Der Sozialentertainer
Holger John ist Künstler und Galerist, Impresario und Eventmanager. Aber wann und wo macht der Mann eigentlich seine vielen Zeichnungen?
Die oben formulierte Frage lässt sich mit einem Satz beantworten. Holger John zeichnet entweder an seinem Küchentisch oder in seiner Galerie. Mit anderen Worten: Johns Kunst entsteht am „geografischen Mittelpunkt“Dresdens, wie er das Eckhaus an der Rähnitzgasse 17 nennt, auf dessen zwei Etagen sich seine Galerie befindet. Auf dem Gehweg hatte irgendwann vor nicht allzu langer Zeit einmal ein Held einen sehr schlechten Tag gehabt: Der riesige Batman steckt kopfüber im Straßenpflaster. Touristen lieben die Figur und machen vermutlich mehr Selfies vor der Bruchlandung als vor der Frauenkirche. „Dresden ist die schönste Stadt der Welt, also ist hier ihr geografischer Mittelpunkt“, erklärt der Galerist. Das hat sich rumgesprochen, weltweit. Stadtführer lassen sich so eine Information doch nicht entgehen!
Und irgendwie ist diese Galerie ja auch der Mittelpunkt der Dresdner Szene. Eröffnet hat sie der Zeichner Holger John, gebürtig aus Greifswald und nach den Angaben seiner Mutter auf einem dortigen Rummelplatz hergestellt, Anfang 2014 mit einem Paukenschlag: „Schwarze Weihnacht“hieß die Schau mit Werken von Till Lindemann und den originalen Rammstein-Totenmasken. Und schon war’s vorbei mit der behäbigen Ruhe im noblen Barockviertel. Seitdem hat John in seiner Galerie immer wieder die Kunst auf den Punkt gebracht mit seinem Gespür für Themen, die in der Stadt brodeln, für Geschichten, die die Leute interessieren und mit seinem Auge für Qualität. Vorübergehend haben die Madonnen und Medusen die Macht übernommen in der Rähnitzgasse 17. Darunter hier bestens bekannte Künstlerinnen wie Angela Hampel und Cornelia Schleime, aber auch internationale Berühmtheiten wie Marina Abramowicz und Hanne Darboven, Jenny Holzer und Katharina Sieverding. Wie er an die hochkarätigen Arbeiten rankommt? Das bleibt sein Geheimnis. Doch Holger John ist viel zu sehr Künstler, als dass er nur aufs Geschäftemachen und Verkaufen aus wäre.
Als er einmal gefragt wurde, was er denn für ein Rezept habe, sagte er: „Das Glück verschenken.“Seine Galerie ist auch eine Bildungswerkstatt und Treffpunkt für Künstler. „Die bringen ihre Geschichten mit. Ob ich das will oder nicht, die werden alle hier abgelegt. Manchmal hochinteressant. Aber das frisst mehrere Stunden am Tag.“Seine Schwester meint, er sei kein Galerist, sondern ein Sozialentertainer.
Das liegt freilich auch an seinem offenen Wesen, seiner fröhlichen Art. Wenn er heimlich nach Absurdistan unterwegs ist, schiebt er den Hut in den Nacken und kratzt sich am Kopf. Auch ironisch kann er, aber zynisch wird er nie. Im Gespräch merken seine Gäste schnell, dass er wirklich was von Kunst versteht und dass er das Leben da draußen ernsthaft reflektiert, dass er sich für die Stadt, in der er seit dem Studium an der Hochschule für Bildende Künste einsetzt. Jemand hat ihn tatsächlich mal gefragt, ob er denn nicht Kulturbürgermeister
werden will. Nee, will er nicht. Aber wenn er meint, dass er etwas besser kann als andere, dann macht er es. Zum Beispiel organisiert er das Programm für ein neues Festival am Japanischen Palais. „Weitermachen“, ist seine Devise. Ängstlichkeit hat in der Kunst nichts zu suchen.
Wenn ein Künstlerkollege ihm etwas vorjammert, schlägt er ihm vor, dass er doch lieber arbeiten soll und danach erst malen. „Das wird natürlich missverstanden“, erklärt John verschmitzt, der einst bei der berühmten Keramikerin Hedwig Bollhagen zum Scheibendreher/Freidreher ausgebildet wurde. „Es war ein Knochenjob, wie im 17. Jahrhundert.“Und sein Vater, der ebenfalls Künstler war, hat ihm eingetrichtert: Kunst kommt aus der Fülle oder gar nicht. „Drei geniale Bilder malen? Da biste noch nicht zu Hause, man muss arbeiten wie ein Werktätiger. Reingraben und durchs Schlüsselloch durch und hinten wieder raus und scheitern und Lust am Scheitern. Jammern und Weitermachen!“Zeichnen kann der 64-Jährige immer und überall. Die Fülle hat der Zeichner für die Autorin auf dem Boden der Galerie ausgebreitet. Arbeiten aus allen Lebensphasen, nicht nur nebeneinander, sondern auch gestapelt. Eine Kutsche des Fünfjährigen zeigt das Talent. Palmen auf der Brühlschen Terrasse könnten eine Albernheit gewesen sein, ein Ausdruck von Fernweh in den 80er-Jahren oder vielleicht sogar eine Art Vorsehung. Hat der Kunststudent damals geahnt, dass subtropische Pflanzen in Mitteleuropa heimisch werden könnten, dass die Buchen vertrocknen und die Eichen vom Prozessionsspinner kaputtgefressen würden?
Das barocke Dresden ist immer wieder Thema, er verlegt es gern nach China. Auch das berühmte Schokoladenmädchen aus der Gemäldegalerie ist vor John nicht sicher. Dekorative Muster und abstrakte Gebilde in permanenter Wiederholung sind mehr als nur Fingerübungen. Und nun, im Caspar-David-Friedrich-Jahr haben es John die den Mond betrachtenden Männer angetan. Auf unendlich vielen Blättern variiert er das Thema. Mal ist der Mond rund und voll, mal eine Sichel und schmal. Zu den Männern gesellt er einen Hund und eine Frau. „Natürlich eine Muse, aber die sieht nicht besonders helle aus“, meint er selbstkritisch. Immer wieder verändert der Zeichner dabei auch die Federführung: mal fester Strich, mal zartes Gestrichel, mal verzwicktes Liniengewirr, schließlich vollflächige Figuren, abstrahierend, fast wie Piktogramme.
Johns rechter Mittelfinger ist angeschwärzt. Naja, na gut, . Aber wann füllt er all diese Blätter? Seine Galerie hat in einem Monat vermutlich mehr Besucher als andere Galerien im ganzen Jahr. Wenn John in Ruhe arbeiten will, hängt er einen Zettel raus. Darauf steht irgendeine Telefonnummer und sowas wie: „Heute regnet‘s“. Oder: „Lasst mich doch alle in Ruhe“. Er meint: „Man muss sich ja auch schützen, sonst kommt man zu gar nichts.“Nach gar nichts sieht es nicht aus in der Galerie, an keinem einzigen Tag in den vergangenen zehn Jahren.