So tickt der „Tramfluencer“
Straßenbahnfahrer Maik Zeuge ist der „Tramfluencer“. Mit Videos über seine Arbeit oder Technik-Details der Bahnen hat er sich so zu einer Berühmtheit in Dresden gemausert.
Eine Jugendliche schleicht sich von der Seite an. „Kann ich ein Foto mit ihnen machen?“, fragt sie und lächelt schüchtern. Maik Zeuge nickt, formt die Finger zu einem Peace-Zeichen und setzt sein breitestes Lächeln auf. Von der anderen Seite kommt ein junger Mann, nächstes Fan-Foto, wieder im Selfie-Peace-Lächel-Modus. „Das geht den ganzen Tag so, mittlerweile ist das normal“, sagt Maik Zeuge. Der wohl bekannteste Straßenbahnfahrer Dresdens genießt das.
Als „Tramfluencer“, ein Wortspiel aus Tramfahrer und Influencer, unterhält Maik Zeuge bei den sozialen Netzwerken Instagram und Tiktok über 40.000 Follower. In kurzen Videos nimmt er seine Fans mit in den Alltag als Straßenbahnfahrer. Mal erklärt er, wie die Türen öffnen und schließen, mal die technischen Anlagen am Endpunkt, mal erzählt er von Erlebnissen mit unbedachten Autofahrern. All das macht er in einer herrlich authentischen und liebenswürdigen Art - stets sächselnd und frei heraus, mal mit erhobenem Zeigefinger, manchmal mit einem Augenzwinkern.
Gerade steht der Tramfluencer an einem freien Tag in DVB-Kutte am stark befahrenen Postplatz inmitten der Gleise und lässt den Fototermin gelassen über sich ergehen. Nebenbei macht er Fotos mit Fans, die etwa im Fünf-Minutentakt nach einem Selfie fragen. Offensichtlich hat er sich zu einer Dresdner Berühmtheit gemausert. Sämtliche Dresdner Medien waren schon mit ihm unterwegs, sogar die Sender ZDF und RTL hatten ihn vor der Linse.
Den Namen „Tramfluencer“hat er übrigens von Sächsische.de verpasst bekommen, als er 2022 in einem Interview erstmals Rede und Antwort zu seinem beliebten Account stand. Mit diesem Wortspiel konnte er sich so gut identifizieren, dass er den vorherigen Namen „Tramdriver“ablegte. „Ich war einer der ersten in Deutschland, inzwischen gibt es noch mehr Tramfluencer“, sagt er. Doch es gibt nur einen richtigen. Maik Zeuge greift in seine Tasche und fischt seinen Personalausweis hervor. Auf der Rückseite steht unter Künstlername wahrhaftig das Wort Tramfluencer, schwarz auf grün, behördlich genehmigt.
Und genau das macht Maik Zeuge aus: die unbändige Liebe zu seinem Beruf. Auf die Frage, ob es irgendetwas gibt, dass im Berufsleben manchmal nervt, weiß er keine Antwort.
Für seinen Arbeitgeber, die Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB), ist der 45-Jährige in Sachen Nachwuchsförderung wohl ein Jackpot. „Für uns kann das nur gut sein. Es ist kostenlose Werbung für die Suche nach qualifizierten Arbeitskräften“, sagt Falk Lösch, Pressesprecher der DVB. Allein in Dresden hätten sich laut Maik Zeuge sechs Personen beworben, weil er sie mit seinen Videos erreicht und überzeugt hat. Deutschlandweit sind es etwa 14, schätzt der Tramfluencer und man sieht, dass ihn das mächtig stolz macht. Er sieht sich als Berufsbotschafter. Und das ist für beide Seiten Glück, denn bis 2019 hatte Maik Zeuge so gar nichts mit Straßenbahnen am Hut. Er ist gelernter Lagerfachhelfer und war zuletzt in einem Dresdner Sanitätshaus im Außendienst tätig. Und dann war da dieser eine Tag. Er war in der Linie 7 unterwegs, das weiß er noch bis heute. Im Fahrgast-TV lief eine Werbung: Die DVB suchen Quereinsteiger. Er bewarb sich und die Geschichte nahm ihren Lauf.
Anfangs hat Maik Zeuge sein neues berufliches Glück in seinem WhatsApp-Status mit Familie, Freunden und Bekannten geteilt. Ihm kam die Idee, das auch bei Social Media zu teilen. Er startete Anfang 2020 und zeigte Straßenbahnen aus allen erdenklichen Perspektiven, an unzähligen Orten in Dresden, bei Regen, Schnee und Sonne, frühmorgens, nachts. Er dreht kleine Videos. Die Follower wurden mehr.
