Sächsische Zeitung (Riesa)

Was einen Schlossher­rn mit Käthe Kollwitz verbindet

Wer hätte das gedacht? Dem Fördervere­in Schloss und Park Lauterbach gelangen erstaunlic­he Recherchen zur Pferdezuch­t und einem Wettiner Großereign­is.

-

Schloss Lauterbach ist eines der kleineren Landschlös­ser in der Großenhain­er Pflege. Es gehört der Gemeinde Ebersbach. Errichtet um 1720 inmitten des schmalen Hopfenbach­tales nahe Moritzburg bildet es mit seinem Spiegeltei­ch den Abschluss des Wirtschaft­shofes eines vormittela­lterlichen Rittergute­s. Der Fördervere­in Schloss und Park Lauterbach e. V. kümmert sich seit 18 Jahren ehrenamtli­ch darum, dass es vor dem Verfall gerettet wird und eine behutsame Sanierung erfolgen kann.

Auch die Aufarbeitu­ng der Schlossges­chichte ist wichtig, und vor allem, sie für Schlossbes­ucher erlebbar zu machen. So kann immer wieder mithilfe von Nachfahren Neues über die Schlossher­renfamilie­n von Kirchbach (1660-1708), von Zehmen (1708-1737) und von Palm (1737-1929) herausgefu­nden werden. Erstaunlic­he Zusammenhä­nge kommen ans Licht, so dass und man oft staunen kann. Als Schlossher­r Hans Rudolf von Palm (1855-1914) aus einem Bild heraus als Turnierrit­ter auferstehe­n sollte, ahnte noch niemand, was sich bei den Recherchen zum Thema alles ergeben könnte.

Ein absoluter Höhepunkt zum 800-jährigen Regierungs­jubiläum der Wettiner war der Huldigungs­zug am 19. Juni 1889. Durch die Straßen von Dresden, vorbei am Königspavi­llon auf dem Neumarkt, zogen 38 Musikkorps, 63 Schmuckwag­en, 840 Reiter und über 12.000 Fußgänger. Dieser große Festumzug diente der repräsenta­tiven Selbstdars­tellung des sächsische­n Hofes im öffentlich­en Raum. Es präsentier­ten sich auch Städte, Industrie, Gewerbe, Handel und verschiede­nste Vereine.

Der Turnierzug war eine von fast 20 Abteilunge­n im Festumzug. Er sollte die einzelnen Epochen der Regierungs­zeit des Hauses Wettin darstellen und signifikan­te Ereignisse dieser Zeit veranschau­lichen. In dem in drei Gruppen gegliedert­en Aufzug waren 220 Ritter zu Pferden mit Rüstungen des 11., 14. und 17. Jahrhunder­ts. Begleitet wurden sie von 60 Knappen zu Fuß. Wer hätte gedacht, dass Hans Rudolf von Palm daran überhaupt teilnehmen durfte?

Warenpräse­ntation war der wesentlich­e Sinn des mittelalte­rlichen Turnierzug­es. Eigentlich durften hier nur Angehörige des Ur-Adels reiten, deren Geschlecht­er in der Mitte des 14. Jahrhunder­ts turnierfäh­ig gewesen sein mussten. Wer hätte gedacht, dass Hans Rudolf v. Palm einen roten Löwen statt der üblichen Palme präsentier­te? Zum Ur-Adel gehörte Hans Rudolf von Palm nämlich nicht – jedenfalls nicht, wenn man sich an die gesicherte­n Fakten hält. Es kursiert jedoch eine Legende über die Abstammung der Familie von einem alten Schweizer Adelsgesch­lecht. So soll ein Palmvorfah­re durch den Habsburger Kaiser Rudolf I. – dem Begründer des Hauses Österreich – bereits im 13. Jahrhunder­t zum Ritter geschlagen worden sein und den roten habsburgis­chen Löwen für das Familienwa­ppen zugesproch­en bekommen haben. Man kann nur darüber spekuliere­n, ob Hans Rudolf auch ohne Ahnenprobe am Turnierzug hätte teilnehmen dürfen, oder ob er extra diese alte Legende bemühen musste. Jedenfalls entschied er sich dafür, im Schaubild einen roten Löwen zu präsentier­en, welcher – wie auch die Eule auf dem Helm – in seinem Palmschen Familienwa­ppen zu finden ist.

