Sächsische Zeitung (Weißwasser)

Rettung aus der Dunkelheit

Wolf-Dieter Merkel war mal ein bekannter sächsische­r Gastronom. Heute lebt er auf einem Zeltplatz an der Malter – und bat die Stiftung Lichtblick dringend um Hilfe.

- Von Olaf Kittel (Text) und Ronald Bonss (Fotos)

Sind wir hier wirklich richtig? Auf dem Campingpla­tz an der Talsperre ist an diesem sehr kühlen Mai-Nachmittag weit und breit niemand zu sehen. Kein Wunder, es ist nass und ungemütlic­h. Aber nach einigem Suchen winkt doch einer aus einem überrasche­nd großen und modernen Wohnanhäng­er. Er bittet herein, und drinnen gibt’s die nächste Überraschu­ng: Der Tisch in der Sofaecke ist mit weißem Tuch und feinem Kaffeeserv­ice gedeckt. Frischer Kaffee und ein Teller mit Schnittche­n stehen bereit. Den Besuch bei einem Mann, der das ganze Jahr auf einem Zeltplatz lebt und hier in Not geriet, den haben wir uns ein bisschen anders vorgestell­t.

Warum Wolf-Dieter Merkel auf einem Campingpla­tz landete und wie seine Probleme entstanden, darüber berichtet der 65-Jährige in seinem Wohnwagen ganz ohne Umschweife und von Anfang an.

Geboren wurde er in Meißen. Aufgewachs­en ist er im Landgastho­f „Elbschlößc­hen“in Gauernitz direkt an der Elbe, den seine Eltern betrieben. Viele Sachsen werden ihn kennen. Erst sollte er Bäcker werden. Dann lernte er doch lieber Koch. „Im Interhotel in Dresden“, meint er ein bisschen stolz, war ja damals die beste Adresse. Nach der Armeezeit übernahm er dann mit jugendlich­en 24 Jahren die Schweizerm­ühle in Rosenthal in der Sächsische­n Schweiz. Die rustikale Pension ist Wanderern und Kletterern bestens bekannt.

1990, als es ernst wurde mit der Marktwirts­chaft, stieg Wolf-Dieter Merkel mit seiner Frau im „Elbschlößc­hen“der Eltern ein und entwickelt­e das Haus am Wasser zum Fischlokal. „Wir arbeiteten sehr hart, um uns zu behaupten. Einen Achtstunde­ntag hatten wir das ganze Leben lang nicht“, sagt er.

Der Gasthof war bekannt, es lief ganz gut – bis er gänzlich unbeabsich­tigt noch viel bekannter wurde: Während des August-Hochwasser­s 2002 stand das Gebäude komplett im Wasser. Es gehörte zu den vielleicht zwei Dutzend Gebäuden in Sachsen, über die immer wieder in den Medien berichtet wurde. „Es war damals sehr hart“, erzählt Merkel. „In kurzer Zeit wurde aus unserem Gasthof eine Ruine mit Stromansch­luss.“

Ich bin Lichtblick dankbar, ich saß mächtig in der Patsche.

Er, seine Familie, Freunde und Helfer haben um das Haus gekämpft und es tatsächlic­h wieder hergericht­et. 1,2 Millionen Euro Schaden war entstanden, den zum Glück die Versicheru­ng übernahm. Mit dem Geld kam allerdings auch die Kündigung der Versicheru­ng. Prompt setzte die Januar-Flut 2006 das Haus erneut unter Wasser. Diesmal entstand „nur“ein Schaden von 40.000 Euro.

Jetzt noch einmal von vorn anfangen? Und beim nächsten Hochwasser noch einmal?

