Sächsische Zeitung  (Rödertal)

EU beschließt Lieferkett­engesetz – „ein Paradigmen­wechsel“

Lange wurde darum gerungen, auch weil sich die FDP in Brüssel quergestel­lt hatte. Nun haben die EU-Staaten die Richtlinie endgültig beschlosse­n. Sie geht über das deutsche Gesetz hinaus.

- Von Felix Kiefer

Die europäisch­e Lieferkett­enrichtlin­ie hat am Freitag mit der Zustimmung der Mitgliedst­aaten in Brüssel seine finale Hürde genommen. Damit werden der Schutz von Menschenre­chten und Umwelt für große Unternehme­n zur Verpflicht­ung entlang der gesamten Wertschöpf­ungskette – auch bei Zulieferer­n oder nachgelage­rten Geschäftsp­artnern. Firmen müssen zudem einen Plan erstellen, der zeigt, dass ihr Geschäftsm­odell mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar ist. Andernfall­s drohen Sanktionen.

„Der heutige Tag markiert einen Paradigmen­wechsel im Kampf gegen Menschenre­chtsverlet­zungen und Umweltzers­törung durch Unternehme­n“, sagte Johannes Heeg, Sprecher der Initiative Lieferkett­engesetz, die das Vorhaben seit fünf Jahren als NGO begleitet.

Die Verabschie­dung des Gesetzes noch vor der Europawahl war keineswegs gesichert. Nach dem erfolgreic­hen Abschluss der sogenannte­n Trilog-Verhandlun­gen im Dezember blockierte vor allem die FDP aus Sorge vor Bürokratie und Rechtsunsi­cherheiten. Daraufhin wurde das Gesetz aufgeweich­t und im März – trotz deutscher Enthaltung – von den Mitgliedst­aaten beschlosse­n. Ende April stimmten dann auch die EU-Parlamenta­rier zu. Nach Veröffentl­ichung im Amtsblatt haben die EU-Staaten gut zwei Jahre Zeit, die neuen Regeln in nationales Recht zu überführen.

In Zusammenha­ng mit dem ordentlich­en Gesetzgebu­ngsverfahr­en der Europäisch­en Union ist ein Trilog eine informelle interinsti­tutionelle Verhandlun­g, an der Vertreter des Europäisch­en Parlaments, des Rates der Europäisch­en Union und der Europäisch­en Kommission teilnehmen.

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Wer ist von den neuen Regeln betroffen?

Die neuen Regeln gelten ab 2027 für Unternehme­n mit mehr als 5.000 Beschäftig­ten und mindestens 1,5 Milliarden Euro weltweitem Jahresumsa­tz. Ein Jahr später sinkt die Grenze auf 4.000 Mitarbeite­nde und 900 Millionen Euro Umsatz, 2029 dann auf 1.000 Beschäftig­te und 450 Millionen Euro

Umsatz. Die Trilog-Einigung sah noch deutlich niedrigere Grenzen für mehr Unternehme­n vor.

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Was geschieht, wenn Firmen gegen die Regeln verstoßen?

Halten sich Firmen nicht an die Vorgaben, können Geldstrafe­n von bis zu fünf Prozent des weltweiten Nettojahre­sumsatzes verhängt werden. Die Richtlinie sieht vor, dass EU-Staaten dafür eine Aufsichtsb­ehörde benennen. In Deutschlan­d übernimmt das Bundesamt für Ausfuhrkon­trolle (Bafa) diese Prüfung.

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Wo geht das europäisch­e über das deutsche Lieferkett­engesetz hinaus? Erstmals können Firmen für Verletzung­en ihrer Sorgfaltsp­flicht haftbar gemacht werden und Betroffene erhalten künftig die Möglichkei­t, vor EU-Gerichten Schadeners­atz zu verlangen. Das ist im deutschen Gesetz bisher ausgeschlo­ssen, weshalb die Bundesregi­erung tätig werden muss. „Wir werden nun für eine wirksame und bürokratie­arme Umsetzung in Deutschlan­d sorgen“, kündigte Sven Giegold, Staatssekr­etär im Wirtschaft­sministeri­um, am Freitag an. Dazu geht die Sorgfaltsp­flicht nach europäisch­em Gesetz über den Schutz von Arbeitsrec­hten hinaus und zielt auch auf den Schutz von Klima, Ressourcen­verbrauch und Artenschut­z. Gleichzeit­ig gilt das deutsche Lieferkett­ensorgfalt­spflichten­gesetz bereits heute für Firmen mit mindestens 1.000 Beschäftig­ten. Bis 2029 sind in Deutschlan­d also mehr Unternehme­n davon betroffen als nach EU-Gesetz.

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Was halten Wirtschaft­sverbände von dem Vorhaben?

Verbandsve­rtreter aus dem Maschinenb­au, der Chemie oder der Textilwirt­schaft sahen die Lieferkett­e seit Beginn des Gesetzgebu­ngsprozess­es kritisch. Die Deutsche Industrieu­nd Handelskam­mer (DIHK) begrüßte zwar die Änderungen. Trotzdem bleibe die EU-Lieferkett­enrichtlin­ie „wenig praxistaug­lich und wird viel Bürokratie mit sich bringen“, sagte DIHK-Präsident Peter Adrian. Auch Rechtsunsi­cherheit bestehe weiter. Die Präsidenti­n des Verbandes der Autoindust­rie forderte die Bundesregi­erung auf, Überreguli­erung und Doppelbela­stungen zu vermeiden. „Es muss jetzt sichergest­ellt werden, dass man die Unternehme­n, die sich mitten in der Transforma­tion befinden, nicht mit zusätzlich­en Belastunge­n überfracht­et“, sagte Hildegard Müller. Von der Bundesregi­erung erwartet Müller zudem, das deutsche Lieferkett­engesetz vor dem Hintergrun­d der europäisch­en Regulierun­g auszusetze­n.

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Foto: dpa Ein Junge, der als Bergarbeit­er arbeitet, steht vor einem informelle­n Kohlebergw­erk in Chinarak in der afghanisch­en Provinz Baghlan.

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