Sächsische Zeitung (Weißwasser)
„Pass ja auf, wenn du Plakate kleben gehst“
Die Angriffe auf Wahlkämpfer der Grünen und der SPD in Dresden haben auch in Görlitz Konsequenzen. Wie die Parteien reagieren und die Polizei sie schützen will.
Der Angriff auf den SPD-Politiker Matthias Ecke hat auch im Görlitzer Wahlkampf Spuren hinterlassen. So sagt sein Partei-Kollege Harald Prause-Kosubek: „Meine Frau hat mir heute Morgen noch einmal gesagt, ich solle ja aufpassen, wenn ich nachher plakatieren gehe. Das sind Gedanken, die ich mir früher nicht gemacht habe.“Der 53-Jährige ist der Co-Vorsitzende des Kreisverbandes der Görlitzer SPD und Stadtrat in Niesky.
Matthias Ecke wurde am Freitag, gegen 22.30 Uhr, in Dresden überfallen und schwer verprügelt. Der Vorfall löste bundesweit Bestürzung aus. In derselben Nacht war auch ein 28-jähriger Wahlkampfhelfer der Grünen angegriffen worden. Bei den mutmaßlichen Tätern handelt es sich laut Polizei und Staatsanwaltschaft um vier junge Deutsche im Alter von 17 und 18 Jahren. Zumindest einen von ihnen rechnet das LKA dem rechten Spektrum zu. Man gehe davon aus, dass er der „Kategorie: politisch-motiviert rechts“zuzuordnen sei. Tätliche Angriffe hat es im Wahlkampf in Görlitz bisher nicht gegeben. Görlitzer Wahlkämpfer sprechen im bisherigen Wahlkampf vor allem von Beleidigungen an Infoständen und Attacken gegenüber Wahlplakaten. So sagt Harald Prause-Kosubek: „Wir haben die doppelte Menge an Plakaten bestellt, weil wir wissen, dass die sowieso heruntergerissen oder beschmiert werden.“
Zehn dieser Sachbeschädigungen an Plakaten oder Aufstellern sind der Polizei in Görlitz und Bautzen gemeldet worden. In den vergangenen zwei Jahren sind bei der Polizeidirektion drei Bedrohungen von Kommunalpolitikern angezeigt worden.
Carolin Renner auf der Berliner Straße in Görlitz.
Einer 2022 veröffentlichten Studie der Heinrich-Böll-Stiftung nach, sind deutschlandweit 60 Prozent der Befragten schon beleidigt, bedroht oder attackiert worden. In Sachsen sind es sogar 81 Prozent. So machte schon 2019 der Fall des Görlitzer Oberbürgermeisters Octavian Ursu (CDU) Schlagzeilen. Damals wurden mehrere Ermittlungsverfahren eingeleitet, weil Ursu mehrfach bedroht und beleidigt wurde.
Als direkte Reaktion auf die Angriffe in Dresden wollen die Wahlkämpfer der SPD auch im Landkreis Görlitz nicht mehr alleine plakatieren gehen, sondern immer mindestens zu dritt oder viert. Jörg Funda (CDU) will auch in Zukunft weiter alleine Plakate kleben, obwohl auch er sich Sorgen macht. Der 59-Jährige ist seit vielen Jahren in der Kommunalpolitik. Er ist Bürgermeister von Schleife, im Norden des Landkreis Görlitz. Im Juni will er für die CDU in den Görlitzer Kreistag wiedergewählt werden. „Dass ein Mensch, der ein Plakat aufhängen will, zusammengeschlagen wird, macht einem schon große Sorgen“, sagt er.
Bei ihm selbst im Dorf sei der Wahlkampf aber anders als in der Stadt, meint Funda. „Man kennt sich. Sicher, mir wurden auch schon aus vorbeifahrenden Autos Handbewegungen gezeigt, die kein Beifall waren, aber das ist ja was anderes.“Im Dorf seien die Menschen weniger anonym, das helfe. Kommunalpolitiker werden häufiger bedroht und angefeindet.
