Sächsische Zeitung (Weißwasser)
Die stille Invasion
In diesem Sommer wird sich die Asiatische Hornisse in Sachsen ansiedeln. Sie frisst am liebsten Honigbienen. Was kommt da auf uns zu? Höchste Zeit einzugreifen. Imker, Obstbauern und Winzer sollten die Augen offen halten.
Wahrscheinlich gibt es nicht viele Dinge, die Marion Loeper aus der Ruhe bringen können. Dafür hat sie in ihrem Leben einfach schon zu viel gesehen. Von Beruf ist die 54-jährige Frau aus der Dresdner Neustadt Krankenschwester in der Notaufnahme eines Krankenhauses. Und in ihrer Freizeit Imkerin. Außerdem schwingt sie sich auf ihr Fahrrad und hilft Leuten in ganz speziellen Notlagen: Loeper fängt Bienenschwärme ein.
Seit 14 Jahren ist sie die Schwarmbeauftragte des Dresdner Imkervereins, „Ihre Ansprechpartnerin für herrenlose Bienenschwärme, Hummeln, Wespen- und Hornissennester“, so heißt das offiziell. Wenn irgendwo in der Stadt ein Bienenschwarm hängt, Polizei und Feuerwehr kennen sie und ihre Telefonnummer – und los geht’s. Zwischen Mai und September rufen bis zu 400 Leute an, weil bei ihnen im Pflaumenbaum oder am Balkongitter ein ausgebüxter Schwarm hängt, im Rollokasten Wespen hausen oder im Dachstuhl die einheimischen Hornissen.
Dann eilt Marion Loeper mit ihrem Fahrrad los. Mit dabei hat sie die lange zusammenklappbare Stange mit dem Fangbeutel, Schutzanzug, Imkerhut und die dicken Handschuhe. Außerdem eine Thermoskanne heißes Wasser, um einen Teelöffel anzuwärmen, den sie heiß auf schmerzende Stiche drücken kann. Was aber selten vorkommt. Etwa 60 Schwärme fängt sie zwischen Mai und September, manchmal unter abenteuerlichen Bedingungen, weil sie dabei auch schon einmal eine Wand aufstemmen oder auf einer Feuerwehrleiter in 15 Metern Höhe herumturnen musste. Kommt alles vor.
Die Krankenschwester weiß also, wie man mit einem Bohrhammer umgeht oder wie man einen Hubsteiger hoch oben in einer Baumkrone navigiert. Sie hält Fachvorträge und kennt alle Wespen- und Bienenarten in Sachsen. Man sollte ihr also genau zuhören, wenn sie sagt: „Es ist allerhöchste Eisenbahn. Dieses Jahr kommt sie und wir müssen bestens vorbereitet sein.“
Die Rede ist von der Asiatischen Hornisse, Vespa velutina, ein 2004 nach Südfrankreich eingeschlepptes Insekt. Etwas kleiner, etwas dunkler, deutlich leiser als unsere einheimische Hornisse. Eine einzige Königin war es, verborgen in einer Ladung Tontöpfen aus Asien, befruchtet von vier männlichen Wespen. Sie flog bei Bordeaux los, baute irgendwo unbemerkt ein Nest, vermehrte sich und begann, Europa von Süden aus zu erobern. In Frankreich, Spanien, Portugal, Belgien und Luxemburg ist die Wespe längst eine echte Plage, die vor allem der Imkerei zu schaffen macht. Vespa velutina frisst am liebsten Honigbienen. Aber nicht nur die.
In Süd- und Westdeutschland ist sie etwa 2014 angekommen und setzte sich langsam aber sicher fest. In Österreich wurde kürzlich ein Nest entdeckt, ebenso im tschechischen Pilsen und vergangenen Herbst in Berlin. „Und genau dazwischen liegen wir“, sagt Marion Loeper. „Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche: Sie wird diesen Sommer kommen, sie wird sich in Dresden und im lieblichen Elbtal sehr wohl fühlen. Es sind ideale Bedingungen für sie.“
Was es bedeutet, wenn man erst spät auf den Eindringling reagiert, ließ sich vor zwei Jahren bei einem Besuch in Nordspanien beobachten. August 2022, ein Obstgarten in Cadavedo, einem kleinen Dorf zwischen Hügeln und Wiesen unweit von Oviedo an der spanischen Nordküste. Apfelbäume, Birnbäume, Zitronen – ein Traum von einem Bauerngarten. Er gehört zu einem ehemaligen Hof, dessen Scheune an Urlauber vermietet wird.