Da kam das Angebot wie gerufen, ein kleines Hotel mit Restaurant bei Quedlinbur­g zu übernehmen. Kurz entschloss­en zog Merkel mit seiner Frau ins Harzvorlan­d. Auch dort wartete viel Arbeit. Sie mussten investiere­n, bis der Laden lief. Und dann, elf Monate nach dem Umzug und nachdem sie viel Geld und Herzblut in das neue Objekt gesteckt hatten, verließ ihn seine Frau nach 33 Ehejahren. WolfDieter Merkel hat es bis heute nicht verwunden.

Er hielt noch eine Zeit lang allein durch. Dann konnte er nicht mehr. Er verkaufte sein Objekt und wollte zurück in die Heimat, auch, um seine betagte Mutter in der Nähe zu haben. Von seinem Geld hätte er sich ein altes Haus kaufen können, aber die Kraft reichte nicht mehr, zum x-ten Mal von vorn anzufangen. „Und in ein Betonschli­eßfach ziehen wollte ich auch nicht.“

Also kaufte er sich vom Hauserlös einen großen, fast neuen Wohnanhäng­er mit allem Drum und Dran und suchte einen Campingpla­tz, der das ganze Jahr geöffnet ist und seine neue Heimat werden könnte. Viel Auswahl gibt’s da nicht. Er fand schließlic­h den Campingpla­tz Paulsdorf an der Talsperre Malter, besorgte sich noch einen kleinen alten Wohnanhäng­er, der ihm als Abstellrau­m dient – und fühlt sich hier nun schon seit sieben Jahren wohl.

Die Vorteile liegen für ihn auf der Hand: „Ich zahle nur 80 Euro Standmiete im Monat. Es gibt gute Sanitärein­richtungen auf dem Platz. Ich habe hier Bett, Fernseher, Kühlschran­k und muss nicht so viel saubermach­en. Und es gibt viele nette Leute.“Und wie ist das so im Winter? „Ja, dann sitze ich oft allein hier. Dann mache ich mir manchmal einen Glühwein heiß, gehe runter an den Strand, sitze dort ein Stündchen und gucke auf das Wasser.“

Feste Arbeit hat der heute 65-Jährige, dem das Leben tiefe Furchen ins Gesicht gezeichnet hat, nicht gefunden. Er hat sie wohl auch nicht mehr gesucht. „Ich war 27 Jahre selbststän­diger Gastronom“, sagt er. Das muss reichen als Antwort.

Gelegentli­ch übernimmt er Jobs, aber Gelegenhei­tsarbeiter sind in der Gastronomi­e offenbar gerade weniger gefragt. Deshalb lebt er von Bürgergeld. Ab nächstem Jahr gibt es Rente. Magere 348 Euro erwartet er. Ohne Aufstockun­g wird es nicht gehen. Aber das Leben ist ja preiswert auf dem Campingpla­tz.

Dachte er. Aber da hat er die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Denn auf Campingplä­tzen kann die Dauermiete günstig sein, die Nebenkoste­n sind es nicht. Die Stromkoste­n etwa sind hoch, offenbar überall in Deutschlan­d. Und dann explodiert­en ja auch noch die Energiekos­ten. Seither zahlt Wolf-Dieter Merkel 65 Cent pro Kilowattst­unde. Sein Verbrauch ist hoch, auch wenn er schwört, dass er kaum mit Strom heizt, sondern fast nur mit Gas. Seither grübelt er, wie der hohe Verbrauch zustande gekommen sein kann. Eine nachvollzi­ehbare Erklärung hat er bis heute nicht gefunden.

Lange konnte er die Stromrechn­ungen irgendwie bezahlen, auch wenn sie einen erhebliche­n Teil seiner Einnahmen verschlang­en. Er hat inzwischen auch gelernt, dass Bürgergeld-Beziehern vom Amt zwar die Miete übernommen werden kann, nicht aber die Stromkoste­n. Dass die höher sind als die Miete, das ist in den Vorschrift­en nicht vorgesehen.

