Wagenknecht will Corona-Ausschuss
Das Bündnis der Ex-Linken rüstet sich für die Wahl in Sachsen. Für Erfolg sorgen sollen Ex-Abgeordnete und eine Ostquote.
Selfies mit Sahra sind schwer in. Im Konferenzsaal der Laubegaster Werft ist die Chefin des Bündnisses Sahra Wagenknecht gefragt für Bilder. Fast alle der rund 50 BSW-Mitglieder lassen sich in wechselnden Formationen mit der prominenten Vorsitzenden per Smartphone verewigen. Das zeigt, wie sehr die Partei auch in der Selbstwahrnehmung auf Wagenknecht zugeschnitten ist.
In ihrer Rede legt die frühere Linke beim Programm- und Listenparteitag des sächsischen BSW-Verbandes einen Schwerpunkt auf das Thema Krieg in der Ukraine und Sozialpolitik. Landesthemen streift sie in Dresden allenfalls. „Wir sind die einzige Friedenspartei“, sagt Wagenknecht, die deutsche Waffenlieferungen ablehnt. Und dem grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck Unkenntnis der Lebensumstände der Menschen in Deutschland vorwirft.
Für viele von ihnen stelle sich nicht die Frage Bioladen oder Aldi – sondern die, was sie sich im Aldi überhaupt noch leisten können. Erneut beschreibt Wagenknecht die Leerstelle im politischen System. Die Mitte fühle sich unerhört. Das BSW schließe die Repräsentationslücke und gebe ihr eine Stimme.
Um Landespolitik geht es weniger. Am Rande sagt Wagenknecht, sie strebe kein Ministeramt in Sachsen an. Sondierungen mit der AfD schließt sie aus. In Sachsen seien Rechtsextremisten in dieser Partei aktiv. Für Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat Wagenknecht ein verklausuliertes Lob übrig. Mit der Forderung nach mehr Diplomatie vertrete er nicht die CDULinie. Dennoch müsse klar sein: Jede Stimme für die Union sei auch eine für den Vorsitzenden Friedrich Merz und damit für Rentenkürzung und Tauruslieferungen. Die künftige BSW-Fraktion im Landtag werde einen Untersuchungsausschuss zu Corona beantragen. Grundrechtseingriffe müssten aufgearbeitet werden. Wagenknecht: „Das wäre ein wichtiges Signal für die Bundespolitik.“
Vor der Rede der Bundeschefin beschließen die Mitglieder am Samstag hurtig das Wahlprogramm. Das verschränkt linke wie rechte Positionen. Die Partei will „unkontrollierte Migration stoppen“, die Integration hier lebender Ausländer aber verbessern. Sie fordert Diplomatie im Ukrainekrieg und lehnt Rüstungsproduktion im Freistaat ab.
Für den öffentlichen Dienst in Sachsen fordert das BSW eine Ostquote – die Hälfte neu auszuschreibender Stellen soll mit Ostdeutschen besetzt werden. Grundschulen sollen ohne Smartphones und iPads auskommen, Lehrer sich aufs klassische Vermitteln
Sabine Zimmermann (li.) ist Spitzenkandidatin der Partei BSW in Sachsen. Vorsitzende Sahra Wagenknecht erhält für ihre Parteitagsrede Applaus.
von Kernkompetenzen wie Rechnen, Schreiben und Lesen konzentrieren können – unterstützt von Teams aus Sozialarbeitern und Erziehern. Angestrebt werden längeres gemeinsames Lernen und eine Stärkung der Oberschulen. Für „Superreiche“will das BSW eine Vermögenssteuer einführen. Einen vorgezogenen Braunkohleausstieg vor 2038 lehnt die Partei ab.
Nach aktuellen Umfragen hat das Bündnis die realistische Chance auf den Landtagseinzug im September. Mit mehr als zehn Prozent könnte es drittstärkste Kraft werden – vor SPD, Grünen und Linken. Umsetzen soll das Landeschefin Sabine Zimmermann. Die ausgebildete Ingenieurin saß 16 Jahre für die Linke im Bundestag.
Sachsen brauche eine Partei, die den Bürgerwillen zum Mittelpunkt des politischen Handelns mache, sagt sie. „Und das sind wir.“BSW sei „gekommen, um zu bleiben.“Das Wählerpotenzial rekrutiere sich nach einer Erhebung der Meinungsforscher von Allensbach aus vielen anderen politischen Parteien. „Und diese Schnittmenge ist jahrelang vernachlässigt worden“, kritisiert Zimmermann. 48 der 51 Mitglieder (94,1 Prozent) machen sie zur Spitzenkandidatin. Eine Ja-Stimme (92,2 Prozent) weniger erhält Ko-Landeschef Jörg Scheibe bei der Wahl zum zweiten Listenpatz. Der Gründer eines in Chemnitz ansässigen Ingenieurbüros und Professor für Versorgungs- und Umwelttechnik war bis 2023 politisch nicht aktiv. „Es läuft vieles falsch in diesem Land“, sagt er.
Scheibe drängt auf ein Ende der Russlandsanktionen und spricht sich dafür aus, wieder fossile Energie aus dem Land zu beziehen. Anstatt Geld für Waffenlieferungen an die Ukraine auszugeben, solle Deutschland in Infrastruktur und Schulen investieren. Auch Scheibe wirbt für Diplomatie: „Alles ist nichts ohne Frieden.“
Platz drei geht an die Leipziger Sozialpädagogin Doreen Voigt. Die Regionalleiterin eines Wohlfahrtsverbandes verweist darauf, dass auf Coronaeinschränkungen ein Anstieg psychischer Erkrankungen gefolgt sei. Auf aussichtsreichen Listenplätzen kandidieren zudem der Krankenkassenmitarbeiter Ronny Kupke sowie die ehemaligen Linkenabgeordneten Janina Pfau und Lutz Richter.
„Wenn neue Vorschläge aus Berlin kommen, dann halten die Menschen reflexhaft ihr Portemonnaie fest“, sagt der Pirnaer, der Hürden für direkte Demokratie senken will. Unter den ersten Zehn findet sich auch der frühere Intendant des Freiberger Theaters. „Wendehals heißt jetzt Zeitenwende“, komprimiert Ingolf Huhn Kritik an der Bundespolitik.
Langatmige Debatten bleiben aus. Verzug gibt es nur, weil Wagenknecht im Pfingststau steckt, den Rammstein und Dynamo rund um Dresden auslösen. Ausbleibende Kontroversen zeigen: Die Mitglieder sind sich einig – auch deshalb, weil die Parteichefs sehr genau darauf achten, wen das BSW aufnimmt. Der Partei könnte ein Rekord gelingen: der Landtagseinzug nur ein halbes Jahr nach der Gründung in Sachsen.