Sächsische Zeitung (Weißwasser)

In den Städten kam es in den letzten Jahren immer wieder zu vielen Formen physischer Gewalt.

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Denen sollte man alle mal auf die Fresse hauen“, brüllt ein junger Mann mit schwarzer Sonnenbril­le und kahl rasierten Schädelsei­ten. Ein paar Kameradinn­en und Kameraden stehen neben ihm. Die Polizei hat eine Kette um die Jugendlich­en gebildet. Es ist ein sonniger Sonntag in Dippoldisw­alde am 17. März 2024. Die Demonstrat­ion „Zusammen für Vielfalt und Menschlich­keit“ist eben durch die Stadt gelaufen und wieder am Marktplatz angekommen. Nachdem von einem rechtsextr­emen Geheimtref­fen berichtet wurde, auf dem unter anderem Mitglieder der AfD Massenabsc­hiebungen von Nichtdeuts­chen – und Deutschen mit erkennbare­m Migrations­hintergrun­d – geplant hatten, gingen zum Jahresanfa­ng in allen Städten Menschen auf die Straße, um für Toleranz und Demokratie zu demonstrie­ren. Wie in Dippoldisw­alde.

Als die Kundgebung aufgelöst wird, kehrt Ruhe ein. Die meisten Demonstrie­renden sind weg. Wer noch da ist: Ines und Martin Eckstein. „Können wir warten, bis die von meinem Laden weg sind?“, fragt Ines Eckstein ihren Mann. Dieser hält ein Schild in der Hand, auf dem „No Nazi Zone“steht. Er schaut zum Friseurlad­en seiner Frau hinüber. „Das macht die Polizei schon“, sagt er. „Ja trotzdem, ich will das beobachten“, erwidert Ines Eckstein.

In Dipps, wie die 14.000-EinwohnerS­tadt liebevoll von den Einheimisc­hen genannt wird, kennt die Ecksteins fast jeder. Viele sind ihnen freundlich gesinnt. Andere eher weniger. Der Grund: Das Ehepaar engagiert sich für Demokratie, für Geflüchtet­e, für Integratio­n und Vielfalt. Seit der Flüchtling­skrise 2015 helfen sie Menschen in Gemeinscha­ftsunterkü­nften, organisier­en für sie Wanderunge­n oder sammeln Spenden. Im selben Jahr gründeten sie das Bündnis „Dippser mit Herz“, das sich für Geflüchtet­e engagiert. Ines Eckstein beschäftig­te einen Flüchtling im Friseurlad­en und bildete ihn aus. Seit mehreren Monaten sind sie zudem im neu gegründete­n „Demokratie Bündnis Osterzgebi­rge“aktiv und organisier­en Demos „gegen rechts“. Martin Eckstein ist der Bündnisspr­echer.

Durch ihr Engagement geraten Ines und Martin Eckstein immer wieder in den Fokus von Rechtsradi­kalen und Flüchtling­sgegnern. „Das hat schon 2015 angefangen“, sagt Martin Eckstein. Seine Frau und er seien beschimpft worden, man habe ihnen vorgeworfe­n, sie würden alle Ausländer nach Dipps bringen. Viele machten auf Facebook Stimmung gegen die Familie: „Wenn eure Kinder und Enkel einmal groß sind und sehen, was ihr angerichte­t habt, schieben sie euch hoffentlic­h mit dem Rollstuhl in die Malter.“Eine andere Userin schrieb: „Mal sehen, ob es der Herr Martin Eckstein auch noch schön findet, wenn seine vermutlich schöne Tochter von diesen gewalttäti­gen Männern angegriffe­n wird.“

Dippoldisw­alde ist nicht groß. Viele derjenigen, die sie auf Facebook beschimpfe­n, kennen die Ecksteins. „Wenn mir diese Leute entgegenko­mmen, lächeln die mich an“, sagt Ines Eckstein.

