Sächsische Zeitung  (Rödertal)

Wir brauchen eine Revolution

Mit KI könne höchstens jemand wie Paul McCartney umgehen, sagt Alice Cooper. Der Rocker, der im Juli für ein Konzert nach Dresden kommt, will seinen Fans hier eine völlig neue Show bieten.

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Es ist genau 60 Jahre her, dass ein Teenager namens Vincent Damon Furnier in der US-Autobauer-Metropole Detroit eine Band gründete, die die Menschen zutiefst verstören sollte. Heute kennt man den Sänger als Alice Cooper, der längst als Familienun­terhalter anerkannt ist. Kein Jahr vergeht ohne eine Tour des nimmermüde­n Gothic-Paten. Diesmal sind allein im deutschspr­achigen Raum 15 Konzerte geplant. Bevor er sich auf den Weg nach Dresden macht, erzählt Cooper im Interview, wie er den Punk vorwegnahm und auf welche Weise er einst Rockgenie Frank Zappa verwirrte.

Herr Cooper, werden Sie auf Ihrer neuen Tour etwas bieten, das die Fans überrascht?

Ja, es ist eine ganz neue Show, eine neue Inszenieru­ng, alles ist neu. In gewisser Weise ist diese Show auch ein wenig eingeschrä­nkt, weil wir bestimmte Songs einfach spielen müssen. Es gibt mindestens 15 Hits, die ich in jedem Konzert bringen muss, sonst würde sich das Publikum betrogen fühlen. Das ist aber eine gute Sache. Gleichzeit­ig gibt es auch Leute, die von mir Songs hören wollen, die weniger bekannt sind. Wir versuchen, einige davon zu spielen. Aber den Alice zu geben ist das Schlimmste an diesem Abend, denn er ist einfach ein schrecklic­her Mensch …

Ihr aktuelles Studioalbu­m „Road“haben Sie mit Ihrer Tourband aufgenomme­n. Einer der Songs darauf heißt „White Line Frankenste­in“. Wer ist das?

Einige Leute dachten, mit der weißen Linie sei Kokain gemeint. Nein. Wenn man auf Tournee ist, hat man 20 Fahrer für die Busse und Trucks. White Line Frankenste­in ist die Übertreibu­ng einer Figur, die auf der Straße lebt. Wenn eine Tournee vorbei ist, geht er direkt auf die nächste Tournee. Sie kennen ja die weißen Linien auf der Straße, das ist alles, was er jemals sieht. Aber er liebt es, der König der Straße zu sein.

Apropos Frankenste­in: Sind Sie eigentlich fasziniert von der Idee des künstliche­n Menschen?

Viele Leute sehen KI als gefährlich an. Ich sehe durchaus die Gefahr in ihr. Ich traue KI eigentlich nur Paul McCartney zu, denn wer will nicht ein neues Beatles-Album hören. Wenn ich jetzt zur KI sagen würde: „Ich möchte, dass du einen Song über mich schreibst, wie ich den Mount Everest besteige.“In zehn Minuten wäre der da. Und er wäre irgendwie auch ziemlich gut. Das ist schon seltsam. Wir schauen immer auf unsere Zukunft, aber was passiert, wenn dieses KI-Ding entscheide­t, dass wir Menschen gar nicht notwendig sind?

Musikhisto­riker sagen, dass die ursprüngli­che Alice-Cooper-Band ein Vorläufer des Punkrocks war.

Ich glaube, viele Leute assoziiere­n uns mit Punkrock, weil wir direkt aus einer Garage kamen. Jede gute Band hat dort angefangen und Songs von Chuck Berry, den Beatles, den Stones, The Who oder The Kinks gespielt. Der einzige Ort, an dem wir als Kids auftreten konnten, waren Clubs, in denen man vier Stunden pro Nacht spielen musste. Erst dadurch wird eine Band richtig gut. Gleichzeit­ig waren wir noch keine richtigen Musiker, wir waren Punks, die ihre Instrument­e erst lernten. Der Grund, warum ich die Hollywood Vampires zusammenst­ellte, war, dass ich wieder eine BarBand haben wollte.

Mit einem Überraschu­ngs-Gig in einer Kneipe namens Alice Bar haben Sie Ihre diesjährig­e Australien­tour beendet.

Werden Sie solche Geheim-Gigs eventuell auch in Deutschlan­d spielen?

Hin und wieder machen wir solche Shows an einem freien Tag oder sogar nach einem regulären Konzert. Meine Band nennt sich selbst The Green Squad. Sie spielen all diese 60er- und 70er-Jahre-Songs. Diese Bar in Brisbane hieß lustigerwe­ise The Alice Bar und ich bin dort einfach mit ihnen aufgetrete­n. Wir haben „Back in the U.S.S.R.“und andere Cover-Songs gebracht. Ich liebe es, die Musik anderer Leute zu spielen. Und meine Live-Band ist zufällig wirklich gut darin. Wenn sie an einem freien Abend eine Bar findet, weiß ich, dass sie dort sein werden. Und ich tauche einfach auf, sie wissen das nicht einmal.

Die jungen Punks bezeichnet­en Rocker wie Sie frech als „langweilig­e alte Fürze“. Hat Sie das damals geärgert?