Die beiden Besitzer, Michael und seine Frau Nuria, erzählten damals: Eine Bauerngegend sei das, früher hätten auf den Höfen auch Bienenbeuten gestanden. Aber das sei vorbei, seit „dieses schreckliche Insekt“aufgetaucht sei. Hinten in ihrem Garten: ein großer Birnbaum, darunter zusammengekehrtes Fallobst, matschige und angefaulte Früchte. Auf und in ihnen krabbelten Asiatische Hornissen herum. Sie sehen etwas anders aus als hiesige Hornissen, dunkler und kompakter. Sie klingen anders, leiser, sie brummen weniger, es hört sich eher schnarrend an, schärfer im Ton. Was am meisten auffiel damals, war das, was nicht da war: Es gab tatsächlich überhaupt keine anderen Fluginsekten in dem Garten, keine Honigbienen, keine Wildbienen, keine Hummeln, keine Schmetterlinge, nicht einmal Fliegen und Brummer tummelten sich auf dem Fallobst oder auf dem Komposthaufen. Nichts, nur „la Avispa asiática“, wie sie in Spanien heißt. „Wenn die Hornissen kommen, ist hier kein Platz mehr für andere Insekten“, erzählte Nuria aus Cadavedo damals. „Es ist ein Trauerspiel.“
In Spanien mussten Regierung, Behörden, Imker, Naturschützer und Tausende Freiwillige alles Mögliche unternehmen, um die Ausbreitung des Eindringlings wenigstens abzubremsen. Jugendliche und Studenten zogen in die Berge, um nach Nestern Ausschau zu halten, die mühselig hoch oben aus den Bäumen geholt wurden. Man injizierte mit langen Stangen oder per Luftgewehr Gift in die kugeligen Nester oder versprühte es mit Drohnen.
In der Region Kastillien & León ließ das regionale Umweltministerium laut spanischen Zeitungsberichten über 400 Studenten schulen, die dann Lockmittel und Fallen aufstellten. In der Gegend um Villafranca
del Brezo wurden innerhalb von vier Jahren 1.806 Königinnen vernichtet, in Galicien, so Behördenangaben, sollen bereits 2019 etwa 15.000 Hornissennester zerstört worden sein. Im Jahr darauf sollen 7.000 geschulte Freiwillige in der Provinz Asturien in Fallen 125.000 Wespen gefangen haben.
Aus einer einzigen Hornissenkönigin wurde innerhalb von wenigen Jahren ein Riesenproblem. In Frankreich und Spanien erinnert der Kampf gegen die Asiatische Hornisse an das Märchen vom Hasen und Igel. Wo der Mensch mühevoll nach ihr sucht und ihr nachstellt, da ist sie längst. Laut Naturschutzbund Deutschland (Nabu) ist die Einwanderung nach Europa mittlerweile „unumkehrbar“. Es ist eine stille Invasion, schleichend, aber unaufhaltsam, im Glücksfall mit viel Aufwand zu verlangsamen und kleinzuhalten.
Das sieht man in der Sächsischen Landesregierung genauso. Im Umweltund Landwirtschaftsministerium geht man davon aus, dass die gezielte Bekämpfung des Eindringlings nichts bringen wird. Dort rechnet man zwar „kurzfristig mit einem Auftreten auch in Sachsen“. In einem Erlass des Ministeriums heißt es aber auch, die Erfahrungen in anderen Bundesländern und EUStaaten, die von der Asiatischen Hornisse besiedelt seien, „lassen auf eine begrenzte Wirksamkeit der verfügbaren Beseitigungsmaßnahmen schließen. Es steht zu befürchten, dass sich die Art nach Erstnachweisen auch in Sachsen schnell ausbreiten wird.“
Was tun? Kapitulieren? Zuschauen? Was bedeutet das Auftauchen des Eindringlings für Sachsen? Die Europäische Kommission hat das Insekt als gefährlich für die Honigbiene und ganze Ökosysteme eingeschätzt und auf die Liste invasiver Arten gesetzt. Unter Bienenwissenschaftlern wird das Ausmaß der Bedrohung jedoch kontrovers diskutiert. Das niedersächsische Bieneninstitut in Celle entwarnt: „Von Natur aus sehr friedfertig“, heißt es in einem Beitrag über Vespa velutina. „Eine Zerstörung ganzer Bienenvölker findet nicht statt.“Das Urteil der Forscher aus Celle: Die Sorgen der Imker seien „unbegründet“.
