Sächsische Zeitung (Weißwasser)
Zwischen Lebensglück und lauerndem Unheil
In „Von Vätern und Müttern“, ihrem vierten Film als Regisseurin, seziert Paprika Steen das Treiben von Eltern und Kindern an einer freien Schule.
Eine kleinere dänische Welle schwappt gerade auf die deutschen Leinwände. Das längst so liebgewonnene nordeuropäische Kino, ganz gleich, ob nun aus Schweden, Island, Finnland oder eben Kopenhagen, hat sein hiesiges Präsentationshoch der Neunziger und frühen Zweitausender jedoch nie mehr erreicht. Fast ist man geneigt zu behaupten, es käme nie wieder, und das serielle Fernsehen hätte ihm das Überleben zusätzlich erschwert, denn nach Willander & Konsorten ermitteln jede Woche neu auf Arte und in ZDF und ARD skandinavische Teams. Zudem tritt Regisseur Lars von Trier aus Krankheitsgründen extrem kurz, und auch die Kollegen vom einstigen „Dogma“-Zirkel sind immer sparsamer mit neuen Filmen vertreten, Thomas Vinterberg noch am ehesten, seltener Søren Kragh-Jacobsen, von Kristian Levring hört man gar nichts mehr. Und Susanne Bier? Pausiert ebenfalls mit dem Senden.
Die aktuelle Dänenwelle kommt in drei Schüben. Seit vergangener Woche ist Ole Bornedals „Nightwatch: Demons Are Forever“am Start, der ein direkter Nachfolger seines 1994er Horrorthrillers „Nightwatch – Nachtwache“ist. Damals saß Martin (Nikolaj Coster-Waldau) am Nachttresen der
Gerichtsmedizin und hatte es mit skalpierten Leichen zu tun, heute übernimmt seine Tochter Emma (Fanny Leander Bornedal) den Job. Sie ist Medizinstudentin und will unbedingt hinter die schattigen Geheimnisse ihrer Eltern kommen, erst recht, weil sich ihre Mutter jüngst erhängt hat und Vater seitdem völlig abdriftet. Der Film leistet sich Selbiges. Viel besser macht es Nikolaj Arcel, der sich als Drehbuchautor wiederum der Dienste eines anderen inzwischen Seltenen aus Dänemark versicherte: Anders Thomas Jensen. Mads Mikkelsen spielt im opulenten Historiendrama „King’s Land“die Hauptrolle. Zum Start am 6. Juni an dieser Stelle mehr.
Wellennummer drei gehört mit Paprika Steen einer der renommiertesten dänischen Schauspielerinnen, die eines der prägenden nordischen Frauengesichter war und ist. Die heute 60-Jährige stand in vielen essenziellen Werken ihres Heimatlandes vor der Kamera, von „Das Fest“und „Mifune“bis „Dancer In The Dark“, von „Adams Äpfel“bis „Open Hearts“. Übrigens: In „Nightwatch: Demons Are Forever“ist sie ebenfalls dabei. Als Kommissarin. Seit 2004 führt Steen auch Regie, „Von Vätern und Müttern“ist ihr vierter eigener Film, und er offenbart viele Zutaten, die dem dänischen Kino zumeist so wunderbar die Würze geben: Humor der eher leisen Art, Ernsthaftigkeit den Figuren gegenüber, der punktgenaue Griff in den Setzkasten alltäglicher Dinge. Paprika Steen selbst sagt dazu: „Ich hoffe, dass der Film lustig, bewegend, dynamisch und schmerzhaft ehrlich sein wird und uns am Ende als Menschen und das, was am allerwichtigsten ist, widerspiegelt: Liebe und Vergebung mit einer bittersüßen Wendung.“Was des Drehbuchs Kern ist, verrät sie auch noch: Schule. Und Eltern.
Es hat wieder nicht geklappt für Hannah (Ida Skelbaek-Knudsen), und es war das dritte Mal. Drei Schulen hat die Zwölfjährige als Einzelkind schon durch, Bindung, Freunde und Freude fand sie nirgends. Dabei, verkündet ihre Mutter Piv (Katrine Greis-Rosenthal) beim Vorstellungsgespräch zum nächsten Bildungseinrichtungsversuch, lernt sie doch so gern und begabt sei sie auch, vor allem künstlerisch. Ein Disziplinproblem also, wie vielleicht vermutet, gibt es nicht. Gut so für Adrian (Lars Brygman), den zart arroganten Direktor der freien Adlerhus Skole. Wobei: Die Eltern seien das eigentliche Rückgrat der Schule, betont er mit leicht süffisantem Unterton. Hannahs Vater Ulrik (Jacob Lohmann) hat ihn vernommen.
Als Regisseurin widmet sich Paprika Steen genau diesem Rückgrat, indem sie hinschaut, filtert, situationskomische Momente erfasst, lebensmittelechte Dialoge inszeniert. Vorgeführt wird bei ihr niemand, mit Fett geworfen trotzdem. Böse aber, grimmig gar oder denunzierend ist hier nichts. Vieles verharrt sogar eher im Anriss, im Könnte-Sein einer möglichen Option und dabei ist ganz gleich, ob es sich dabei am Ende um Lebensglück oder lauerndes Unheil handeln würde.
Die Schülerinnen und Schüler der 6B kommen höchstens peripher vor, es geht um Dynamiken unter Vätern und Müttern, die allesamt natürlich nur das Beste für ihre Kinder wollen, auf Tellern und Bänken, in Lern- und freier Zeit und was das Beste ist, steht im unsichtbaren Buch der Hierarchie geschrieben. Bereits beim ersten Elternabend werden es Piv und Ulrik erst nur zu hören, bald auch zu spüren bekommen. „Ulrik ist Arzt, nur, falls jemand hohen
Blutdruck hat“, sagt Adrian ins versammelte Rund. Wieder süffisant.
Aus „Von Vätern und Müttern“erwächst fortan die launige Studie einer wochenendlichen Hüttenfahrt als Höhe- und zugleich Kulminationspunkt des Schuljahres. Kinder und Eltern – so sie sich denn nicht gerade scheiden lassen – sind für wenige Tage und Nächte vereint. Hannah wurde von Ulrik und der nachreisenden Piv zur Integration verdonnert, findet aber nur im sehr stillen Julian, der ohne Vater und Mutter kam, einen Mitfühler. Im Alleinsein sind sie nun zu zweit, während die Erwachsenen das gesamte Spektrum kollegialer Herausforderungen abdecken, sich gegenseitig anspitzen und anstacheln, in die Wolle bekommen und Annäherungsversuche, von Alkohol und manchem Joint genährt, besser bleibenlassen sollten.
Ulrik ist sehr weit vorn beim toxischen Holzhacken, zur Nacht-Rallye, die ängstlich Bemutternden eher den Nachtschweiß auf die Stirn treibt, beim Stürzen des Gurkengelees seiner lieben Frau Piv und auch beim Singen am Feuer, das besonders Psychologin Julie (Amanda Collin) zu beeindrucken weiß. Weshalb Ulrik morgens deren Strickjacke trägt, sollte er Piv besser gut zu erklären versuchen.
Ganz nebenbei und homogen verwebt, gehört feine Musik von den Les Humphries Singers und Sufjan Stevens bis Mazzy Star und „Kalinka“zum unterhaltenden Mehrwert dieses kleinen, sich niemals größer gebärenden Streifens.
Der Film läuft im Programmkino Ost und in der Schauburg (beides Dresden).