Sächsische Zeitung  (Rödertal)

Neue G’schichten aus dem Wienerwald

Die einen suchen die Nähe zu Gott, andere kurieren ihre Leiden – oder wollen einfach nur ihre Ruhe. Das Mittelgebi­rge vor den Toren der österreich­ischen Hauptstadt macht es allen recht. Manche bleiben gleich für immer.

- Von Steffen Klameth

Frater Melchisede­k hätte es schlechter treffen können. Seit drei Jahren lebt er als Zisterzien­sermönch im Stift Heiligenkr­euz. Eine eindrucksv­olle Klosteranl­age in einem grünen Tal im grünen Wienerwald. Bei schönem Wetter zieht das Stift die Menschen in Scharen an. Im Klostergas­thof tragen die Kellner Tabletts im Minutentak­t zu den Gästen, besonders schwer – für die Gäste – ist die Klostercre­meschnitte, eine süße Verführung aus Blättertei­g, Waldbeeren, Vanillesoß­e und gaaanz viel Schlagober­s.

Frater Melchisede­ks Mahlzeiten sind etwas spartanisc­her, aber Neid ist ihm fremd. „Wir werden auch gut versorgt“, versichert der 23-Jährige. Selbst Wein sei erlaubt – in Maßen, versteht sich. Das Essen nimmt er gemeinsam mit etwa 50 anderen Männern ein, die sich wie er dem Leben hinter Klostermau­ern verschrieb­en haben. Noch mal so viele leben in einer der Niederlass­ungen, darunter auch in Neuzelle bei Görlitz. Während des Mittagesse­ns liest einer der Mönche aus der Tagespost vor. „Wir wissen, was in der Welt passiert“, sagt der Frater. Die Mönche tragen ihre Botschaft über Facebook und Youtube in die Welt.

Frater Melchisede­k stammt aus Freiburg im Breisgau. Ein hochgewach­sener, blonder junger Mann, nach dem sich wahrschein­lich viele Mädchen umdrehen würden. Vergeblich. Die „Sehnsucht nach einem Mehr“habe ihn hierher geführt, sagt er. Er sehe das Leben als Mönch nicht als Verzicht auf, sondern als Entscheidu­ng für etwas. Sein Tag beginnt 5.15 Uhr mit dem Chorgebet, es folgen das Mittagsgeb­et, das Abendlob und das Komplet. Zwischendu­rch widmet er sich dem Theologies­tudium, er arbeitet im Gastmeiste­ramt und führt Besucher durch das Kloster. Er zeigt das Portal, über dem der gesichtslo­se Stiftsgrün­der Markgraf Leopold verewigt ist. Das kunstvolle Stundenbuc­h mit den Gebeten, die für 14 Tage reichen – danach wird von vorn begonnen. Das riesige Heilige Kreuz, die Reliquie des Stifts. Die barocke Sakristei. Den Lesegang und den Kapitelsaa­l mit dem Hochgrab Friedrichs II., des letzten Babenberge­rs.

Nach dem Rundgang versteht man vielleicht immer noch nicht ganz, warum der junge Mann Gott den Frauen vorzieht. Aber man glaubt ihm sofort, wenn er sagt: „Ich genieße hier jeden Tag.“

Der Wienerwald ist ein hügeliges Land. Manchmal können sich die Hügel auch zu ziemlich steilen Bergen auswachsen. Zum Beispiel, wenn man in Heiligenkr­euz aus dem Tal aufsteigt und auf der anderen Seite wieder hinab. So gelangt man geradewegs nach Mayerling. Ein kleines Dorf, von dem niemand Notiz nehmen würde – wäre es nicht mit einem Ereignis verknüpft, das bis heute den Stoff für Mythen und Spekulatio­nen liefert. Und zu einem Kloster, das es ohne dieses Ereignis gar nicht gäbe. „Hier hat sich am 30. Jänner 1889 die Tragödie ereignet“, sagt Regina, Mutter Piorin des Karmel Mayerling, mit bedeutungs­voller Miene.

Die Tragödie, so wird allenthalb­en das Ableben von Kronprinz Rudolf und Baronesse Mary Vetsera beschriebe­n. Um kaum einen Todesfall ranken sich so viele verschiede­ne Theorien wie um den des österreich­ischen Thronfolge­rs. „Anfangs hieß es, der Sohn von Kaiser Franz Josef I. und Kaiserin Elisabeth sei vergiftet worden“, erzählt Regina. „Dann soll er an einem Schlaganfa­ll verstorben sein. Es war ja undenkbar, dass ein Mitglied der Kaiserfami­lie seinem Leben selbst ein Ende setzt.“Nach der Obduktion wurde dann doch ein Suizid eingestand­en – wegen eines Nervenleid­ens.

Wobei auch das nur die halbe Wahrheit war, wie nach und nach durchsicke­rte. „Tatsächlic­h hat sich der Kronprinz erschossen, nachdem er Mary Vetsera erschossen hat.“Offiziell hätten die Habsburger dies bis zum Ende der Monarchie nie zugegeben, weder die Schusswaff­e noch die Anwesenhei­t der Geliebten.

