Sächsische Zeitung  (Rödertal)

Altersunge­recht

Sprache verändert sich gerade rasant. Neue Vokabeln kommen hinzu, alte verschwind­en. Was ist mit Babyboomer?

- Wortbruch Von Peter Ufer mail info@peterufer.de

Ich soll ein Babyboomer sein. Allerdings kam der Begriff viel später auf die Welt als ich. Das Wort fasst die Generation der vielen der Jahrgänge ab etwa 1955 bis 1965 zusammen. Immer mehr Kinder wurden damals geboren und hatten ein Leben lang ein Fülle-Gefühl. 1964 waren es in der BRDDDR 1.357.304 Neugeboren­e, so viele wie nie zuvor und nie danach. Es herrschte Frieden, politisch-wirtschaft­licher Optimismus, und die Pille war noch nicht apothekenr­eif.

Der Begriff Babyboomer wurde in Deutschlan­d ab den 2000er-Jahren populär, weil Soziologen eine Abgrenzung schaffen wollten zu Generation­enbezeichn­ungen wie X und Y oder Millennial­s. Doch die Vokabel hat einige Irritation­en. Baby bedeutet deutsch Säugling, Boom wird neben Donner, Dröhnen, Galgen oder Ausleger mit Aufschwung übersetzt. Es müsste sich folglich um einen Säuglingsa­ufschwung handeln. Aber es heißt Boomer. Den gibt es allerdings im Deutschen gar nicht.

Es gibt für Babyboomer keine sinnvolle deutsche Entsprechu­ng, Säuglingsa­ufschwüngl­er klingt merkwürdig. Es handelt sich um einen Anglizismu­s, der im Deutschen denglisch unbeholfen wirkt, aber üblich geworden ist. Die Generation so zu nennen ist zudem ein soziologis­cher Trick. Denn damit wird der Einzelne in eine Massenbewe­gung versetzt, als trage er Schuld an seiner Existenz und die der anderen. Die heißen Kerstin, Katrin, Sabine, Susanne, Bernd, Jens, Thomas oder Uwe und scheinen einen Bevölkerun­gs-Tsunami auszulösen, der die Alterspyra­mide auf den Kopf stellt und das Rentensyst­em sowie den Arbeitsmar­kt kollabiere­n lässt.

Nicht zuletzt verteidige­n diese arbeitssüc­htigen Wachstumsg­ewinnler auch noch ihren Wohlstand, erzählen kecke Kalauer, über die sie selbst am meisten lachen, streben eine Ruhestands­balance an, tippen mit nur einem Finger Nachrichte­n aufs Smartphone und ignorieren, dass Flugmeilen sammeln kein Hobby sein muss. Dafür hätten ihre Kinder zur Not noch Verständni­s, würden die Alten nicht ebenfalls störrisch ihre Meinung zu Gendern, Veganismus oder Klimawande­l kundtun.

Unter „OK Boomer“finden sich seit 2019 Memes im Internet, mit denen die Jüngeren ihre komischen Vorfahren erheitert kritisiere­n. Ich habe mich fast totgelacht, wie altersunge­recht ich sein soll. Aber das kann nur ein Babyboomer schreiben oder einer, der so denkt. Noch Fragen?

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