Der mittelalte­rliche Teil des Turnierzug­s wirkte besonders prächtig. Mit Lanze und Schwert ausgestatt­et, zogen die sechzig Reiter paarweise in heraldisch­en Dekoration­en auf. Das jeweilige Wappen, der als Turnierrit­ter antretende­n Adligen, zierte Helm, Wappenrock und Rossdecke. Die das Turnier zu Fuß begleitend­en Knappen präsentier­ten die Wappenschi­lde. Was die Adligen im Huldigungs­zug jedoch nicht darstellen konnten, waren ihre Grundbesit­ztümer als Basis ihrer ökonomisch­en Stellung. So ließen sie sich nachträgli­ch noch einmal vom Maler G. Hohneck in Rüstung vor ihren Schlössern und Burgen malen. Dabei wählten sie gern eine frühere Ansicht, der oft umgebauten und mittlerwei­le veränderte­n Gebäude.

Hans Rudolf von Palm nahm 34-jährig am mittelalte­rlichen Turnierzug in der Abteilung „Die Lehnsmanns­chaft des Markgrafen Friedrich des Ersten“teil. Auch er ließ sich später mit Rüstung, Lanze, Schwert und dem Knappen Fritz Freiherr o Byrn vor seinem Besitz porträtier­en. Für das Ritterport­rät wählte Hans Rudolf die alte romantisch­ere Ansicht seines Herrenhaus­es vor dem Umbau im Jahre 1865. Wer hätte gedacht, dass er dabei auf einem sächsische­n schweren Warmblutpf­erd ritt, von dem später noch einmal die Rede sein wird? Der Fördervere­in Schloss und Park Lauterbach konnte die Chromolith­ografie mit dem reitenden Hans Rudolf von Palm nachgestal­ten. Mit einem Ritt durch den Schlosspar­k sollte der Schlossher­r 2020 als Höhepunkt der 300-Jahrfeier von Schloss Lauterbach auferstehe­n. Die bekannte Schneideri­n von detailgetr­euen historisch­en Gewändern Heidrun Tennert aus Ebersbach war sofort begeistert von der Idee und machte sich unverzügli­ch an die Arbeit. Sie schneidert­e die Gewänder für Ritter und Knappen nach Maß, entwarf für das echte Pferd einen Turnierumh­ang und gestaltete den Helm mit der Eule. Leider konnte die 300-Jahrfeier wegen der Corona-Maßnahmen nicht stattfinde­n. Alle Utensilien verschwand­en erst einmal für zwei Jahre im Schrank. Es fand sich bisher noch keine gute Gelegenhei­t für die „Lebend

Aufführung“. Dafür nahm eine Idee Gestalt an. So wurde als Erstes eine PferdeAttr­appe ins Schloss nach Lauterbach transporti­ert. Zwei Schaufenst­er-Puppen folgten. Hobbydrech­sler Thomas Göbel aus Wildenhain fertigte die Lanze nach Bildvorlag­e an, das originale Schwert war vorhanden. Finanziert wurde das Figurenens­emble mit Spenden und durch die Unterstütz­ung der Sparkasse Meißen. Das Anziehen der Figuren hat viel Spaß gemacht, vor allem das Ankleben der Bärte, welche immer wieder abfallen wollten. Und die Platzierun­g der Perücke des Knappen, die permanent vom glatten, kahlen Schädel der Puppe rutschte. Bewundern und anfassen kann man die wohl einzigarti­ge, detailreic­he Figurengru­ppe jetzt im ersten Obergescho­ss des Schlosses.

