22 Buchrezension Dr. Dr. Zitelmann: Christian Lindner
Christian Lindners Erfolgsbuch
FDP-CHEF Christian Lindner hat ein Buch geschrieben, das für jeden lesenswert ist, der sich für das Thema „Erfolg“interessiert – auch, wenn er sich nicht so sehr für Politik interessiert.
Die Wahlniederlage von 2013, bei der die FDP zwei Drittel ihrer Wähler verlor und aus dem Bundestag flog, markierte noch lange nicht den Tiefpunkt in der Geschichte der Liberalen. Schon 2011 hatte Lindners heutiger Stellvertreter Wolfgang Kubicki erklärt, die Marke FDP habe „generell verschissen“. Damit sprach er aus, was nach 2010 immer mehr Menschen dachten.
„Keine Sau braucht die FDP“
Beim Bundesparteitag 2014 in Dresden waren die Ränge leer und viele Medien verzichteten sogar darauf, Berichterstatter zu schicken. „Die Stimmung in der Partei war – so fühlte auch ich es – schauderhaft.“Im Herbst 2014 führten führende Meinungsforschungsinstitute die FDP nicht einmal mehr als gesonderte Partei bei Umfragen auf. Sie verschwand neben den Violetten, der Bayernpartei und der Partei für Gesundheitsforschung unter den „Sonstigen“, also bei den unbedeutenden und chancenlosen Splitterparteien. Die Schulden der Partei hatten sich auf fast zehn Millionen Euro aufgetürmt. Bei den Landtagswahlen plakatierte die Partei zum Entsetzen Lindners in ganz Brandenburg „Keine Sau braucht die FDP“, was sie damit begründete, dies gebe am besten die Stimmungslage wider. Das Ergebnis von 1,8 Prozent schien ihr Recht zu geben.
Christian Lindner sprach inzwischen bei Grillfesten, an denen 20 Parteimitglieder teilnahmen. „Es war zu spüren: Wer jetzt noch zu den Freien Demokraten kam, der musste Überzeugungstäter sein.“Das Buch endet mit dem Wiedereinzug der FDP in den Bundestag bei der Bundestagswahl vom 24. September 2017 mit 10,7 Prozent. Wie es zu diesem Wiederaufstieg der von den Medien verlachten und totgesagten Partei kam – diese Geschichte erzählt Lindner in seinem Buch „Schattenjahre“.
Setze dir größere Ziele!
Lindners Buch lehrt, wie wichtig es ist, sich große Ziele zu setzen. Er hatte sich all die Jahre ein Ziel einprogrammiert, an das er jeden Tag dachte, aus dem er Inspiration schöpfte: Die Bundestagswahl 2017. „Für mich war dieses Datum das ‚Gipfelkreuz’, das wir erreichen wollten. Mögen Rückschläge auch Kraft kosten, jeder Schritt und jeder Tag würden uns dem großen Ziel näher bringen. Immer wieder, wenn sich die Stimmung einzutrüben drohte und ich mir die Sinnfrage gestellt habe, erinnerte ich mich daran, warum wir all diese Anstrengungen unternehmen.“Das „warum“ist entscheidender als das „wie“. Lindner räumt ein: Ja, auch Zweifel gehören dazu. Alle erfolgreichen Menschen zweifeln zuweilen, aber am Ende ist der Glaube an den Erfolg stärker als der Zweifel. Das habe ich an vielen Beispielen in meinem Buch „Setze dir größere Ziele“gezeigt.
Akzeptiere kein „Nein“!
In diesem Buch erzähle ich auch die Geschichte von Steve Jobs, der das „Nein“der Werbeagentur, die er engagieren wollte, nicht akzeptierte. Bei Lindner war es genauso. Er wollte die Agentur „Heimat“engagieren, die er schon im Jahr 2000 beim Landtagswahlkampf in Nordrhein-westfalen kennengelernt hatte. Aber 2001 war es zum Zerwürfnis zwischen der FDP und der Agentur gekommen und die Agentur wollte zudem grundsätzlich kei- ne politischen Kampagnen mehr machen. Aber Lindner akzeptierte das „Nein“nicht. Als der Agenturchef sein Büro verließ, war aus dem rigorosen Nein ein „Wir denken darüber nach“geworden. Wenige Wochen später besiegelten beide die Zusammenarbeit.