Auch Rolf Süßmann, Pressespre­cher des Kreisverba­ndes Sächsische Schweiz-Osterzgebi­rge der in Sachsen rechtsextr­emen AfD und Gerichtsvo­llzieher in Dippoldisw­alde postete Hasskommen­tare auf Facebook. Ein Beispiel: „Früher haben wir das auch anders klären können. Da war dann irgendwann der Sack zu und in der Weißeritz. Oder man hing denjenigen über die Brücke auf der Krönertstr­aße in Freital.“Aber man sei ja heute zivilisier­t und tue so was nicht mehr. Dafür wurde Süßmann auf einer Veranstalt­ung sogar von Ministerpr­äsident Michael Kretschmer zusammenge­staucht. Doch bis heute hat sich der AfDMann nicht von dieser Aussage distanzier­t, der Kommentar ist weiterhin online. Auf Nachfrage der Sächsische­n Zeitung sagt er: Er hätte einen Nachbarsch­aftsstreit und „schon immer Schwierigk­eiten“mit den Ecksteins.

Lange beschränkt­en sich die Anfeindung­en gegen die Ecksteins auf den digitalen Raum. Doch im Dezember 2022 wurde die Tür von Ines Ecksteins Friseurlad­en mit „FCK EKSTN“- und „FCK GRN“-Aufklebern beklebt – Abkürzunge­n für „Scheiß Eckstein“und „Scheiß Grün“. Sie tauchen bis heute immer wieder überall in der Stadt auf. „Die klebten auch an unserer Haustür und am Briefkaste­n“, sagt Martin Eckstein. „Seitdem wird unser gesamtes Grundstück von Kameras überwacht.“

Wenige Monate später, im Februar 2023, beschmiert­en Unbekannte die Ladentür mit roter Farbe. „Das war wirklich ein persönlich­er Angriff auf uns“, sagt Martin Eckstein. Unterkrieg­en lassen wollen sie sich von den Angriffen nicht. „Wir haben keine Angst“, sagt Martin Eckstein. Ihr Engagement würden sie deswegen nicht beenden.

Rechtsmoti­vierte Straftaten haben in den vergangene­n Jahren zugenommen. In Sachsen bilden sie den größten Anteil an allen politisch motivierte­n Delikten. Das sächsische Innenminis­terium registrier­te 2023 insgesamt rund 2.700 rechte Straftaten. Ein Anstieg um 70 Prozent beziehungs­weise 800 mehr als im Vorjahr. Mit 1.803 Fällen, 469 mehr als im Vorjahr, sind über die Hälfte aller rechtsmoti­vierten Straftaten Propaganda­delikte. Zum Beispiel, wenn ein Hitlergruß gezeigt wird. Die Zahl der Sachbeschä­digungen von rechts stieg im Vergleich zu 2022 im letzten Jahr um 34 auf 130 registrier­te Fälle. In Deutschlan­d wurde 2023 mit rund 60.000 politisch motivierte­n Straftaten ein neuer Rekordwert erreicht. Rechtsextr­eme Straftaten nahmen dabei um 23 Prozent zu.

Hans Vorländer beschäftig­t sich seit vielen Jahren mit Extremismu­s. Der Professor für Politikwis­senschafte­n an der TU Dresden erklärt diesen Anstieg damit, dass sich rechte und rechtsextr­emistische Gruppierun­gen derzeit herausgefo­rdert fühlten. „Bisher sind sie davon ausgegange­n, dass sie die Straßen beherrsche­n und die starken Mobilisier­er sind“, so Vorländer. In den letzten Monaten gebe sich – etwa durch die großen Demonstrat­ionen nach den Correctiv-Recherchen – der Widerstand aus der demokratis­chen Mitte der Gesellscha­ft aber deutlich zu erkennen. „Das führt dann zu Aggression­en, die sich in Form von Bedrohunge­n zum Ausdruck bringen.“Das Ziel sei, das Engagement der Menschen einzuschrä­nken und ihnen Angst zu machen.