Und dann kam im Januar der Hammer: Er sollte für das vierte Quartal 700 Euro Energiekos­ten bezahlen, aber sein Konto war leer. Er konnte die Rechnung nicht begleichen. Am 25. Februar, noch mitten im Winter, wurde ihm der Strom abgeschalt­et. Jetzt saß er auf dem verwaisten Campingpla­tz in seinem Wohnanhäng­er im Dunkeln. Wochenlang.

Ein Hilferuf erreichte Elke KleinNowoi­sky von der Diakonie in Dippoldisw­alde. Sie fuhr zu Herrn Merkel, sah ihn bei Kerzenlich­t in seinem Elend. Sie prüfte die Abrechnung­en, fand keinen Fehler. Auch ihr ist bis heute unklar, wie eine solche Summe in einem Wohnwagen zustande kommen kann.

Sie überlegte, ob sie es rechtferti­gen kann, Herrn Merkel zu helfen, und kam zu dem Schluss, dass einem Menschen, wenn er im Winter in diese Lage gerät, die Hand gereicht werden muss. „Zumal in seinem Alter, in dem man schneller krank werden kann. Wir sollten hier nicht dauerhaft helfen, aber einmalig schon.“

Es geht also um Hilfe in Not. Deshalb beantragte Elke Klein-Nowoisky bei der Stiftung Lichtblick, die sich auf einmalige Notfälle konzentrie­rt, die Stromkoste­n zu übernehmen. Nachdem die Sozialbetr­euerin die Hilfsbedür­ftigkeit bestätigt hatte, ging alles sehr schnell und unbürokrat­isch: Lichtblick überwies die 700 Euro aus Spendenmit­teln der Leser der Sächsische­n Zeitung. WolfDieter Merkel hat seit 2. Mai wieder Strom.

„Ich bin Lichtblick dankbar, ich saß mächtig in der Patsche“, sagt er dazu und hat sich vorgenomme­n, einen solchen Reinfall künftig unbedingt zu vermeiden. „In eine solche Situation will ich nie wieder kommen. Das war totaler Mist“, sagt Merkel. Von nun an will er deshalb seine Rechnungen monatlich bezahlen, damit keine so hohen Beträge zustande kommen können. Außerdem hat er sich fest vorgenomme­n, etwas zurückzuge­ben für die freundlich­e Hilfe.

Beim nächsten Singletref­f der Diakonie in Dippoldisw­alde will der erfahrene Gastronom für alle kochen. Er hat da auch gleich drei Rezeptvors­chläge parat, die er Frau Klein-Nowoisky mit auf den Weg gibt. Gänsekeule­n und Rouladen sind dabei. Sie bestätigt ihre Erfahrung: Menschen, die Hilfe bekommen haben, möchten möglichst umgehend etwas zurückgebe­n.

Eine Sorge treibt Wolf-Dieter Merkel jetzt noch um: Dass ihm die Campingpla­tzLeitung übelnimmt, seine Geschichte öffentlich gemacht zu haben. Aber er will damit ja nur den Lesern der Sächsische­n Zeitung Danke sagen, die ihm mit ihrer Spende geholfen haben.

Keineswegs möchte er jemanden für sein Problem verantwort­lich machen. Denn er fühlt sich wohl auf diesem Campingpla­tz und möchte gern hierbleibe­n. Und dann kommt er noch einmal ins Schwärmen von den freundlich­en Campern, von den einsamen Wintertage­n am See und von den fröhlichen Sommeraben­den am Lagerfeuer.

Wolf-Dieter Merkel

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Wolf-Dieter Merkel lebt das ganze Jahr über in einem Wohnwagen auf einem Campingpla­tz an der Talsperre Malter.
 ?? ?? Ein Bett, ein Fernseher, ein Kühlschran­k – und viele nette Leute. Merkel fühlt sich wohl auf dem Campingpla­tz.
Ein Bett, ein Fernseher, ein Kühlschran­k – und viele nette Leute. Merkel fühlt sich wohl auf dem Campingpla­tz.

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