Doch auch er stelle fest, dass Kommunalpolitiker
immer stärker ins Visier geraten. Vor zwei, drei Jahren sei in einer E-Mail über ihn geschrieben worden, er müsse aufpassen, dass er nicht mit einer Kugel im Kopf im Wald aufwache. „Ich habe den Fall zur Anzeige gebracht, doch das Verfahren wurde eingestellt“.
Solche Erfahrungen mit der Justiz kennt auch SPD-Mann Prause-Kosubek. Er selbst sei noch nicht beleidigt worden, jedoch kenne er mehrere Vorfälle aus seinem Umfeld. „Auch in unsere Bürgerbüros wurden uns schon mehrfach Schmähbriefe geschickt. Die haben wir den Behörden übergeben und dann nichts mehr gehört.“
Die Landesregierung will mit einer Gesetzesänderung den Schutz von Amts- und Mandatsträgern erhöhen. Die gezielte Einschüchterung von Politikern soll eine Straftat werden, dafür bringt Sachsen einen Entwurf gegen „politisches Stalking“in den Bundesrat ein.
Neu ist die Bedrohungslage von Kommunalpolitikern nicht, sagt Harald PrauseKosubek. „Seit die AfD bei Wahlen antritt, wird der Umgang untereinander schlimmer“, meint er. Die Sprache, die die Partei nutze, hetze die Menschen auf. Ein Beispiel sei auch der Umgang mit dem Angriff auf Matthias Ecke.
So hatte AfD-Landeschef Jörg Urban auf X (vormals Twitter) geschrieben, dass die SPD sich fragen müsse, „inwieweit ihre ständige Hetze gegen politisch Andersdenkende“zu solchen Eskalationen beitrage.
Auch der Landtagsabgeordneter Sebastian Wippel äußerte sich ähnlich. „Das ist eine Täter-Opfer-Umkehr sondergleichen“, sagt der SPD-Politiker.
Die Görlitzer AfD gibt an, auch selbst schon Erfahrungen mit Übergriffen gemacht zu haben. So sei das Büro in der Berliner Straße immer wieder beschmiert worden, 2021 schmissen Unbekannte beispielsweise einen Döner gegen die Eingangstür, so dass sich die Partei von dort zurückgezogen habe. An den Infoständen gebe es ab und zu Beschimpfungen, selten auch mal verbale Bedrohungen. Angriffe habe es aber bisher keine gegeben. Die Wahlkämpfer, der vom sächsischen Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Partei, wollen auch in Zukunft möglichst „vorsichtig und achtsam“sein.
Landtagsabgeordneter Sebastian Wippel (AfD) verwies in einem Facebook-Post am Dienstag darauf, dass sich die meisten gewalttätigen Übergriffe auf Politiker gegen die AfD richteten. 86 waren es bundesweit 2023. Das ergab eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der AfDFraktion im Bundestag. Die häufigsten „Angriffe auf Parteirepräsentanten“erfolgen gegen die Grünen. Darunter fallen nicht nur tätliche Angriffe, sondern auch Beleidigungen und Bedrohungen. Demnach gab es 2023 deutschlandweit 2.790 Angriffe auf Parteirepräsentanten. Bündnis 90/Die Grünen war in 1.219 Fällen betroffen, die AfD in 478, die SPD in 420 Fällen. Die Görlitzer Grünen können ein Lied davon singen. Schon mehrfach ist ihr Büro in Görlitz attackiert worden, berichtet Sprecherin Carolin Renner. „Wenn die Montagsdemonstranten an unserem Büro vorbeiziehen, dann ist es fast normal, dass uns der Mittelfinger gezeigt oder die Scheibe bespuckt wird.“
Auch ernsthafte Drohungen hat es schon gegeben, bei denen die Partei die Polizei einschaltete. „Der Fall in Dresden war jetzt natürlich nochmal ein Schock, viele von uns waren auf der Solidaritätsdemonstration am Sonntag“, so Renner. Jetzt sei vor allem eins wichtig: sich nicht einschüchtern zu lassen. Denn genau das sei das Ziel der Angreifer.