Sächsische Zeitung (Weißwasser)
Das Leben in vier Taschen: Mit Rad und kleiner Tochter quer durch Europa
Marie Theres Kuchinke aus Bischofswerda war mit ihrer Tochter ein knappes Jahr 8.000 Kilometer quer durch Westeuropa auf dem Rad unterwegs. Nun plant sie schon das nächste Abenteuer.
Das Tandem für das kommende Abenteuer steht schon bereit hinter der großen Hecke des Gartens im Bischofswerdaer Ortsteil Kynitzsch. Marie Theres Kuchinke und ihre achtjährige Tochter Meggie wollen sich im Sommer auf ihre nächste große Fahrt gehen.
Doch vorerst zehren sie von den Erinnerungen ihrer ersten gemeinsamen Tour als Pedalritter quer durch Europa. Die Reise liegt inzwischen drei Jahre zurück, doch manche der Begegnungen vom Wegesrand sind so taufrisch wie am ersten Tag.
Marie Theres Kuchinke klappt ihren Rechner auf. Auf einer Karte sind die Stationen der Mutter-Tochter-Tour eingetragen. Startpunkt ist am 28. Juli 2021 an der Haustür in Kynitzsch. Doch die ersten Kilometern auf dem Rennrad mit dem angehängten Kinderfahrrad haben eine Vorgeschichte, und die steht in Verbindung mit einer Leidenschaft für Freiheit und einem großen Traum, sich die Welt aus der Nähe anzuschauen.
Den ersten Schritt in diese Richtung macht Marie Theres Kuchinke nach der zehnten Klasse. Mit einem Schüleraustauschprogramm geht sie mit 16 Jahren nach Südafrika. Sie lebt in Kapstadt in ihrer Gastfamilie mit zwei Töchtern und einem neugeborenen Sohn. „Ich war damals ganz schön jung, man macht sich keine Gedanken, denkt nicht an Heimweh, und nach zwei Wochen ist es plötzlich da. Die Zeit hat mich geprägt, ich bin selbstständig geworden“, sagt die heute 26-Jährige.
Zurück in Deutschland beginnt die Weltenbummlerin eine Ausbildung zur Großund Einzelhandelskauffrau. Wenig später wird ihre Tochter geboren. „Ab diesem Zeitpunkt hatte ich den Gedanken: Ich möchte mit ihr eine längere Reise machen“, sagt sie. Das Ziel verfolgt sie stringent: Das Geld von der Arbeit wird gespart, die Wohnung gekündigt und wieder bei den Eltern eingezogen. Statt mit dem Auto geht es mit dem Rad zur Arbeit in Großpostwitz. Irgendwann entschließen sich Mutter Gisela, Tochter Marie Theres und Enkelin Meggie, einmal die Niederlande zu umrunden. 1.200 Kilometer strampeln die drei in ihrem Urlaub. „Bei einer solchen Tour bist du den ganzen Tag mit Fahrradfahren beschäftigt. Zugleich siehst du aber Dinge am Wegesrand, die du sonst nicht sehen würdest und kommst ganz anders mit den Menschen in Kontakt“, sagt die junge Frau.
Haushaltshilfe auf den Kanaren
Zurück in der Oberlausitz steht der Entschluss fest: Wir fahren ein Jahr weg, und zwar Richtung Sommer. Im Fall des Duos war das ein Freiwilligendienst in einem Hundeheim in Portugal.
Meggie hat nur eine Frage, als ihre Mama ihr vom gemeinsamen Abenteuer erzählt. „Was sollen wir mit Püppi machen“, fragt sie. Marie Theres Kuchinke besorgt einen kleinen Kindersitz fürs Fahrrad, allein eine Fahrradtasche wird für das Spielzeug vorgesehen. Ansonsten wird noch in den Seitentaschen das Nötigste verstaut. Was braucht man? Jeweils zwei Radshorts, eine lange Hose, zwei T-Shirts, Daunen- und Regenjacke, ein bisschen Unterwäsche und einen guten Plan, an dem man allerdings nicht zu sehr festhält. Bis zum Elberadweg in Dresden begleitet die Mutter Marie-Theres und Meggie, anschließend radelt auch noch ein Bruder ein paar Kilometer mit. In gut zwei Wochen geht’s durch Deutschland, danach nach Frankreich, Portugal und Spanien.