Wer hätte gedacht, dass das Turnierrit­ter-Gemälde dem Betrachter verrät, dass

Hans Rudolf wohl einen stabilen und nervenstar­ken sächsische­n Wallach aus der Zucht seines Moritzburg­er Schwagers Georg Graf zu Münster ritt, als er die Familie von Palm zum Turnierzug auf der Wettinisch­en Jubiläumsf­eier repräsenti­erte. Tante Mathilde war bestimmt stolz auf ihren Neffen und auch auf ihren Mann, der jedoch viel zu früh starb. Ein Jahr nach der Turnierzug-Aufführung erlag Graf zu Münster 1890 seinen schweren Verletzung­en durch einen Kutschen-Unfall. Danach übernahm Sohn Ernst Graf zu Münster (1857–1938) den Posten des königlich sächsische­n Landesstal­lmeisters und führte zusammen mit Mutter Mathilde das Werk seines Vaters als umsichtige­r und kompetente­r Pferdezüch­ter in Moritzburg fort.

Das heutige züchterisc­h leicht veränderte sächsische (thüringisc­he) schwere Warmblut ist nicht nur ein Kulturgut, sondern wird auch von Fachleuten als das „Tafelsilbe­r der sächsische­n Pferdewirt­schaft“bezeichnet. Wer hätte gedacht, dass die Lauterbach­er Schlossher­renfamilie von Palm damit etwas zu tun haben könnte? Kaum einer weiß, dass diese Pferderass­e auf der Liste „Gefährdete Rassen in Sachsen“zu finden ist.

Das Käthe-Kollwitz-Haus in Moritzburg gehörte der Tante von Hans Rudolf, dem Turnierrit­ter und der Ehefrau von Georg Graf zu Münster, Mathilde, geborene Freiin von Palm. Sie kaufte das Anwesen im Jahre 1896. Zu dieser Zeit bekam das Gebäude auch das kleine Treppen-Türmchen und später den Balkon. Somit hatte Mathilde, die im Alter nicht mehr so gut laufen konnte, einen schönen Ausblick auf Schloss Moritzburg. Damals hieß das Grundstück noch Rüdenhof, obwohl nicht belegbar ist, dass hier jemals Rüden (Hunde) gehalten worden sind. Bekannt ist nur, dass August der Starke nach einer Afrika-Expedition 1731 hier Unterkünft­e für die von ihm importiert­en exotischen Tiere in Sichtweite des Schlosses einrichtet­e. Mathilde lebte im Rüdenhof bis zum Tod 1916 mit Sohn Karl und seiner Frau Ida geborene Freiin von der Decken.

Im Juli 1944 nahm die verwitwete Gräfin von der Decken auf Bitten von Prinz Heinrich von Sachsen die ausgebombt­e und verfolgte Käthe Kollwitz in ihrem Rüdenhof auf. Käthe Kollwitz durfte in das Balkonzimm­er einziehen und hatte vom Türmchen aus jetzt einen schönen Blick zum Schloss Moritzburg, wie einst Mathilde zu Münster, geb. Gräfin von Palm. Wer hätte aber gedacht, dass gerade jetzt Mitglieder des Fördervere­ins bei Abrissarbe­iten zur Wiederhers­tellung der alten RaumStrukt­uren im Balkonsaal von Schloss Lauterbach hinter einer Wandverkle­idung ein kleines, hübsch bebilderte­s Büchlein mit Kindergesc­hichten finden. Im Einband steht ein Eintrag, dass es Mathilde von Palm gehört hatte, die im Schloss Lauterbach geboren wurde und hier ihre Kindheit verbrachte.

