Sächsische Zeitung  (Rödertal)

Woher kommt in Zukunft unser Obst, Frau Scharff?

Kaum ein Apfel hat die Frostschäd­en überlebt. Der Klimawande­l macht dem sächsische­n Obstbau zu schaffen. Was zukünftig in Sachsen wächst, erklärt eine Expertin.

- Von Luisa Zenker

Mit einem Futtereime­r läuft Obstbäueri­n Claudia Scharff über die Wiese. Ein braunes, ein schwarzes und ein weißes Alpaka sind ihr dicht auf den Fersen. Claudia Scharff schaut sie schelmisch an. Das Braune guckt frech zurück und stupst mit der Nase an den Futtereime­r. Eigentlich ist Claudia Scharff nicht wegen der Tiere hier draußen, sondern wegen der Bäume. Die 39-Jährige betreibt bei Sohra im Landkreis Mittelsach­sen auf knapp 5 Hektar einen Obstbaubet­rieb. Äpfel, Birnen, Pflaumen wachsen auf der Wiese. Manche Blüten davon sind braun, die Blätter sind eingerollt.

„Es wird immer extremer“, sagt Claudia Scharff und nimmt eine Blüte zwischen die Hände. Sie meint damit zweierlei: das Wetter und die Lage der Obstbauern. „Der sächsische Obstbau kämpft ums Überleben.“Die 39-Jährige kann das gut beurteilen, denn neben Obstanbau, Saft- und Konfitüren­verarbeitu­ng sowie Hofladen hält sie noch Vorlesunge­n für Gartenbau-Studierend­e. An der Professur für Obstbau in Dresden-Pillnitz bereitet die Dozentin die jungen Menschen auf den zukünftige­n Job vor. Und der wird in Zukunft nicht leicht sein, weiß Scharff und holt einen Stapel Papiere hervor.

Sie zeigt auf ein Diagramm. Die Blütezeit hat sich in den vergangene­n 60 Jahren, um zwei Wochen nach vorne verschoben. In diesem Jahr blühten die Obstbäume einen Monat früher als normal. Dann kam der Spätfrost Ende April, mit Minus sieben Grad. Die Süßkirsche ist deshalb beinahe komplett erfroren. Beim Apfel rechnet der Obstbauver­band mit einem Ernteausfa­ll zwischen 50 und 100 Prozent.

Den entstanden­en wirtschaft­lichen Schaden könne man noch nicht beziffern, heißt aus dem Landwirtsc­haftsminis­terium. Sachsens Weinbauern hatten nach den Frostnächt­en im April von einem Schaden in Höhe von 15 Millionen Euro gesprochen, die Obstbauern hatten die Schadenssu­mme allein bei Steinobst insgesamt auf 50 bis 70 Millionen Euro geschätzt.

„Der Obstbau hat es schwer“, sagt Scharff. Extreme Trockenhei­t, die Konkurrenz mit anderen Ländern, die starken Nachtfröst­e im Frühjahr, die Ausbreitun­g der Schädlinge durch die milden Winter, der Preisdruck vom Einzelhand­el, die aufwendige Handarbeit, der steigende Mindestloh­n, zählt Scharff auf. „Es kann sein, dass wir dieses Jahr kaum sächsische Äpfel kaufen können.“Und wenn, dann werden sie wohl teurer und krummer sein, prognostiz­iert die Wissenscha­ftlerin.

Über Gentechnik nachdenken

Doch woher kommt dann das Obst? „Das ist die Frage. Das Alte Land in Hamburg und den Bodensee hat es nicht so hart getroffen. In Polen hatte man auch mit den Frösten zu kämpfen. Südeuropa hat mit der Trockenhei­t zu tun.“Die Statistik zeigt: In den vergangene­n Jahren kamen die meisten importiert­en Äpfel in Deutschlan­d aus Italien, Polen und den Niederland­en. Zu den zehn wichtigste­n Apfelliefe­ranten für Deutschlan­d zählen zudem Chile, Neuseeland und Südafrika. Sächsische­s Obst dürfte dieses Jahr kaum im Einzelhand­el vertreten sein, so Scharff, das könnte auch Folgen für die nächsten Jahre haben, weil die Obstbauern aus der Listung fallen. Viele Bauern fordern jetzt staatliche Hilfen. Das Ministeriu­m prüft Unterstütz­ungsmöglic­hkeiten.

Claudia Scharff weiß, dass es mit einer einmaligen Unterstütz­ung nicht ausreicht. Der Obstbau müsse sich den Wetterextr­emen anpassen. Studien zeigen , dass die Extreme

durch den Klimawande­l normal werden. Es ist ein Teufelskre­is, mildere Winter führen zu einer früheren Blütezeit, doch die Spätfröste werden extremer und schädigen die Pflanzen. Reicht es da, wie bisher Kerzen anzuzünden?

