Sächsische Zeitung (Weißwasser)
Aus „Max braucht Wasser“wird „Hat Max noch Energie?“
Kretschmer und Ramelow fordern vom Bund mehr Anstrengungen, mittelständische Stahlwerke zu sichern.
Wenn Uwe Reinecke aus dem Fenster seines Büros blickt, schaut er auf eine riesige Baustelle. Die italienische Feralpi-Gruppe investiert in sein ESF Elbestahlwerk in Riesa rund 220 Millionen Euro für ein emissionsfreies Walzwerk, eine neue Schrottaufbereitungsanlage, ein neues Umspannwerk – und das ohne staatliche Fördermittel. Das Elektrostahlwerk liefert Stahlträger für die Bauindustrie. In naher Zukunft wird Feralpi den Zuschlag für Lieferaufträge öffentlicher Bauaufträge nur noch bekommen, wenn er „Stahl“mit geringen CO2-Emissionen garantieren kann. Beim Bau der neuen U-Bahnhöfe in Hamburg ist das schon der Fall.
Reinecke muss die CO2-Emissionen seiner Stahlprodukte von derzeit 560 Kilogramm pro Tonne auf unter 500 Kilogramm pro Tonne senken. „Da haben wir noch was zu tun“, sagt er. Der Standortleiter fühlt sich dabei von der Bundespolitik nicht ausreichend unterstützt, die sich zu sehr nur auf die großen Stahlkonzerne von Thyssen-Krupp oder Salzgitter konzentriere. „Die mittelständische Stahlindustrie darf nicht vergessen werden“, so Reinecke. Auch auf sein Drängen hin haben die Ministerpräsidenten von Sachsen und Thüringen, Michael Kretschmer (CDU) und Bodo Ramelow (Die Linke), am Freitag gemeinsam zu einem Spitzengespräch in die sächsische Landesvertretung in Berlin eingeladen. Feralpi-Präsident Giuseppe Pasini reiste extra an. „Ältere Ostdeutsche kennen den Satz: ‚Max braucht Wasser‘. Jetzt lautet er ‚Bekommt Max noch genügend Energie?‘“,
begrüßte Ramelow die Teilnehmer. „Max braucht Wasser“hieß der Arbeitseinsatz 1949, die Wasserleitung aus der Saale zum Stahlwerk Maxhütte in Thüringen zu bauen.
Auf der Tagesordnung standen die speziellen Probleme der mittelständisch geprägten Elektrostahlwerke in Deutschland. Sie haben seit 2018 rund ein Drittel ihrer Produktion eingebüßt. Der Grund: Die Strompreise sind zu hoch, und die Befürchtung ist groß, dass sie weiter steigen werden. Feralpi und die anderen Elektrostahlwerke brauchen Zugang zu grundlastfähigem, grünem Strom, wettbewerbsfähige Preise für Strom und Wasserstoff und praktikable Förderprogramme. Thyssen-Krupp könnte es sich leisten, eigene Abteilungen mit Dutzenden Mitarbeitern aufzubauen, um die Förderanträge für die „Klimaschutzverträge“auszuarbeiten, mit denen die Bundesregierung die Umstellung auf grüne Stahlproduktion unterstützen will. Mittelständler hätten diese Personalkraft nicht. Und die Kriterien der anderen Förderprogramme würden auf Elektrostahlwerke nicht passen. „Die Produktionsprozesse werden nicht auf einen Schlag umgestellt, sondern schrittweise. Daher müsste es auch Förderung für eine „Teil-Transformation“geben, hieß es am Freitag. Michael Kellner, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschafts- und Klimaministerium, sagte zu, dass die Förderprogramme noch einmal geprüft werden.
Reineckes größere Sorge sind jedoch die Strompreise und die Milliardenkosten für den Netzausbau. Fast elf Millionen Euro Mehrkosten im Jahr muss das Elbestahlwerk schultern durch den Wegfall der staatlichen Zuschüsse für die Netzentgelte. Sie mussten nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzfonds gestrichen werden. Durch die Dekarbonisierung wird der Stromverbrauch von Feralpi von derzeit 540 Gigawattstunden auf 700 Gigawattstunden steigen und damit auch die Stromkosten.
Die Branche fordert einen subventionierten Industriestrompreis von sechs Cent für die Zeit der Transformation. „Oder wenigstens eine Idee, wie die Netzentgelte reduziert werden können“, wie Jürgen Kerner vom Vorstand der Gewerkschaft IG Metall betonte.
Diese Idee hatte Kellner dabei. Er signalisierte den Unternehmern, dass derzeit geprüft werde, wie die Finanzierungskosten über sogenannte Amortisationskonten zeitlich gestreckt werden könnten und dennoch jetzt investiert werden kann.
Die Kosten sind auch deshalb so hoch, weil die neuen Stromleitungen unter der Erde verlegt werden, und das ist fünf- bis sechsmal so teuer wie Freileitungen. Ramelow schloss sich der Forderung von Kretschmer und dem Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), an, bei neuen Ausbauprojekten auf Erdkabel zu verzichten. Die Bundesregierung ist laut Kellner dazu bereit. Aber dazu müsste unter allen Bundesländern Einigkeit bestehen, dass dies gewollt ist, doch das sei noch nicht der Fall. Kellner will den Dialog fortsetzen, wenn er Mitte Juni das Stahlwerk von Feralpi in Riesa besucht, in dem schon sein Großvater gearbeitet hat.