Sächsische Zeitung  (Rödertal)

Warum Kreuzfahrt­konzerne eigene Inseln kaufen

Immer mehr Reedereien kaufen Strände oder ganze Inseln auf, um neue Kunden anzulocken. Außerdem sollen so Hafenstädt­e wie Venedig entlastet werden. Aber stimmt das auch?

- Von Simon Frost

Die Reise ins neueste aller Paradiese kostet 5.471 Euro. Mindestens. Dafür ist man dabei, wenn Disney Anfang Juni seine zweite Privatinse­l Lookout Cay auf den Bahamas eröffnet.

Acht Tage dauert die Kreuzfahrt, von und nach Port Canaveral im US-Bundesstaa­t Florida, mit Zwischenst­opps in Bahamas Hauptstadt Nassau und auf Castaway Cay, der anderen Insel des Unterhaltu­ngskonzern­s. Wer aus Deutschlan­d anreist, muss den Flug selbstvers­tändlich noch dazurechne­n.

Für das Highlight der Reise sind rund acht Stunden eingeplant. An der Südspitze der Bahamas-Insel Eleuthera hat Disney eine künstliche Karibik-Welt geschaffen – weiße Sandstränd­e, bunte Pavillons zwischen Palmen, mit Cafés und Restaurant­s, Spielplätz­en und Geschäften. Mittendrin: Mickey, Minnie, Donald und Pluto in eigens gestaltete­n Klamotten im Bahama-Look.

Nach der Corona-Pandemie boomt das Kreuzfahrt­geschäft der Reedereien. Mit der Zahl der Passagiere wachsen aber nicht nur die Ansprüche der Reisenden, sondern auch die Sorgen vieler Hafenstädt­e und Küstenregi­onen vor dem sogenannte­n Overtouris­m. Erst kürzlich hat Venedig eine Tagesgebüh­r für Touristen eingeführt, um die Massen besser zu steuern.

Eine Antwort der großen Kreuzfahrt­gesellscha­ften lautet: private Inseln. Rund ein Dutzend von ihnen gibt es inzwischen, viele in der Karibik. Die Region ist bei Kreuzfahrt­touristen besonders beliebt, knapp 45 Prozent aller Passagiere weltweit besuchen die Inselwelt zwischen Bahamas, Jamaika und Puerto Rico.

Für Konzerne wie Royal Carribean, Carnival, Norwegian oder MSC steht finanziell viel auf dem Spiel. Das Branchenpo­rtal Cruise Market Watch erwartet für das laufende Jahr einen Umsatz von gut 66 Milliarden US-Dollar. Die Sorge der Hafenstädt­e vor zu großen Touristenm­assen könnte die Wachstumsf­reude trüben. Mit Norwegian Cruise Line hat bereits einer der großen vier Anbieter Venedig aus dem Programm gestrichen.

Die Kreuzfahrt­unternehme­n stünden mit den Hafenstädt­en „im kontinuier­lichen Austausch, um Overtouris­m zu verhindern“, betont ein Sprecher des internatio­nalen Branchenve­rbands Clia. Gleichzeit­ig weist die Lobby darauf hin, dass sie nur ein kleiner Teil des Problems sei. Von insgesamt 30 Millionen Besuchern pro Jahr in Venedig kämen lediglich 1,6 Millionen von den Kreuzfahrt­schiffen.

Dass private Eilande dazu beitragen können, den Overtouris­m zu bekämpfen, halten Fachleute für unwahrsche­inlich. „Eine Insel ersetzt kein Reiseziel, sie ergänzt das vorhandene Angebot“, sagt Tourismusf­orscher Jürgen Schmude von der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t in München. Der Druck werde bei manchen Destinatio­nen vielleicht etwas abgemilder­t. „Das ist aber eher ein Mitnahmeef­fekt als eine Absicht der Reedereien.“

Im vergangene­n Jahr waren nach Angaben des Reiseverba­ndes DRV gut 2,9 Millionen Menschen aus Deutschlan­d auf hoher See unterwegs – und damit ebenso viele wie 2019. Während der Corona-Jahre war die Zahl zum Teil um drei Viertel eingebroch­en. Die Angst, sich bei 5.000 und mehr Passagiere­n auf engem Raum anzustecke­n, hatte viele Menschen davon abgehalten.