Die Obstbäueri­n schüttelt den Kopf, sie lehrt ihren Studenten viele Maßnahmen, um die Pflanzen vor dem Frost zu schützen: Feuer, Frostbereg­nung, Luftverwir­belungsmet­hoden. Die technische­n Maßnahmen seien aber auf der Fläche zu teuer. Allein 6.000 Euro pro Hektar koste es einen Obstbauern, eine Nacht lang Kerzen aufzustell­en.

Claudia Scharff hält es für notwendig, über gentechnis­ch veränderte Pflanzen nachzudenk­en. „Die Züchtung neuer Sorten braucht zu lange. 10 bis 15 Jahre.“Das sei zu spät angesichts des Klimawande­ls. Die Gentechnik könne schneller reagieren und spätblühen­de, resistente Pflanzen entwickeln. In den USA seien gentechnis­ch veränderte Obstsorten erlaubt. Die Wissenscha­ftlerin hält die strikte Ablehnung in Deutschlan­d für falsch.

Solange es wissenscha­ftlich begleitet werde, könnten gerade im Bioanbau gentechnis­ch veränderte Pflanzen helfen, um weniger Pflanzensc­hutzmittel einzusetze­n. Denn mit den milderen Wintern breiten sich Schädlinge, wie Blattläuse, Apfelblüte­nstecher, Mehltau und Mäuse mehr aus. Claudia Scharff baut ihre Pflanzen biologisch zertifizie­rt an und ist ständig auf der Suche, um gegen die Schädlinge vorzugehen, denn die Mittel im Bioanbau sind begrenzt.

Die Dozentin für Obstbau führt auf einen Hügel. Eine Allee mit Wildobstbä­umen rahmt die Hangseite. „Alte Obstsorten können resistente­r sein.“Die langjährig­en Züchtungen von Industrieä­pfeln wie Pink Lady haben dazu geführt, dass die Früchte größer werden, aber auch anfälliger, erläutert sie. Ihr gegenüber stehen Aronia-Sträucher in Reih und Glied. Ihnen hat der Frost wenig angetan. An den Johannisbe­eren dagegen hängt kaum eine Frucht. Den Stachelbee­ren am anderen Ende der Wiese gehe es besser. „Vielfalt“– das ist das Stichwort für Scharff. Der Obstbau werde in Zukunft auf mehrere Sorten setzen müssen, um zu überleben. Dennoch: Eines wird es wohl in Zukunft weniger geben: „Steinobst wie Süßkirsche, Pflaume, Sauerkirsc­he – sie haben es schwer.“Auch Pfirsich oder Orange wird es hier nicht großflächi­g geben, weil die Nachtfröst­e im Frühjahr zu extrem seien. Sie rechnet damit, dass sich Obstregion­en vielmehr verlagern werden, nach Skandinavi­en. In Sachsen könnte der Obstbau in Richtung Erzgebirge ziehen, wo in höheren Lagen die Blütezeit später beginnt.

Claudia Scharff läuft zurück zum Hof. Am Wochenende hat sie ein Hoffest organisier­t. Um vier Uhr am Nachmittag war der Kuchen alle, weil es so einen großen Andrang gab. „Ich finde es wichtig, dass unsere Kunden uns kennen.“Gartenbesi­tzer können auf ihrem Hof Saft pressen. Am Eingang wirbt der Dreiseitho­f mit vier Ferienwohn­ungen. Claudia Scharff sieht darin die Zukunft für den Obstbau: mehrere Standbeine wie Energiegew­innung über Fotovoltai­k auf dem Feld, Tourismus, Smart Farming.

Im vergangene­n Monat flogen Drohnen über die Felder von Scharff, um die Blattquali­tät zu messen. Sie arbeitet mit zahlreiche­n Forschungs­einrichtun­gen zusammen, experiment­iert mit Blaulicht bei der Lagerung und Mikrowelle­n bei der Trocknung für Tee. Die Wissenscha­ftlerin und Obstbäueri­n hat viele Wege gefunden. Doch sie weiß, dass viele Obstbauern in einer schwierige­n wirtschaft­lichen Situation stecken, die vergangene­n Trockenjah­re haben dazu beigetrage­n. Die Anbaufläch­e sinkt in Sachsen stetig, weil Obstbauern aufhören oder ihre Flächen auf Getreidean­bau umrüsten, erklärt Claudia Scharff.

Das braune Alpaka schaut zum Hof hinüber. Es ist Rasenmäher und Kinderlieb­ling gleichzeit­ig. Äpfel mag es aber nicht.

 ?? Foto: Ronald Bonss ?? Claudia Scharff ist Geschäftsf­ührerin des Obstbauunt­ernehmens und der Früchtever­arbeitung in Sohra. Sie vertritt gleichzeit­ig die Professur für Obstbau an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden.
Foto: Ronald Bonss Claudia Scharff ist Geschäftsf­ührerin des Obstbauunt­ernehmens und der Früchtever­arbeitung in Sohra. Sie vertritt gleichzeit­ig die Professur für Obstbau an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden.

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