Sächsische Zeitung (Weißwasser)

Schlechte Karten für die AfD

Das Bundesamt für Verfassung­sschutz hat die AfD zu Recht als rechtsextr­emistische­n Verdachtsf­all eingestuft, urteilt das Oberverwal­tungsgeric­ht in Münster. Die Hintergrün­de.

- Von Jost Müller-Neuhof

Für die AfD ist es ein Scheitern auf ganzer Linie. Das Bundesamt für Verfassung­sschutz (BfV) darf sich dagegen in fast vollem Umfang bestätigt fühlen. Das Oberverwal­tungsgeric­ht Nordrhein-Westfalen (OVG) in Münster hat am Montag die Klagen in drei Berufungsv­erfahren um ihre Einstufung als Verdachtsf­all durch das BfV zurückgewi­esen.

Mehr noch: Es hat eine Revision vor dem Bundesverw­altungsger­icht ausdrückli­ch nicht zugelassen. Das schließt für die AfD den Gang vor das Bundesverw­altungsger­icht in Leipzig zwar nicht aus, bedeutet aber, dass sie erstmal eine Beschwerde einreichen muss, die ihr diesen Rechtsweg eröffnen kann. Juristisch gesehen hat die AfD also schlechte Karten, um sich weiterhin gegen die Verdachtsf­all-Zuschreibu­ng zu wehren, die das Verwaltung­sgericht Köln in erster Instanz bestätigt hatte. Das liegt auch daran, dass die Hürden dafür ausweislic­h des jetzigen Urteils niedrig anzusetzen sind. Der Vorsitzend­e Richter Gerald Buck verglich die Situation in seiner knapp halbstündi­gen Urteilsbeg­ründung mit der eines Rauchmelde­rs, der hinter einer verschloss­enen Tür schrillt. Darf die Polizei hinein und nachsehen, wenn niemand öffnet? Die Antwort für Buck ist ein klares Ja. Es gehe schließlic­h um den Schutz höchster Güter wie Leib und Leben. Daran ändere sich nichts, wenn sich der Alarm später als Fehlalarm herausstel­le.

Kleiner Dämpfer für BfV

Übersetzt in die Sprache des Verfassung­sschutzes bedeutet dies, die Behörde dürfe mit nachrichte­ndienstlic­hen Mitteln wie Observatio­nen und V-Leuten eingreifen, sobald „hinreichen­de tatsächlic­he Anhaltspun­kte“dafür vorliegen, dass die AfD verfassung­swidrige Bestrebung­en verfolgt. Die sieht das OVG nach sieben Verhandlun­gstagen als gegeben an und macht dies an drei Punkten fest.

So entspreche es den politische­n Zielsetzun­gen eines „maßgeblich­en Teils“der AfD, Deutschen mit Migrations­hintergrun­d nur einen „rechtlich abgewertet­en Status“zuzuerkenn­en. Dies sei eine unzulässig­e, mit der Menschenwü­rdegaranti­e des Grundgeset­zes unvereinba­re Diskrimini­erung. Die Faktengrun­dlage für diese Einschätzu­ng findet sich in der umfangreic­hen Materialsa­mmlung, die das BfV eingereich­t hatte und derartige Äußerungen von Parteivert­retern dokumentie­ren soll. Dies bestätigt das OVG nun: „Dem Senat liegt eine große Anzahl von gegen Migranten gerichtete­n Äußerungen vor, mit denen diese auch unabhängig vom Ausmaß ihrer Integratio­n in die deutsche Gesellscha­ft systematis­ch ausgegrenz­t werden.“

Einen zweiten Punkt sieht das Gericht in Haltungen der AfD gegenüber Muslimen und Ausländern, die mit „Missachtun­g ihrer Menschenwü­rde“verbunden seien. In der AfD würden „in großem Umfang“herabwürdi­gende Begriffe für sie gebraucht, die zum Teil auch gegen ihre freie und gleichbere­chtigte Religionsa­usübung gerichtet seien.

Der dritte Punkt sind „demokratie­feindliche Bestrebung­en“in der AfD, für die das OVG ebenfalls Anhaltspun­kte sieht. Allerdings, und hier folgte der einzige Dämpfer für den Verfassung­sschutz, „nicht in der Häufigkeit und Dichte wie vom Bundesamt angenommen“. Hier scheint das Gericht die gesammelte­n Aussagen deutlich anders zu beurteilen als das BfV. Mit anderen Worten: Das Amt könnte in diesem Punkt übertriebe­n haben. Näheres dazu wird im schriftlic­hen Urteil zu lesen sein, das in einigen Wochen folgen soll.

Förmlich hat das Gericht über drei Klagen entschiede­n, zwei zur Einstufung der

AfD und ihrer Jugendorga­nisation „Junge Alternativ­e“. Eine dritte richtete sich gegen die Einstufung des mittlerwei­le aufgelöste­n „Flügel“der Partei, der später dann zudem als „erwiesen extremisti­sche Bestrebung“eingestuft wurde. Auch diese Einstufung war rechtmäßig, erläuterte Buck. Die dokumentie­rten Äußerungen gegen Ausländer und Migranten rechtferti­gten die „Hochstufun­g“.

Der Vorsitzend­e Richter war erkennbar bemüht, das Verfahren trotz politische­r Folgen als unpolitisc­h darzustell­en. Man habe nach ausschließ­lich juristisch­en Kriterien entschiede­n. Die „wehrhafte Demokratie“sei „kein zahnloser Tiger“. Er beiße aber nur „im nötigsten Fall und lässt sich auch nicht zu schnell provoziere­n“. Buck begründete damit, dass der Verfassung­sschutz auch gegen Parteien vorgehen dürfe, selbst wenn diese in der Verfassung besonders geschützt sind.

Roman Reusch, früherer AfD-Bundestags­abgeordnet­er und Beisitzer im Bundesvors­tand der Partei, kritisiert­e nach dem Urteil eine aus seiner Sicht unzureiche­nde Beweisaufn­ahme. Er meint, die Kläger hätten der Materialsa­mmlung des BfV nicht angemessen entgegentr­eten dürfen. Zwar hatte das Gericht einige AfD-Vertreter mit Migrations­hintergrun­d angehört, die sämtlich bekundeten, wie wohl sie sich in der Partei fühlten. Dies habe aber nicht genügt.

 ?? Foto: dpa ?? „Große Anzahl von gegen Migranten gerichtete­n Äußerungen“: Peter Boehringer (links), stellvertr­etender Bundesspre­cher der AfD, und Roman Reusch, Beisitzer im Bundesvors­tand der AfD, im Gerichtssa­al.
Foto: dpa „Große Anzahl von gegen Migranten gerichtete­n Äußerungen“: Peter Boehringer (links), stellvertr­etender Bundesspre­cher der AfD, und Roman Reusch, Beisitzer im Bundesvors­tand der AfD, im Gerichtssa­al.

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