„Das waren wir schon selbst“
„Jedem Besiegten wird es schwer, den Grund seiner Niederlage an der einzig richtigen Stelle, nämlich in sich selbst zu suchen“, schrieb Theodor Fontane. Das könnte auch das Leitmotto von Lindners Buch sein, das in mancher Hinsicht vielen Erfolgsbüchern ähnelt, in denen betont wird, wie entscheidend wichtig mentale Faktoren im Umgang mit Niederlagen sind. Nach einer Niederlage neigen die meisten Menschen – und Politiker sowieso – dazu, die Schuld anderen zu geben. Auch unter dem Führungspersonal der FDP gab es manche, die glaubten, dass die Partei nur historisches Unrecht erlitten hätte, weil die Wähler sie einfach nicht hätten verstehen wollen. Andere gaben Merkel die Schuld, die bekanntlich bislang jeden Koalitionspartner klein gemacht und an die Wand gedrückt hat. Eine Ursache dafür, dass die FDP den Wiederaufstieg schaffte, war, dass Lindner der Versuchung widerstand, die Schuld bei anderen zu suchen. „Das waren wir schon selbst… Die Partei der Selbstverantwortung sollte Schuld nicht bei anderen suchen. Denn wenn andere über das Schicksal tatsächlich bestimmen würden, wäre man machtlos.“Interessant ist, dass ich genau diese Einstellung zu Niederlagen in meiner Dissertation über erfolgreiche Selfmade-unternehmer als wichtige mentale Einstellung identifiziert habe: Verlierertypen suchen die Schuld für Niederlagen bei anderen, Gewinnertypen bei sich selbst. 2013 war in einigen Medien eine Karikatur erschienen, die fünf Fdp-politiker zeigte (einer davon Lindner), die einander
»Immer wieder, wenn sich die Stimmung einzutrüben drohte und ich mir die Sinnfrage gestellt habe, erinnerte ich mich daran, warum wir all diese Anstrengungen unternehmen.«
der Reihe nach einen Dolch in den Rücken stechen. Darunter stand: „Fest vereint in den Bundestagswahlkampf“. Lindner zeigte das Bild bei mehreren Parteiveranstaltungen und kommentierte: „Nicht die anderen haben die FDP besiegt, wir haben uns selbst ruiniert.“
Die Krise als Chance
Eine andere Einstellung, die ich in meiner Dissertation bei erfolgreichen Unternehmern und Investoren gefunden habe, ist die, dass sie auch in größten Niederlagen Chancen sahen. So war dies auch bei Lindner: „Die Wähler“, so seine Einstellung, „hatten uns einen kompletten Erneuerungsprozess verordnet. Das Gute daran war: Wir mussten uns nicht mehr fragen, was bei der Kanzlerin, bei führenden Kommentatoren oder bei bestimmten Interessenvertretern ankam. Wir sollten nur noch etwas vertreten, wenn wir auch mit Überzeugung und gegen allen Widerspruch dahinterstehen könnten. Das war eine Selbstbefreiung.“
In dem Scheitern liegt etwas Positives – diese Botschaft verkündete Lindner vor Start-ups und Unternehmern so oft, dass er schließlich zum „Schutzheiligen der Gescheiterten“wurde. Aber nicht jener Gescheiterten, die die Schuld bei der Gesellschaft, den Märkten usw. suchen, sondern bei sich selbst. Und für die Misserfolg kein Makel ist, „sondern ein selbstverständlicher Teil des Wirtschaftslebens“– und eben auch des politischen Lebens. Über eine Million mal geklickt wurde Lindners „Wutrede“bei der Landtagssitzung in NRW Ende Januar 2015, als er auf einen höhnischen Zwischenruf eines Sozialdemokraten, der daran erinnerte, dass Lindner auch mal eine Firma in den Sand gesetzt hatte, ausrastete und seine Wut herausließ.
Fehler sind gut
„Das Bekenntnis der eigenen Fehler wirkt wie ein Besen. Der Besen fegt den Dreck weg, ein Bekenntnis tut nichts weniger“– dieser Spruch stammt von Mahatma Gandhi. Lindner plädiert in seinem Buch für mehr Fehlertoleranz. „Sie ist in Deutschland unterentwickelt. Dabei ist menschliches Handeln immer fehlerhaft. Gerade die Politik krankt am Unvermögen, Fehler einzugestehen und zu korrigieren.“Lindner spart in dem Buch nicht mit Selbstkritik, so wenn er zustimmend einen Kommentator der „Süddeutschen Zeitung“zitiert, der über seine Rede beim Dreikönigstreffen in Stuttgart schrieb: „… seine Worte plätscherten schlapp dahin. Schon bald stellte sich bei den Zuhörern der Eindruck ein: Genug jetzt mit der FDP, besser schnell ab nach Hause!“Lindner kommentiert den Kommentar: „Recht hatte er… Meine Rede war allerdings wirklich zum Fremdschämen langweilig.“Und über seine Rede beim Bundesparteitag 2014 berichtet er, dass eine Parteifreundin, die in der ersten Reihe saß, einschlief: „Zum Glück ahnte das Publikum nicht, dass es noch eine weitere halbe Stunde vor sich haben würde.“Manchmal, so Lindner, verkündete er in der Krisenzeit nur „Durchhalteparolen“. Selbstkritik sei etwas Wesentliches, gerade für eine liberale Partei, für die Lernbereitschaft essentiell sei und zu ihrem politischen Glaubensbekenntnis gehöre. Lindner räumt auch selbstkritisch ein, es wäre richtig gewesen, Merkels Flüchtlingspolitik „noch früher und noch schärfer“zu kritisieren. Die Bundesregierung habe die Kontrolle über die Lage verloren, orientierungslos agiert und Deutschland von seinen europäischen Partnern isoliert. Vielleicht wäre dann, so meine ich, die FDP und nicht die AFD die drittstärkste Partei im
Bundestag geworden.