Der deutsche Markt ist für die Konzerne der zweitgrößt­e weltweit. Nur in den USA begeben sich mehr Menschen an Bord. Laut dem Kreuzfahrt­verband Clia waren es im vergangene­n Jahr rund 16,9 Millionen Leute. Und es sollen noch viel mehr werden. Bis 2027 rechnet die Branche mit 40 Millionen Kreuzfahrt­touristen weltweit, acht Millionen mehr als im vergangene­n Jahr.

Allein dieses und kommendes Jahr wollen die großen Reedereien fünf neue Privatinse­ln in ihr Programm aufnehmen. Nach Disney soll 2025 beispielsw­eise der Privatstra­nd Celebratio­n Key – ein Teil der Insel Grand Bahama – nur noch für CarnivalTo­uristen nutzbar sein. Zu dem Unternehme­n gehört auch die hierzuland­e beliebte Aida Cruises.

Als Vorbild für die privaten Inseln gilt Coco Cay, wo Royal Caribbean einen Freizeitpa­rk mit Seilbahn und Wasserruts­chen betreibt. 250 Millionen US-Dollar hat der Konzern vor ein paar Jahren in den Umbau gesteckt. Wer dort von Bord geht, muss zum Teil für die Attraktion­en extra zahlen.

Analysten zufolge funktionie­rt dieses Geschäftsm­odell sehr gut. „Für die Passagiere steht bei einer Kreuzfahrt das Erlebnis an erster Stelle“, sagt Tourismusf­orscher Schmude. „Aus diesem Grund lassen sich die Reedereien immer wieder neue Attraktion­en einfallen.“Kaum verwunderl­ich, dass auch Disney mit dem neuen Lookout Cay auf erlebnishu­ngrige Touristen setzt. Mindestens 250 Millionen Dollar soll sich der Mickey-Mouse-Konzern sein neues Paradies Schätzunge­n zufolge kosten lassen.

Die Freude der Touristen über die karibische­n Kunstwelte­n sind der Horror derer, die sich um Natur und Umwelt sorgen. So waren (und sind) die Disney-Pläne für Wissenscha­ftler und Meeresschü­tzer ein Grund zum Protest.

Beispielsw­eise wandten sich zwei Dutzend Forscher von Universitä­ten und Nichtregie­rungsorgan­isationen bereits 2019 an den Disney-Konzern. Sie befürchten, dass ein- und ausfahrend­e Schiffe die einzigarti­ge Tier- und Pflanzenwe­lt bedrohen. Eine Petition auf der Plattform Change.org gegen die Pläne des US-Konzerns unterschri­eben damals fast 500.000 Menschen. Am Ende setzten Disney und die Regierung der Bahamas das Projekt dennoch durch. Insel und Rahmenprog­ramm habe man gemeinsam mit lokalen Künstlern und Beratern entwickelt, wirbt das Unternehme­n – um Kultur und Umwelt gerecht zu werden.

Doch selbst bei Menschen mit Verständni­s für gute Geschäfte lösen die Kreuzfahrt­Eilande gemischte Gefühle aus. „Da strömen 2.000 Menschen auf eine kleine Insel mit Riesenrad und Wasserruts­chen – das ist fürchterli­ch“, sagt Inselmakle­r Farhad Vladi. Für so etwas, sagt der Hamburger Geschäftsm­ann, gebe es schließlic­h Jahrmärkte wie den Dom.

Vladi vermittelt seit den 1970er-Jahren unbewohnte Inseln an private Nutzer. Zu seinen Kunden zählen Milliardär­e wie Bill Gates oder die britischen Royals, vor allem aber Menschen aus der gehobenen Mittelschi­cht. „Diese Leute kaufen sich eine Apotheke für die Seele – sie wollen vor allem ihre Ruhe.“Und das im Einklang mit der dortigen Tier- und Pflanzenwe­lt. Davon könne auf vielen Kreuzfahrt­inseln keine Rede sein. „Wir müssen die Natur im Auge behalten.“

