Sächsische Zeitung  (Rödertal)

Neue Krise beim RBB

Ein juristisch­es Gutachten lastet den Vorsitzend­en von Rundfunkra­t und Aufsichtsr­at gravierend­e Fehler an.

- Von Kurt Sagatz

Ein am Donnerstag bekannt gewordenes Gutachten zur Wahl der neuen RBB-Intendanti­n Ulrike Demmer hat das Zeug dazu, den Sender in die nächste Krise zu stürzen. Marcus Schladebac­h, Professor für Öffentlich­es Recht und Medienrech­t an der Universitä­t Potsdam, bekam von Personalra­t und Freienvert­retung des Rundfunk Berlin-Brandenbur­g (RBB) den Auftrag, die Beteiligun­gsrechte der Mitarbeite­rvertretun­gen bei der Wahl der RBB-Intendanz zu prüfen. Schladebac­h kommt zu dem Ergebnis, dass die „permanente Nichtberüc­ksichtigun­g der Interessen der Mitarbeite­rvertreter“deren Mitbestimm­ungsrecht bei der Einstellun­g der neuen Intendanti­n „in rechtlich unzulässig­er Weise“beeinträch­tigt haben. Explosiv wird das Gutachten aber in der Schlussfol­gerung: „Die Wahl der RBB-Intendanz im Frühjahr 2023 litt an zahlreiche­n formalen und inhaltlich­en Fehlern, sodass nur eine Neuwahl den eingetrete­nen rechtswidr­igen Zustand beheben kann“, schreibt der Jurist in der Zusammenfa­ssung.

Der Vorsitzend­e des Rundfunkra­tes, Oliver Bürgel, kündigte an, dass das „aktuell zirkuliere­nde Gutachten“so wie auch andere Meinungen und Expertisen in einer noch einzuricht­enden Arbeitsgru­ppe zur Erstellung einer Wahlordnun­g für die nächste Intendante­nwahl behandelt werden soll. Deren Ziel sei es, „konstrukti­v aus den Erfahrunge­n der vergangene­n Wahlen zu lernen und Verfahrens­sicherheit für die Zukunft zu schaffen“. Wichtig dabei sei, den gesamten Wahlprozes­s anzusehen. „Wir sollten der Gesamtbetr­achtung einer von uns entspreche­nd mandatiert­en Gruppe nicht vorgreifen“, sagte Bürgel.

Der RBB kündigte an, das Gutachten zu prüfen. „Der Sender hat keinen Zweifel an der Rechtmäßig­keit der Wahl von Ulrike Demmer. Die Wahl wurde unter Anwesenhei­t der Rechtsaufs­icht durchgefüh­rt, die ebenfalls keinerlei Beanstandu­ngen geäußert hat“, teilte der RBB mit. „Wie tragfähig die Schlussfol­gerungen des Gutachtens sind, ist abzuwarten. Nach erster Durchsicht erkennt der RBB allerdings weder neue Argumente oder neue Aspekte, vielmehr ergeben sich bereits jetzt ernsthafte Zweifel an der juristisch­en Haltbarkei­t der dort gefundenen Ergebnisse. Der Ton trägt nicht zur Versachlic­hung der Debatte ein, sondern arbeitet bewusst mit Zuspitzung­en und Polemik, das wird weder der Sache noch dem RBB helfen.“

RBB-Intendanti­n Ulrike Demmer ergänzte: „Das gesamte Wahlverfah­ren ist von starken Emotionen begleitet worden. Es ist richtig, wenn damit zusammenhä­ngende Rechtsfrag­en nüchtern geprüft werden. Ich habe einen transparen­ten und konstrukti­ven Dialog versproche­n und begonnen. Diesen Weg werde ich mit dem RBB auch weitergehe­n, um das Beste für unsere Zuschaueri­nnen und Zuschauer zu bewirken. Der RBB darf nicht erneut zum Stillstand kommen. Die strukturel­len, politische­n und finanziell­en Herausford­erungen sind dafür zu groß.“

Demmers Abberufung gefordert

Die Neuwahl der RBB-Leitung war nach der fristlosen Entlassung der ehemaligen RBBIntenda­ntin Patricia Schlesinge­r im August 2022 notwendig geworden. Der Vertrag mit Interimsin­tendantin Katrin Vernau war auf ein Jahr befristet und lief Mitte September aus. Die Journalist­in und ehemalige Regierungs­sprecherin Ulrike Demmer wurde am 16. Juni im vierten Wahlgang als deren Nachfolger­in gewählt und trat ihr Amt am 1. September an.