Nachtlager am Wegesrand
Im Schnitt fahren die Abenteuerinnen jeden Tag 50 Kilometer, geschlafen wird am Wegesrand, manchmal stellen ihnen Unbekannte ein Stück Wiese für die Übernachtung zur Verfügung, von denen sie sich am nächsten Morgen als Freunde verabschieden. „Wir waren 24/7 zusammen. Da lernt man sich gegenseitig gut kennen. Aber ich wollte ja wissen, wer mein Kind ist. Diese Zeit kann uns keiner mehr nehmen“, sagt die junge Mutter.
Zu dieser Zeit gehören auch Rückschläge. Die Idee mit der Hundestation in Portugal zerschlägt sich, weil Meggie zu jung ist. Stattdessen schaut sich die Bischofswerdaerin auf einer Workaway-Plattform nach einer Alternative um. Aufgeben gibt es nicht. Sie stößt auf ein Angebot einer jungen Familie auf den Kanarischen Inseln. Sie suchen eine Haushaltshilfe und Betreuerin für das Neugeborene.
Einen Videochat später sitzen die Deutschen schon auf ihrem Rad-Gespann, um auf die spanische Insel El Hierro zu kommen. Es ist das kleinste Archipel neben den bekannten Inseln Teneriffa, Fuerteventura, Gran Canaria, Lanzarote, La Palma und La Gomera. Das Prinzip von Workaway ist es, gegen Kost und Logis tätig zu sein und so andere Menschen und Länder kennenzulernen. Marie Theres Kuchinke lehnt sich auf dem Gartenstuhl zurück. Bei der 2019er-Tour sind sie elf Monate, 8.000 Fahrrad-, sowie ein paar wenige Zug- und Flixbus-Kilometer unterwegs. Nach der „Überwinterung“auf El Hierro hat das TochterMutter-Duo noch den anderen kanarischen Inseln einen Besuch abgestattet. Damit die Leute nicht nur Sonnentagsfahrer zu ihnen sagen, wechseln sie dann nochmals einen Monat nach Irland. „In dem Monat hatten wir lediglich zwei Tage ohne Regen. Die Erkenntnis? Man wird dem Regen gegenüber gleichgültig“, sagt die Globetrotterin.
Teile des Junis und Julis 2022 gehören der Rückkehr in die Heimat. Meggies Kinderfahrrad ist längst zu klein geworden für den weltgewandten Mini-Sozius. „Es gab an keinen Morgen eine Diskussion, dass sie nicht wieder aufs Rad will“, sagt Marie Theres Kuchinke stolz. Trotzdem freut sich die Kleine bei der Rückkehr auf das Zuhause mit den Haustieren und Spielsachen. Am 12. Juli stehen sie wieder an der Haustür. Meggie spurtet gleich los, um sich ihr schönstes Kleid anzuziehen. Es ist längst zu klein.
Weltenbummlerin berichtet
Diese und viele andere Geschichten wird die Weltbummlerin aus Kynitzsch in der Stadtbibliothek Bischofswerda beim Vortrag von „Bischofswerda in die Welt“erzählen, zum Beispiel wie man sein Leben in vier Taschen packt und woher das MutterTochter-Duo den Mut für das nächste Abenteuer nimmt. Denn eins steht fest: Das Tandem ist bereits abfahrbereit für das nächste Abenteuer.
„Von Bischofswerda in die Welt“, 23. Mai, 19 Uhr, Stadtbibliothek Bischofswerda, Dresdener Straße 1, Eintritt frei, Spenden erbeten