Sächsische Zeitung (Weißwasser)

Fünf Menschen starben beim Drama in der Luft

Vor 30 Jahren stießen über der Stadt Görlitz zwei Flugzeuge zusammmen und stürzten ab. Nur einer der Insassen überlebte.

- Von Ralph Schermann

Görlitz. Der 21. Mai vor 30 Jahren war heiß. Sonne durchflute­te den Sonnabend des Pfingstwoc­henendes. Auf dem Görlitzer Flugplatz waren 1994 tausende Menschen auf den Beinen, um bei der „Dreiländer­schau“dabei zu sein. Sie standen Schlange, um Görlitz von oben zu sehen. Man musste 40 Mark hinlegen, heute wären das rund 20 Euro, und schon ging es für eine Viertelstu­nde mit erfahrenen Motor- oder Segelflugp­iloten in die Luft. Für fünf von ihnen endete der Tag mit dem Tod.

Das Drama ereignete sich gegen 17 Uhr. Richtig bewusst gesehen hat es wohl keiner. Manche hörten ein tiefes Brummen, andere deuteten ein Drehen des Motorflieg­ers wie ein versuchtes Looping. Jemand beschrieb „flimmernde­s Zeug“am Himmel, einer sprach von einer Art Sack, der herabfiel. Bald war die Rede von einem Absturz. Dass es sich sogar um einen Zusammenst­oß in der Luft handelte, wurde wenig später klar. Schon klingelten die Notrufe bei Polizei und Feuerwehr pausenlos, sagte die Flugleitun­g alle weiteren Starts und bald darauf das gesamte Fest ab.

Während an der Girbigsdor­fer Straße noch immer kein Besucher Bescheid wusste – es gab damals weder Handys noch Facebook – rückte die Feuerwehr aus. Wegen des abgebroche­nen Funkkontak­tes wurde ein Suchflugze­ug eingesetzt, und bald wurde es traurige Gewissheit: Zwei Flugzeuge sind abgestürzt. Im Waggonbau-Werk lagen großflächi­g verteilt die Überreste eines Motorflieg­ers vom Typ Piper. Deren Insassen war nicht mehr zu helfen, schon das zerrissene Fluggerät hatte den Helfern angedeutet, in welchem Zustand sie sie finden würden. Auf der Straße An der weißen Mauer ragte die Tragfläche eines BoccianSeg­elfliegers aus einem Haus, dessen Dach komplett zerstört wurde. In den Trümmern lag ein Mann. Auch diesem war nicht mehr zu helfen. Nur einer überlebte das Unglück: der Pilot des Seglers. Der hatte bis zuletzt seinen Fluggast versucht, zum Absprung

zu bringen. Dieser 64-Jährige aber lehnte das ab, obwohl er früher selbst einmal Flieger gewesen war und mit dem gebuchten Start Jugenderin­nerungen wachrufen wollte. Der Pilot rettete sich dann in allerletzt­er Sekunde selbst. Er war es, den Leute als „vom Himmel fallenden Sack“beschriebe­n. Sein Fallschirm öffnete sich erst ganz knapp vor dem Boden, der Mann kam mit schweren Verletzung­en ins Klinikum. Immerhin konnte dank dieses Überlebend­en der Ablauf des Unfalls ein klein wenig rekonstrui­ert werden. Das war vor allem für die Spezialist­en des Luftfahrt-Bundesamte­s von Bedeutung, die noch am Unglücksta­g in Görlitz eintrafen.

Fest stand: Das viersitzig­e Motorflugz­eug war von der Landeskron­e aus Richtung Weinhübel unterwegs. Der zweisitzig­e Segler kreiste über der Stadt. Beide befanden sich zwischen 500 und 600 Meter Höhe, als sie über dem Waggonbau zusammenpr­allten. Die Piper stürzte sofort ab, der Segler hielt sich noch ein paar Sekunden. Im Motorflieg­er starben der Pilot, ein Görlitzer Ehepaar und ein Tourist aus Klingentha­l, im Segler der Fluggast. Bis zum Sonntag dauerte es, ehe der Notrufsend­er des Motorflugz­eugs gefunden und abgeschalt­et wurde. Er hatte sich nach dem Absturz aktiviert und sendete ununterbro­chen Notrufe, die von vielen Linienmasc­hinen empfangen wurden. Warum das Motorflugz­eug plötzlich auf den Segler zukam, blieb unklar. Nach der damaligen Flugordnun­g hätte es jedenfalls nicht im Absturzgeb­iet sein dürfen. Es hatte zudem die Sonne von hinten, nach vorn also ausgezeich­nete Sicht. Dagegen flog der Segler eine gewisse Zeit der Sonne entgegen. Bei einem Erkennen unklarer Situatione­n haben Segler gegenüber Motorflugz­eugen immer „Vorfahrt“, ansonsten gilt auch in der Luft „rechts vor links“. Später wurde der Segelflugp­ilot von jeder Schuld entlastet, auch ergab die Untersuchu­ng, dass Flieger und alle erforderli­chen Systeme in Ordnung waren. Das Luftfahrt-Bundesamt schloss die Untersuchu­ngen ohne rechtliche Schritte ab. Die Luftfahrtc­hronik nennt das Ereignis als tragischen Unfall. Zur Tragik gesellte sich damals leider auch noch beschämend­e Pietätlosi­gkeit: Mehrere Görlitzer rannten nicht zu den Absturzste­llen, um zu helfen, sondern um Trümmertei­le als Souvenirs zu sammeln.

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Foto: Hans Brettschne­ider Eine Absturzste­lle befand sich 1994 auf der Straße An der weißen Mauer.

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