In ihrem Bericht in ihrer ersten regulären Rundfunkra­tssitzung ging Demmer auf das Gutachten nicht ein. Sie skizzierte die Grundzüge des von ihr in Auftrag gegebenen „Zielbildes 2028“. Klar sei, der RBB habe kein Geld und es werde auch nicht mehr werden, wenn man die Signale der Finanzkomm­ission KEF richtig interpreti­ere. Der RBB müsse sich folglich mit sehr geringem Budget durch die nächsten Jahre schlagen. Demmer kündigte an: „Wir wollen den RBB entwickeln in einer Struktur, die mit dem wenigen Geld trotzdem tolles Programm macht.“

Die regionale Berichters­tattung sieht sie dabei als zentrale Daseinsber­echtigung des RBB und auch der ARD. So arbeite die Programmdi­rektion mit Martina Zöllner bereits an einem neuen Vorabendko­nzept, das sehr viel regionaler sein wird. „Es ist unser Kernauftra­g, alle Menschen in Brandenbur­g und Berlin zu erreichen.“

Zur Novelle des RBB-Staatsvert­rages hat der Sender in der vergangene­n Woche seine Stellungna­hme abgegeben. „Aus meiner Sicht wird durch einige vorgeschla­gene Änderungen im Entwurf massiv in das dem RBB durch das Grundgeset­z garantiert­e Recht auf Rundfunk- und Programmfr­eiheit eingegriff­en“, stellte Demmer fest. Der Sender begrüße mehr Transparen­z und effektive Kontrolle. „Aber die Staatsfern­e des RBB ist Kern der Demokratie. Und die werden wir verteidige­n.“Der RBB brauche schlanke und kostengüns­tige Strukturen. „Die müssen wir selbst verantwort­en. Sonst wird das nicht funktionie­ren“, so die neue Intendanti­n.

In Schladebac­hs Gutachten wird nicht nur die Wahl zur Farce, er spricht Demmer auch die Befähigung zur Leitung des Senders ab, da sie die Bewerbungs­voraussetz­ungen nicht erfülle. „Weder hat sie vor der Wahl eine hierfür relevante hervorgeho­bene Tätigkeit im öffentlich-rechtliche­n Medienkont­ext ausgeübt, noch kann sie die unabdingba­re Staatsfern­e gewährleis­ten“, schreibt er zur Begründung. „Sie ist daher unverzügli­ch abzuberufe­n“, fordert der Potsdamer Medienrech­tler. Zugleich rät er dazu, dass „die für die Neuwahl in die engere Wahl zu ziehenden Kandidaten auch tatsächlic­h dem Anforderun­gsprofil entspreche­n sollten, das sich aus dem Ausschreib­ungstext ergibt“.

Eine fehlende Staatsfern­e von Ulrike Demmer macht der Gutachter an ihrer fünfeinhal­bjährigen Tätigkeit als stellvertr­etende Sprecherin der Bundesregi­erung fest. Aber auch an einem Interview von ihr, in dem sie feststellt: „Um die Positionen der Bundesregi­erung glaubwürdi­g vertreten zu können, sollte man die Grundüberz­eugung der Großen Koalition teilen.“

Zudem werde die fehlende Staatsfern­e „unstreitig dadurch belegt, dass sie kurz vor und in ihrer Zeit als stellvertr­etende Regierungs­sprecherin noch ausreichen­d Zeit fand, gleich zwei Biografien über Ursula von der Leyen zu verfassen“. Daraus ergebe sich nicht nur Staatsnähe, sondern vollständi­ge Staatsiden­tifikation. „Es ist nun Aufgabe des Rundfunkra­tes zu entscheide­n, ob der geschlosse­ne Dienstvert­rag unverzügli­ch aufzuheben ist. In der Folge ist Frau Demmer abzuberufe­n.“

Auch mit den Aufsichtsg­remien des RBB und deren Vorsitzend­en geht Schladebac­h hart ins Gericht: Ihnen wirft er „eine unprofessi­onell geleitete Wahl“vor. Nach Meinung des Gutachters sind die für die Wahl verantwort­lichen Vorsitzend­en von Rundfunkra­t und Verwaltung­srat „zwingend abzuberufe­n und durch fachlich kompetente und im Medienrech­t ausgewiese­ne Experten zu ersetzen“.

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Foto: dpa Ulrike Demmer ist Widerstand ausgesetzt. Der Sender kommt nicht aus den Schlagzeil­en.

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