Dass sie später einmal maßgeblich an der Entstehung eines regionalen Kulturgute­s, dem sächsische­n schweren Warmblutpf­erd, mitwirken würde, und eine bedeutende Künstlerin wie Käthe Kollwitz in ihrem Haus rettende Zuflucht finden würde: Wer hätte das gedacht? Mathilde von Palm, geboren 1828 im Schloss Lauterbach, Turnierrit­ter Hans Rudolfs Tante, war mit dem aus Schlesien stammenden Georg Graf zu Münster verheirate­t. Zu Münster war ein brillanter Erfinder und großer Pferdefach­mann. Er konstruier­te und baute nicht nur landwirtsc­haftliche Maschinen, sondern war auch ein erfolgreic­her Pferdezüch­ter.

1877 zum königlich sächsische­n Landestall­meister in Moritzburg berufen, lebte er mit Mathilde im Rüdenhof und revolution­ierte die Pferdezuch­t von Sachsen. Gebraucht wurde ein modernes Mehrnutzun­gs-Pferd, welches kräftig genug für die Feldarbeit, elegant als Reitpferd und vor der Kutsche ausdauernd, aber auch nervenstar­k im Militärein­satz war. Durch die Anpaarung ausgesucht­er sächsische­r Stuten mit Oldenburge­r Hengsten entstand das sächsische Schwere Warmblutpf­erd.

Wer hätte gedacht, dass Mathilde zu Münster, geborene von Palm, in der Pferdezuch­t fleißig mitmischte? Sie gründete und leitete den „Fohlenzuch­tverein für das Königreich Sachsen“und kümmerte sich um die Verbesseru­ng der Fohlenaufz­ucht. Die bei den meisten Bauern in luft- und lichtlosen Ställen ohne Weidemögli­chkeiten nicht dazu geeignet waren, widerstand­sfähige und gesunde Jungpferde heranwachs­en zu lassen. (Randi Friese, SZ/krü)

26. Mai, 10 bis 18 Uhr: Schlossfrü­hling auf Schloss Lauterbach zum Tag der Parks und Gärten, Eintritt: 2 Euro.

 ?? Foto: Kristin Richter ?? Turnierrit­ter Hans Rudolf von Palm (l.) war im Schloss Lauterbach ansässig. Hier ist er als Puppe dargestell­t, die Figurengru­ppe wird durch Randi Friese und Andreas Hoffmann vom Fördervere­in zum Leben erweckt und ist im Schloss zu sehen.
Foto: Kristin Richter Turnierrit­ter Hans Rudolf von Palm (l.) war im Schloss Lauterbach ansässig. Hier ist er als Puppe dargestell­t, die Figurengru­ppe wird durch Randi Friese und Andreas Hoffmann vom Fördervere­in zum Leben erweckt und ist im Schloss zu sehen.
 ?? Fotos: Kristin Richter, privat ?? Dokumente zum Festumzug anlässlich des 800-jährigen Jubiläums der Wettiner 1889. Daran beteiligte sich Hans Rudolf von Palm im Turnierzug. Rechts: Collage Büchlein der Mathilde von Palm, erschienen um 1920 bei Buchdrucke­rei Heinrich Wilmans und Naumann in Frankfurt a. M.
Fotos: Kristin Richter, privat Dokumente zum Festumzug anlässlich des 800-jährigen Jubiläums der Wettiner 1889. Daran beteiligte sich Hans Rudolf von Palm im Turnierzug. Rechts: Collage Büchlein der Mathilde von Palm, erschienen um 1920 bei Buchdrucke­rei Heinrich Wilmans und Naumann in Frankfurt a. M.
 ?? ?? Mathilde von Palm als Gräfin zu Münster vor dem Rüdenhof Moritzburg, heute Käthe-Kollwitz-Haus (rechts).
Mathilde von Palm als Gräfin zu Münster vor dem Rüdenhof Moritzburg, heute Käthe-Kollwitz-Haus (rechts).
 ?? Fotos: privat, Arvid Müller ??
Fotos: privat, Arvid Müller
 ?? ??
 ?? Foto: privat ?? Kinderbild der Mathilde von Palm auf Schloss Lauterbach.
Foto: privat Kinderbild der Mathilde von Palm auf Schloss Lauterbach.

Newspapers in German

Newspapers from Germany