren hoch geschätzt, weil sie außerordentliche Kunstwerke waren. Von so begabten wie qualifizierten Künstlern mit hochwertigen Materialien wie Wolle, Seide, Goldund Silberfäden ausgeführt.
In der Albrechtsburg Meißen, dem ältesten Schlossbau Deutschlands, bewundern Besucherinnen und Besucher die großformatigen, repräsentativen Historienmalereien, die seit dem 19. Jahrhundert nicht einfach die Wände schmücken. Sachsens Geschichte wurde von 14 Künstlern ins rechte Licht gerückt, um sich im Kaiserreich zu positionieren. „Die Bilder waren ein Identitätsanker, und es war eine propagandistische Ausmalung, ein identitätsstiftender Rückblick auf die sächsische Geschichte“, sagt Welich. Wandteppiche wird es außerdem auf der Albrechtsburg gegeben haben, ist sich der Mann sicher, der in Sachsens Schlössern, Burgen und Gärten die museale Arbeit leitet.
„Diese Historiengemälde erinnern mich an Fantasy. Diese Mischung aus Wirklichkeitsbezug und Erfindung, dieses romantisierende Historienverständnis, das Heroisierende und das Idealisierende, das kippt ja schon fast ins Kitschige. Für mich haben sie eine ganz ähnliche Atmosphäre, den gleichen Sound wie ‚Herr der Ringe‘“, sagt Margret Eicher. Die Berliner Künstlerin zeigt hoch oben im dritten Stock der Albrechtsburg ihre Tapisserien und ist damit genau am richtigen Ort. Der Titel stellt klar, womit wir es hier zu tun bekommen: „Deep Fake“. Eicher durchforstet die Tiefen des Internets und collagiert am Rechner ihre Bildwelten. In Belgien lässt sie die Tapisserien weben – aus Baumwolle, Wolle, etwas Synthetik.
Man erkennt Personen, Dinge, Architekturen, Symbole, Ornamente. In der Tapisserie „Lob der Malkunst“begegnen sich der Maler Gerhard Richter, der Konzeptkünstler Martin Kippenberger und die Schauspielerin Scarlett Johansson in der Berliner „Paris Bar“. Das war Kippenbergers Lieblingsbar, die er 1992 malen ließ. Und Johansson ist auf dem Wandteppich das „Mädchen mit dem Perlenohrring“aus dem Vermeer- Biopic, allerdings hier mit Posaune und Lorbeerkranz. So viele Anspielungen, Deutungsmöglichkeiten, so viel Spaß beim Entdecken und Rätseln.
So ist es auch in den anderen Medientapisserien von Margret Eicher. Was oder wen man erkennt, kennt man aus völlig anderen Zusammenhängen. Ins „Große Rasenstück“von Albrecht Dürer hat Margret Eicher einen Soldaten mit Sturmgewehr gelegt. Und in der Arbeit „Herrscher der Welt“sitzen Menschen in barocker Architektur vor zahlreichen Bildschirmen. Ein Herrschaftsporträt des 21. Jahrhundert: Wer Informationen sammelt und verwaltet, hat Macht über die Menschen.
Eichers Themen der zwölf ausgestellten Tapisserien sind Gewalt, Macht, Krieg, Unterdrückung. Ausgrenzung. Aber die erarbeitet sie mit Figuren aus der Comicwelt wie den Ninja Turtles, die sie vor der Ruine der US-Spionageanlage auf dem Berliner Teufelsberg posieren lässt. Oder es sind Figuren aus der Pop- und Modewelt, wie Lara Croft. Oder Linda Evangelista, die sich als Eva am unteren Bildrand räkelt, während Zeus ihr Raketen schickt. „Das Banalisierte wird hier in ein höfisches Modell gegossen“, sagt Dirk Welich.
Margret Eicher lädt Popkultur mit mythischen Themen, mit gesellschaftlichen Verwerfungen oder politischen Akzenten auf. Ist das nicht doch ein wenig zu trivial? Sie sagt: „Popkünstler oder Comicfiguren haben heute eine Funktion wie einst die Heiligen. Diese Wucht der Identifikation ist vergleichbar mit der christlichen Identifikation im Mittelalter.“Die 69-Jährige erzählt, dass die Galerie, die sie vertritt, auf einer Messe in Chicago die Medientapisserien
anbot: „Verkauft haben sie zwar nichts, aber die Besucherinnen und Besucher haben einen Weltrekord im Selfiemachen vor meinen Arbeiten aufgestellt.“
Aber ist das, was Margret Eicher macht, tatsächlich ein deep fake? Ein täuschend echt wirkendes, meist mithilfe künstlicher Intelligenz erzeugtes Bild? Mitnichten. „Wir sind doch schon seit Jahrzehnten von deep fake umgeben. Je mehr es an bildgebender Technik gibt, umso mehr stehen der Manipulation Tür und Tor offen“, sagt © Margret Eicher sie. Zwar behaupten ihre Tapisserien etwas, das nicht existiert. Aber tut Kunst das nicht generell? „Die Relevanz der Wirklichkeit steckt in meinen Tapisserien drin. Ich baue aus diversen Einzelteilen eine neue Geschichte, die mit der Urwirklichkeit durchaus verbunden ist“, sagt Margret Eicher, die in den 1970er-Jahren an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert hatte und mit Copy-Collagen bekannt wurde. In ihren Tapisserien erzeugt sie eine homogene Szenerie aus diversen Versatzstücken, die sie dem tagesaktuellen Internet-Bildfundus entnimmt. Aber sie arbeitet nicht mit künstlicher Intelligenz. „Die Vorstellung, dass die künstliche Intelligenz Künstlern die Arbeit wegnehmen könnte, langweilt mich“, sagt sie. „Ich arbeite mit künstlerischer Intelligenz. Für mich ist die Langsamkeit des Recherchierens und die Kleinteiligkeit des Auswählens und Entscheidens wesentlich. Während ich die Bilder im Computer finde, recherchiere ich auch viel über die Thematik des Bildes, das entstehen soll. Dabei will ich meine Entscheidungen selbst treffen. Wer sich das Handwerkliche, wie ich es verwende, nicht antun möchte, kann ja KI verwenden.“
Ausstellung „Margret Eicher: Deep Fake“bis 4. Mai 2025 in der Albrechtsburg Meißen, täglich geöffnet. Von März bis Oktober 10 bis 18 Uhr, von November bis Februar 10 bis 17 Uhr. Mehrere Gespräche mit der Künstlerin finden statt. Thema am 19. Juni, 18.30 Uhr: „Digitale Collage und gesellschaftliches Statement“.