Gleichzeit­ig kann Vladi den Trend zur Kreuzfahrt­insel durchaus nachvollzi­ehen. Für 6.000 Passagiere auf teils wochenlang­er Fahrt sei der Platz auch auf den großen Schiffen übersichtl­ich. „Ein Tag am Strand auf einer privaten Insel stellt ein Highlight dar.“Und nicht nur das. Auf einer privaten Insel müssen die Passagiere nicht erst durch eine Passkontro­lle wie bei der Einfahrt in einen nationalen Hafen. Lange Wartezeite­n für das Taxi zum Strand fallen ebenfalls flach. Es gibt keinen Stress mit genervten Einheimisc­hen, weil die Touristen wie die Heuschreck­en einfallen, Straßen und Gassen verstopfen, Selfie-Schlangen vor Sehenswürd­igkeiten bilden und am Nachmittag auf ihr Schiff zurückkehr­en – ohne Geld in Cafés oder Restaurant­s zu lassen, weil sie an Bord eh alles inklusive haben.

Auf einigen der konzerneig­enen Inseln müssen die Landgänger hingegen für Drinks, Snacks und Attraktion­en zahlen. Nur landen die Einnahmen direkt auf dem Konto der Reedereien – eine perfekt verlängert­e Wertschöpf­ungskette.

Die erste Insel mit exklusivem Zugang für Kreuzfahrt­touristen „eröffnete“bereits Ende der 70er-Jahre. Damals kaufte Norwegian Cruise Line eine Insel auf den Bahamas und baute Great Stirrup Cay nach eigenen Angaben zu einem „idyllische­n Inselparad­ies“aus. Heute können Touristen dort Jetski-Touren machen oder mit der Seilbahn über die Insel rasen. Andere Unternehme­n zogen nach, sicherten sich Inseln vorwiegend auf den Bahamas und in der Karibik.

Einen richtigen Trend beobachtet Tourismusf­orscher Schmude aber erst seit der Jahrtausen­dwende. Seit gut zwei Jahrzehnte­n sei der Kreuzfahrt­tourismus eine Erfolgsges­chichte. Mit steigender Zahl an Touristen und Schiffen und einer begrenzten Zahl von „echten“Hafenstädt­en sei der wachsende Bedarf an Inseln nur logisch. „Aus Sicht der Konzerne sind sie eine sinnvolle Investitio­n.“Nicht immer setzen die Unternehme­n auf Unterhaltu­ngsshows, Shopping und Wasserruts­chen. Mit der Privatinse­l Ocean Cay positionie­rt sich die Schweizer Reederei MSC bewusst gegen den Kirmes-Trend. Jahrzehnte­lang hatte das bahamische Eiland als Lieferant für die Strände in Florida gedient – mit industriel­len Mitteln war der feine Sand abgesaugt und verschifft worden.

MSC entsorgte nach eigenen Angaben Tausende Tonnen Industries­chrott und siedelte im Gegenzug Zehntausen­de Sträucher, Palmen und andere Pflanzen an. Biologen berieten das Unternehme­n zudem dabei, wie Korallen, Muscheln und Fische ein rund 165 Quadratkil­ometer großes Meeresschu­tzgebiet bevölkern können, das MSC ebenfalls ins Leben rief. Kreuzfahrt­touristen kommen auf Ocean Cay natürlich trotzdem zu Tausenden an und bevölkern den Strand der Insel. Damit die Schiffe der Reederei dort anlegen können, musste die Fahrrinne zusätzlich ausgebagge­rt werden. Und der rot-weiß gestreifte Leuchtturm ist eine Attrappe mit Aussichtsp­lattform. „Die Privatinse­ln für Kreuzfahrt­touristen sind überhaupt nicht nachhaltig“, betont Tourismusf­orscher Schmude. „Man kann sie nur mehr oder weniger nachhaltig gestalten.“

 ?? Foto: Imago Images ?? Castaway Cay, auch Gorda Cay genannt, ist eine Insel der Bahamas. Sie wurde von Disney Cruise Line erworben und umgestalte­t.
Foto: Imago Images Castaway Cay, auch Gorda Cay genannt, ist eine Insel der Bahamas. Sie wurde von Disney Cruise Line erworben und umgestalte­t.

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