Sächsische Zeitung (Weißwasser)
Vierseithof Kleinpraga: Wie die Eigentümer für neues Leben sorgen
Das Mini-Dorf Kleinpraga bei Göda ist bekannt durch den Mexikaner „Eldorado“und den einstigen Möbelmarkt. Nach dessen Schließung stand viel leer. Jetzt hat ein neues Kapitel begonnen.
Die Erinnerungen kommen mit Macht zurück. Klaus Sachsse steht in der neuen Werkstatt der Firma Elektro-Technik Seifert im Vierseithof in Kleinpraga bei Göda. „Ganz früher standen hier Pferde, um die Ecke der Traktor. Es gab 45 Milchkühe, Schweine, Gänse und Hühner, drei Knechte und drei Mägde. Der Vierseithof war eine komplette Einheit“, sagt der 84-Jährige. Neben ihm steht Elektroinstallateur-Meister Steffen Seifert. Aus seiner Garage in Spittwitz ist er gerade ins neue Domizil gezogen, ein Angestellter inklusive. „Ich habe mir jetzt hier mein eigenes Reich geschaffen, wo ich meinen Kunden auch zeigen kann, was ich mache“, sagt er.
Wo Elektro-Technik Seifert jetzt residiert, verkaufte der Möbelmarkt Jelden bis vor gut zehn Jahren Wohnzimmerschränke und Couch-Garnituren. Unter dem Dach des ehemaligen Einrichtungshauses haben neben der bekannten Gaststätte „Eldorado“nun vier neue Firmen ihr Zuhause gefunden. Zusätzlich sind sechs neue Wohnungen entstanden. Kathrin Cuomo-Sachsse freut sich über den Wandel des FamilienHofs. Die Eigentümerin ist an diesem Morgen mit ihrem Vater aus ihrer Schweizer Heimat in die Oberlausitz gekommen.
Klaus Sachsse kennt hier jeden Stein. Geboren wird er 1939 auf einem Bauernhof im 20 Kilometer entfernten Canitz-Christina. Dort steht der Sachsse-Hof, in Kleinpraga das großelterliche Zieschang-Bauerngut. In dessen Geschichte gibt es viele Zäsuren. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bleibt dem Hof aufgrund der Größe von unter 100 Hektar die Zwangskollektivierung erspart. Beruflich sieht Klaus Sachsse jedoch keine Zukunft als Sohn eines Großbauern. „Mein Vater hat mich 1957 an eine U-Bahn-Station in Berlin gefahren“, sagt der Senior. In der Tasche trägt er die Adresse des Flüchtlingslagers. 1953 hatte WestBerlin das Notaufnahmelager Marienfelde für DDR-Flüchtlinge eröffnet.
Der junge Mann wird als politischer Flüchtling anerkannt. Er holt das westdeutsche Abitur nach, bevor er Tiermedizin in Gießen studiert mit anschließender Promotion in Südafrika und Namibia. Er arbeitet für das Chemieunternehmen BASF und macht sich mit eigener Auftragsforschung und letztlich 1.000 Mitarbeitern in der Schweiz selbstständig. „Ich bin Kapitalist geworden“, sagt Sachsse lachend, während er mit seiner Tochter über seinen Kindheitshof streift.
Die Verbindung in die einstige Heimat bleibt trotz der großen Entfernung. Weil er als Minderjähriger das Land verlassen hat, darf er später in die DDR einreisen. So erlebt Kathrin Cuomo-Sachsse, Jahrgang 1964, viele schöne Ferien in der Oberlausitz inklusive bester Freundinnen auf Zeit. Selbstverständlich bringen die Besucher bei jedem Abstecher Schweizer Käse und Schokolade mit. Jene Spezialitäten fehlen bis heute nicht bei den Touren, die sie oft einmal im Monat gen Ost führen.
Klaus Sachsse gibt seine Liebe zur Oberlausitz wie das Erbe an die Tochter weiter. „Die liebliche Landschaft gefällt mir“, sagt die 59-Jährige. Gleich nach der politischen Wende investiert die Familie drei Millionen D-Mark in den Erhalt des Vierseithofs in Kleinpraga. Im Anschluss zieht 1994 auf mehr als 2.000 Quadratmetern und drei Etagen der Möbelmarkt Jelden ein, gegenüber mietet sich das mexikanische Restaurant „Eldorado“ein. Dazu kommen vorerst zwei Wohnungen. Im Gut in Canitz-Christina wird der ehemalige Kuhstall damals für 15 Mietparteien umgebaut.
Das Gesicht Kleinpragas prägt über zwei Jahrzehnte die Mischung aus Möbel, Wohnen und gutem Essen. „Einschneidend war, als die Firma Westfalia Ende 2015 ihr Geschäft auflöste und ihre Filiale Möbel Jelden hier für immer schloss. Nach dem Ende des Pachtvertrags standen drei Gebäude auf einen Schlag leer“, sagt Kathrin Cuomo-Sachsse. Mit dem Vor-Ort-Verwalter James Hemmings macht sich die Investorin auf den Weg, neues Leben unter das Dach des ehemaligen Lehnbauernguts zu bringen. „Das Neue haben wir mit vereinten Kräften geschafft. Wir sind mit Herzblut dabei. Hier wächst eine Gemeinschaft auf dem Gebiet erneuerbare Energien“, sagt die selbstständige PR- und Medien-Fachfrau. „Neben ,Eldorado‘ und Elektro-Technik Seifert haben sich mit dem weltweit tätigen Windenergie-Anlagen-Spezialisten Emergon, dem Feuerwehrausstatter G.B.S sowie dem Windkraft-Planer Bau- und Umwelttechnik fünf zukunftsweisende gewerbliche Betriebe mit 15 Mitarbeitenden nun hier angesiedelt“, freut sich die Investorin. Mit 22 Bewohnern in den neuen Wohnungen stelle der Vierseithof den Großteil der Einwohner Kleinpragas. 27 sind es nach offizieller Statistik.
Für die Neu-Kleinpragaer gilt: Jede der Zwei- bis Vier-Raum-Wohnungen hat eine eigene Wärmepumpe. Gebaut wurde mit heimischen Firmen. Die neuen Wohn-Standards mischen sich mit den alten Rundbogenfenstern, den Stahlsäulen vom ehemaligen Kuhstall sowie den ursprünglichen Holzbalken. Allein in den Ausbau für die Mieter ist eine gute Millionen Euro geflossen. Es hat sich gelohnt: An jedem Klingelschild steht ein Name. „Die Wohnungen waren schnell bezogen. Keine ist wie die andere. Die Idee Leben im ländlichen Raum nach modernsten, urbanen Standards ist aufgegangen“, sagt Kathrin Cuomo-Sachsse. Die Bilder von den Bauarbeiten kommen übrigens wie viele andere Fotos aus den vergangenen Jahrzehnten in ein Fotoalbum – als nächstes Kapitel des Zieschang-Bauernguts in Kleinpraga.