Aber: Die Friedfertigkeit bezieht sich auf den Umgang mit Menschen. Weil die kugelförmigen Nester der Asiatischen Hornisse sehr hoch in Bäumen hängen, kommen sich Mensch und Insekt normalerweise nicht nahe. Im Gegensatz dazu schrieb das Fachorgan Deutsches Bienen-Journal vergangenen Herbst, sowohl in Spanien als auch in Portugal berichteten Ärztinnen und Ärzte von zunehmenden Fällen anaphylaktischer Schocks nach Stichen durch Vespa velutina.
Und auch zu den Gefahren für Bienenvölker gibt es andere Einschätzungen: Der in der Fachwelt berühmte Luxemburger Züchter und Imker Jos Guth erlebte Asiatische Hornissen an den Bienenstöcken im eigenen Garten. Verluste an fliegenden Bienen, die in der Luft gefangen werden, seien kein großes Problem.
Belagern Asiatische Hornissen allerdings Bienenstöcke, sehe es anders aus. Dann kommt es zur sogenannten Flugparalyse: Patrouillieren vier bis fünf der gefräßigen Hornissen vor einem Bienenstock, sei die Sache verloren. Die Bienen verlassen ihr Haus nicht mehr, ziehen sich zurück. Als Folge bricht der Nektareintrag ein, ebenso das Brutgeschäft der Bienen. Die Vorbereitung des Bienenvolkes auf den Winter leidet massiv, es geht geschwächt und kleiner in die kalte Jahreszeit. Das Deutsche Bienen-Journal schrieb vergangenes Jahr, nach einer Modellrechnung französischer Wissenschaftler würden bei geringem Hornissendruck landesweit 2,6 Prozent aller Bienenvölker verloren gehen, bei hohem Druck 29,2 Prozent.
In Obst- und Weinbaugebieten in Spanien und Portugal richtet die Asiatische Hornisse dort, wo es viele Nester gibt, Fraßschäden an Früchten und Beeren an, weiß auch das Sächsische Umweltministerium. Eine Untersuchung in Frankreich habe zudem gezeigt, dass in Städten mit hoher Nestdichte Honigbienen zwei Drittel der Nahrung der Vespa velutina ausmachten. Das Dresdner Ministerium schätzt deshalb: Sollte es in Sachsen zu hohen Nestdichten kommen, „können Schädigungen bei Imkerei sowie Obst- und Weinbau nicht ausgeschlossen werden“.
Also was tun? „Wir müssen uns dringend einen Kopf machen“, fordert Schwarmfängerin Marion Loeper zur Eile auf. „Alle gemeinsam: Imker, Winzer, Obstbauern, Behörden.“Ein schnelles Monitoring müsse her, Förster, Jäger, Bauern, Imker müssten geschult werden, müssten die Asiatische Hornisse erkennen und von der einheimischen Hornisse unterscheiden können und dann an eine zentrale Stelle melden, die sich um die Beseitigung kümmert.
„Es braucht eine schnelle Eingreiftruppe“, meint auch der Bienenzüchter Tino Lorz, Chef des Dresdner Imkervereins. „Wir brauchen Schulungen in jedem Landkreis und zwar sofort.“Er und Loeper mahnen, man dürfe keine Zeit verstreichen lassen, in der sich der Eindringling auch in Sachsen unbemerkt und ungehindert zur Plage vermehren kann.
Einen ersten Schritt machten die Imker jetzt selbst und richteten das Internetportal www.velutina-sachsen.de ein, auf dem man Beobachtungen melden und sich über das Insekt informieren kann.
„Die Imkerei in Sachsen ist immer noch ein zartes Pflänzchen“, beschreibt Lorz die Lage. „Sachsen ist ein Land von Hobbyimkern.“Breite sich die Asiatische Hornisse ungebremst aus, prophezeit er, dann breche das langfristig zusammen. Er und Loeper haben keine Zweifel: „Halten wir nicht dagegen, dann macht die hier irgendwann alles platt.“
Sie wird diesen Sommer kommen, sie wird sich in Dresden und im lieblichen Elbtal sehr wohl fühlen.
Marion Loeper,
Imkerin