Was dann passierte, kann er sich auch nicht erklären. Innerhalb kurzer Zeit gingen die Follower-Zahlen durch die Decke. 8.000 – 15.000 – 20.000, die Zahlen wurden immer größer. Vier Jahre nach seinem ersten Beitrag sind es 40.000, Zeuge schwärmt von der „Community“. Über 800.000-mal wurde ein Video von ihm angeschaut, in dem er sich über Dynamo-Aufkleber in der Straßenbahn moniert. Neben seinem 40Stunden-Job bei den DVB investiert Maik Zeuge viel Zeit, um zu unterhalten. „Zwei bis drei Stunden kommen täglich für Social Media dazu“, sagt er. „Ich will meine Bildschirmzeit aber ein bisschen reduzieren.“Die Videos dreht er mit seinem privaten Smartphone, schneidet diese dann darauf zusammen. Manchmal bekommt er bis zu 250 Nachrichten am Tag, die er auch alle beantwortet. Die Themen für seine Videos denkt er sich selbst aus oder nimmt Wünsche von Followern entgegen. Die DVB machen ihrem Mitarbeiter übrigens keine Vorschriften, Betriebsgeheimnisse sind selbstredend tabu. „Wir nehmen so gut wie keinen Einfluss, dadurch bleibt es authentisch“, sagt Pressesprecher Falk Lösch. Und: Der Tramfluencer verdient im Unterschied zu anderen Influencern kein Geld mit seinen Beiträgen. Im Dienst selbst gibt es für den Straßenbahnfahrer nur eins: Konzentration. Wenn er mit den über 50 Tonnen schweren Bahnen unterwegs ist, gibt es viele Gefahrenquellen. „Gerade an Kreuzungen wie dem Postplatz muss ich für alle Verkehrsteilnehmer mitdenken“, sagt er.
Ein Highlight für ihn ist die neue Straßenbahn, die seit Juni 2023 in Dresden unterwegs ist. „Für mich als Fahrer ändert sich gar nicht so viel, aber für die Fahrgäste ist es ein großer Unterschied zu den anderen Bahnen.“Am liebsten fährt der 45-Jährige übrigens die Linie 2, die zwischen Kleinzschachwitz und Gorbitz unterwegs ist. Zum einen hat der Straßenbahnfahrer dort weniger mit Individualverkehr zu tun, was das Stresslevel senkt. Zum anderen fährt er damit durch seinen Wohnort Gorbitz - und sogar an seiner Wohnung vorbei. „Letztendlich ist es aber egal, auf welcher Linie ich unterwegs bin. Hauptsache, ich kann Straßenbahn fahren.“
Hype und Hass für den Tramfluencer
Auch emotionale Momente teilt Maik Zeuge mit seinen Followern. Als ihm im Dienst an einer Haltestelle ein Mädchen vor die Straßenbahn läuft, ist er fassungslos. Und obwohl der Vater die Ausgebüchste im letzten Moment an der Kapuze vor dem Schlimmsten bewahrt, steckt Maik Zeuge der Schreck noch in den Gliedern, als er das Video aufnimmt. „Ihr könnt euch nicht vorstellen, was einem in dem Moment durch den Kopf geht“, sagt er im Video.
Ist der Dienst dann geschafft, beginnt die Social-Media-Arbeit. Dort wird der Tramfluencer nicht immer nur umjubelt. Gerade die sozialen Netzwerke sind nicht nur für Hype, sondern auch für Hass bekannt. „Inzwischen ist es nicht mehr so viel, aber am Anfang war es schwierig“, sagt er. Er reagiere nicht mehr auf Beschimpfungen, konzentriert sich auf die positiven Kommentare. „Man kommt mit Leuten in Kontakt, die man ohne all das nie kennengelernt hätte.“Privates sieht man von Maik Zeuge bei Social Media nur ab und zu. Da die Fans ihn jedoch auch ohne DVB-Arbeitskleidung in Dresden erkennen, nimmt er sich auch in seiner Freizeit für Selfies Zeit. Von seinen drei Kindern sind zwei im Teenager-Alter. „Die waren anfangs gar nicht begeistert“, so der Tramfluencer. Verständlich, wenn der „peinliche Papa“sein Gesicht bei Social Media zeigt. Doch das änderte sich schnell, als Mitschüler begeistert waren. „Inzwischen bin ich der Größte an beiden Schulen.“