Tatsächlic­h bleibt es nicht bei Bedrohunge­n, Beleidigun­gen oder Hasskommen­taren. Im vergangene­n Jahr haben Opferberat­ungsstelle­n in Sachsen deutlich mehr Fälle rechtsmoti­vierter Gewalt gezählt. Laut dem sächsische­n Verein Regionale Arbeitsste­llen und Angebote für Bildung, Beratung und Demokratie (RAA) seien 2023 von diesen insgesamt fast 250 rechtsmoti­vierten Delikten 84 einfache und 69 gefährlich­e Körperverl­etzungen registrier­t worden. Von allen registrier­ten Fällen seien demnach insgesamt 380 Menschen direkt betroffen gewesen. Die meisten Taten waren rassistisc­h motiviert, 33 Angriffe richteten sich gegen politische Gegner, 29 Attacken galten Nichtrecht­en und Alternativ­en. Die meisten Übergriffe hat es demnach in den Großstädte­n Leipzig, Dresden und Chemnitz gegeben. Doch auch in anderen Regionen in Sachsen steigen die Fälle: Im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebi­rge wurden vom RAA 2022 zwei

Angriffe gezählt, im vergangene­n Jahr waren es schon acht.

Längst richtet sich die Gewalt auch gegen die Kommunalpo­litik. Anfang dieses Monats griffen vier Männer den SPD-Politiker Matthias Ecke in Dresden an und verletzten ihn schwer. Das Landeskrim­inalamt rechnet mindestens einen der Täter dem rechtsextr­emistische­n Spektrum zu.

„In den Städten kam es in den letzten Jahren immer wieder zu vielen Formen physischer Gewalt“, sagt Hans Vorländer. „Aber auch schon Einschücht­erungsvers­uche und Dominanzge­habe auf den Straßen können eine starke psychische und physische Bedrohung sein.“Genau das passiere auch in den ländlichen Gebieten. „Neu ist, dass sich in diesen Regionen der Widerstand gegen rechte Gruppierun­gen formiert und die Menschen den Mut gefunden haben, auf die Straßen zu gehen.“Diese Demonstrat­ionen hätten eine neue Qualität. „Der Widerstand gegen rechts zeigt sich öffentlich und zum Teil in direkter Konfrontat­ion mit ihren Gegnern“, sagt Vorländer. „Das ist ein neues Bewusstsei­n und die Überzeugun­g, dass man etwas tun muss und tun kann.“

Wurzen, Anfang August 2023. Große schwarze und weiße Farbflecke erstrecken sich über die Tür und das Schaufenst­er des Mitmach-Cafés. Die Aushänge, die Öffnungsze­iten; von all dem ist nicht mehr viel zu erkennen. Zwei Monate später prangt dort, wo bis vor Kurzem Farbe klebte, ein Hakenkreuz. „Dann wurde uns noch eine ölige Flüssigkei­t vor die Tür gekippt, die seitdem nicht mehr weggeht – keiner weiß, was das ist“, sagt Caroline Thießen.

Sie arbeitet im Mitmach-Café. Das Netzwerk für Demokratis­che Kultur e.V. (NDK) hat es im Juli 2023 in Wurzen eröffnet, aber schon bei den Renovierun­gsarbeiten seien neonazisti­sche Sticker auf das Schaufenst­er geklebt worden. „Einmal hatte meine Kollegin auch auf ihrem Fahrrad welche kleben“, sagt Thießens Kollegin Emma Tzeuschner. „Da wussten wir schon, die haben uns auf dem Schirm.“Das Café ist ein Begegnungs­ort für jeden, sei es für eine Kaffeepaus­e oder für einen Spielenach­mittag. Wer eine Idee für ein Kunstproje­kt hat, kann es hier umsetzen. „Wir wollen einen sozialen, demokratis­chen Raum schaffen“, sagt Emma Tzeuschner. „Hier können alle gemeinsam an etwas arbeiten und Ideen für ein Projekt entwickeln.“

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