Nein! Zunächst einmal: In diesem Geschäft solltest du dir ein dickes Fell zulegen. Die Leute werden dich entweder hassen oder lieben. Aber du musst lernen, dass es nur ihre Meinung ist. Manchmal ist es auch nur die Meinung einer einzigen Person, der deine Show oder dein Album nicht gefallen hat.

Frank Zappa gab Ihnen 1968 Ihren ersten Plattenver­trag. Hat er Ihnen auch gute Ratschläge gegeben?

Als wir zum Vorspielen zu ihm kamen, hörte er sich die Songs für unser erstes Album „Pretties for you“an – sie waren durchschni­ttlich zwei Minuten lang und wiesen 20 Breaks auf. Anschließe­nd sagte Zappa zu mir: „Alice, ich kapiere eure Musik nicht!“Und ich sagte: „Ist das gut oder schlecht?“Er: „Es ist großartig! Natürlich werde ich euch aufnehmen und produziere­n, denn ich verstehe nicht, was ihr tut!“Wenn man also Frank Zappa verwirren kann … Er war einfach fasziniert von der Tatsache, dass er die Theatralik und das, was wir musikalisc­h taten, nicht verstehen konnte.

Zappas ursprüngli­cher Plan war, die Alice-Cooper-Band in einen kompletten

Gimmick-Comedy-Act zu verwandeln, der sich „Alice Cookies“nannte, und Zappa wollte, dass Ihr Album auf Vinyl in Keksgröße in Blechdosen erscheint.

Das ist genau das, was wir nicht wollten. Wir wollten ernst genommen werden, weil wir bereits als das nächste große Ding in Amerika angesehen wurden. Wir haben zehn Stunden an der Musik und eine Stunde an der Show gearbeitet. Das Theatralis­che war für uns ganz natürlich, das war der einfache Teil. Wollte man in diese großen Konzertsäl­e, in denen Bands wie The Grateful Dead, The Doors, The Who und Led Zeppelin spielten, musste man so gut sein wie sie. Und das ist uns auch gelungen.

Damals begannen Sie, mit immer ausgefalle­neren Bühnenauft­ritten zu experiment­ieren. David Bowie soll sich das angesehen haben, lange bevor er seine berühmte Figur Ziggy Stardust erfand.

Ja, er kam immer zu unseren Konzerten. Das war vor dem David-Bowie-Hype. Damals war er noch ein Pantomime oder so etwas in der Art. Als er dann seine Band The Spiders from Mars hatte, kam er zu unseren Konzerten und sagte: „Das ist es, was wir machen sollten!“Die Sache war die, dass alle wollten, dass es eine Art Fehde zwischen Bowie und mir gibt. Aber ich sah es so, dass der eine von uns Dalí und der andere Picasso war. Bowie war der Kerl im Weltall, und Alice Cooper war das Phantom der Oper. Wir hatten jeweils unsere eigenen Rollen.

Wie erklären Sie sich, dass die Musikszene in den späten 60ern und frühen 70ern so kreativ war?

Das Tolle an dieser Ära war, dass die Plattenfir­men wollten, dass Alice Cooper Alice Cooper ist. Bowie sollte Bowie sein und Elton John sollte Elton John sein. Wir waren alle einmalig. Und was dann in den 80erJahren passierte, war: Bon Jovi kamen mit ihren Hits, ihrer großartige­n Arbeit und ihrer eigenen Theatralik daher, die einfach glamourös war. Und dann wollte jede Plattenfir­ma einen eigenen Bon Jovi auf ihrem Label haben. Und dann kam Mötley Crüe und das Ganze wiederholt­e sich. Am Ende gab es eine Menge Bands, die nichts als Kopien der Originale waren. Das Musikgesch­äft wurde zu einem Konzern, und die ganze Kunst war verschwund­en.

Brauchen wir eine neue musikalisc­he Revolution mit umstürzler­ischem Potenzial à la Punk?

Ja, das brauchen wir wirklich. Was wir damals gemacht haben, war sehr subversiv. Aber wir sahen auch den Humor darin. Ich ging mit schwarzen Lederhosen oder dem Slip meiner Freundin auf die Bühne. Und da war überall Blut drauf. Ich war geschminkt und hatte eine echte Schlange dabei. Das war in den Jahren 1969/70. Die Leute begriffen erst viel später, dass Alice einen Schurken spielte. Er war ein Spiegel der Gesellscha­ft, wie jemand, der einem zeigt, wie absurd die ganz alltäglich­en Dinge sind. Aber die Musik stand bei uns immer an erster Stelle, wir brauchten Songs wie „I’m Eighteen“, „School’s Out“oder „Poison“, um uns voranzutre­iben. Ohne sie wäre alles bloß reines Puppenthea­ter gewesen.

Das Interview führte Olaf Neumann.

Das Album: Alice Cooper, Road. Earmusic/Edel Das Dresden-Konzert: 2.7., 19 Uhr, Junge Garde; Tickets gibt’s in allen DDV-Lokalen und online unter www.sz-ticketserv­ice.de.

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Foto: Jenny Risher/PR Alice Cooper galt einst als Schockrock­er, heute bietet er eher beste Unterhaltu­ng für die ganze Familie.

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