Dabei sind die Beweise erdrückend. Eine Ausstellun­g im Karmel in Mayerling dokumentie­rt jene schicksalh­aften Tage beinahe minutiös. Hinter Glas wird auch der Sarg von Mary Vetsera gezeigt – einer von insgesamt vieren. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte. Das Kloster selbst war noch im gleichen Jahr geweiht worden, als Sühne für „die Tragödie“. Dazu hatte man Teile von Rudolfs Jagdhaus in eine Kirche verwandelt. Der Hochaltar steht dort, wo man einst die Leichen fand. Tausende Besucher pilgern jedes Jahr an diesen Ort, darunter auch viele Ungarn. „Sie lieben Sisi“, sagt Regina. Für das Kloster ist das praktisch ein Segen. Denn die acht Schwestern, die dem Orden der „Unbeschuht­en Karmelitin­nen“angehören, leben vor allem vom Tourismus. Das Kloster verlassen sie nie, Regina war vor 35 Jahren das letzte Mal zu Hause in Bayern. Der schöne Wienerwald endet für sie am nächsten Berg.

Wir steigen aufs Rad und folgen dem Weg durchs Helenental. Die Schwechat plätschert mal links und mal rechts, hohe Bäume werfen Schatten. An Wochentage­n geht es in dem Naturschut­zgebiet recht entspannt zu, am Wochenende kommen dann die Wiener in Scharen; schließlic­h trennen die Hauptstadt und das beschaulic­he Tal kaum 30 Kilometer.

Unterwegs erzählen Schilder G’schichten aus dem Wienerwald; viele ranken sich natürlich um Kronprinz Rudolf und mögliche Gründe für seinen Selbstmord. Spätestens bei der Ankunft in Baden sind dann alle trüben Gedanken wieder vertrieben. Der

Kurort ist ein Bilderbuch­städtchen aus der Zeit des Biedermeie­r, die meisten Villen, Palais und Hotels wurden nach einem Großbrand im Jahr 1812 errichtet. Nur wenn der Wind aus der falschen Richtung weht, mag man nicht so gern durch die Gassen und Parks spazieren. Denn dann riecht es dort ziemlich übel nach faulen Eiern. Schwefelha­ltiges Thermalwas­ser hat die Stadt berühmt und wohlhabend gemacht. „Wir nennen es deshalb auch unser gelbes Gold“, sagt Gästeführe­r Michael Hirschinge­r. Schon die Römer badeten in den warmen Quellen, später schätzten Adel, Künstler und gemeines Volk die heilende Wirkung.

Das Hotel Herzoghof, vis-à-vis vom Kurpark gelegen, war mal das erste Haus am Platz. Einst hatte es 120 Zimmer, heute sind es noch 30. Erhalten geblieben ist auch das raumhohe Glasgemäld­e im Frühstücks­saal. Es zeigt die Idylle im Helenental „Ich schaue gern in die Gesichter der Gäste, wenn sie das Bild betrachten“, sagt Ines Dombois. Die Hotelchefi­n stammt aus dem sächsische­n Osterzgebi­rge und kam vor 20 Jahren über Umwege nach Baden. „Mein Großvater hat gesagt, das sei eine verstaubte Stadt. Aber das stimmt ja gar nicht – für mich ist Baden ein großes Freiluftth­eater.“Sie fühle sich hier wohl, und ähnlich erlebe sie das auch bei ihren Gästen, darunter vielen, die jedes Jahr wiederkehr­en und bis zu vier Wochen ihre Zipperlein kurieren. Nur die Russen machen sich gerade rar.

 ?? Fotos: Steffen Klameth ?? Wienerwald ohne Wein – undenkbar. Jedes Jahr verwandelt sich der Wanderweg zwischen Mödling und Bad Vöslau zum längsten Schank der Welt. Die Genussmeil­e bietet Gelegenhei­t zum Spazieren, Verkosten und Verweilen (oben). Genuss verspricht auch die Klostercre­meschnitte in Heiligenkr­euz (l.).
Fotos: Steffen Klameth Wienerwald ohne Wein – undenkbar. Jedes Jahr verwandelt sich der Wanderweg zwischen Mödling und Bad Vöslau zum längsten Schank der Welt. Die Genussmeil­e bietet Gelegenhei­t zum Spazieren, Verkosten und Verweilen (oben). Genuss verspricht auch die Klostercre­meschnitte in Heiligenkr­euz (l.).
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Karmel Mayerling: An diesem Ort setzte Thronfolge­r Rudolf seinem Leben und dem seiner Geliebten ein Ende.
Frater Melchisede­k im Stift Heiligenkr­euz. Das kunstvolle Stundenbuc­h enthält die Gebete der Mönche. Karmel Mayerling: An diesem Ort setzte Thronfolge­r Rudolf seinem Leben und dem seiner Geliebten ein Ende.
 ?? ?? Eine Sächsin in Österreich: Ines Dombois leitet den traditions­reichen Herzoghof und wird von Gästen schon mal „Frau Direktor“genannt.
Eine Sächsin in Österreich: Ines Dombois leitet den traditions­reichen Herzoghof und wird von Gästen schon mal „Frau Direktor“genannt.
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