Helge Ziegler
Mieterhöhungen erhalten Marktwert
Um mit verkaufswilligen Eigentümern, in nicht wenigen Fällen sogar Erben, ins Gespräch zu kommen, werben Immobilienmakler gerne mit einer „kostenlosen Wertermittlung“. Der Ansatz ist auch nachvollziehbar. Konnte man den oder die Gesprächspartner von seiner Kompetenz und seinem Einfühlungsvermögen überzeugen, ist es bis zur Mandatierung nicht mehr weit.
Danach kommt die Phase, in der alle möglichen Unterlagen für die Bewerbung der Immobilie, die Gestaltung des Exposés und die Zusammenstellung der Unterlagenmappe für die künftigen Interessenten auch als Grundlage für die Marktwertermittlung zusammengestellt werden. Besonders gerne wird dabei erwähnt, dass der oder die jetzigen Mieter schon seit
Jahrzehnten in der Immobilie wohnen. Und so liegt es in der Natur der Sache, dass auch der Mietvertrag mit übergeben wird. Gleich als erstes fällt auf, dass er noch aus dem vergangenen Jahrhundert stammt und von „Oma“oder „Opa“noch sorgfältig handschriftlich ausgefüllt wurde. Fragt der Makler sein Gegenüber nach der neuesten Version oder den Nachträgen zum Mietvertrag, erntet er meist ein ungläubiges Kopfschütteln. Oma und Opa hatten sich so gut mit dem oder den Mietern verstanden, dass sie es ganz „übersehen“hatten, die Miete immer mal wieder zu erhöhen.
Haben sie es tatsächlich „übersehen“oder haben sie sich ganz einfach „nur“nicht getraut, immer mal wieder auf den oder die Mieter zuzugehen und eine Er
höhung anzusprechen? Dabei handelt es sich ja real nicht um eine Erhöhung, sondern tatsächlich um einen Inflationsausgleich. Es ist natürlich verständlich, dass ein Mieter von der durch die Tarifparteien ausgehandelten Lohnerhöhung (tatsächlich handelt es sich auch hier um einen Inflationsausgleich) nicht freiwillig dem Vermieter einen Teil davon abgeben will. Zudem erschwert der Gesetzgeber eine Mieterhöhung derart, dass kaum einer mehr ohne rechtlichen Beistand wagt, diese auch nur anzukündigen, steht doch auch in vielen Fällen gleich der hilfsbereite Mieterverein mit beiden Händen abwehrend vor einem. Und um dem zu entgehen scheut man sich, das Wort „Mieterhöhung“auch nur in den Mund zu nehmen.
Wer mag es älteren Menschen verdenken, wollen sie doch einfach nur ihre Ruhe haben. Und so passiert es dann gar nicht selten, dass Mieten auch schon mal 30 Jahre lang unverändert bleiben. Sollten bei den Erben und jetzt neuen Vermietern der Gedanke aufkeimen, „Na, dann holen wir das jetzt eben nach“, dann werden sie schnell von der begrenzten Erhöhung der Mieten in die Realität zurückgeholt. Erschwerend kommen jetzt noch Mietpreisbremse, Mietendeckelung oder die gerade sich in der Diskussion befindliche Erschwernis der Umwandlung in Eigentumswohnungen hinzu. In so einem Fall ist wahrlich guter Rat teuer. Der Weg zu einem Fachanwalt sollte man aber nicht scheuen, damit man wenigsten schrittweise auf eine „normale“Miete zusteuern kann, auch wenn dies viele Jahre dauern wird. Aber wie war das noch mal? „Steter Tropfen …“
Doch die Differenz zwischen der zu geringen Miete und der marktüblichen ist das eine. Viel schwerer wiegt die Entwertung der Immobilie infolge der nicht vorgenommen Mietanpassung. Diese Aussage soll an einem Beispiel erläutert werden. Nehmen wir einmal an, es handelt sich in unserem Fall um eine 3-Zimmer-wohnung mit 85 Quadratmetern Wohnfläche. Die Miete beträgt seit Jahr und Tag 4 € je Quadratmeter monatlich, woraus sich eine monatliche Miete von 340 € errechnet. Aktuell würde man bei einer Neuvermietung ortsüblich 8 € je Quadratmeter Wohnfläche, also 680 € monatlich erhalten. Sie denken vielleicht, das sei konstruiert. Doch tatsächlich sind solche Situationen kein Einzelfall.
In der Branche hat sich zur Pi-mal-daumen Marktwertermittlungsfaktor, die sogenannte Maklerklausel etabliert. Klar ist diese allein nicht maßgeblich, berücksichtigt sie doch besondere Zu- und Abschläge noch nicht. Aber fürs erste ist sie ganz gut geeignet, um einen Circa-wert zu ermitteln. Je nach Stadt, Lage, Ausstattung und Zustand liegt der Faktor derzeit zwischen dem 20- und dem 35-fachen der Jahresmiete. In unserem Beispiel wollen wir einmal einen Faktor von 25 annehmen. Dies zugrunde gelegt hat die Wohnung bei einer Monatsmiete von 340 €, einer Jahresmiete von 4.080 € und dem Faktor 25 einen Wert von 102.000 €. Wären regelmäßig Mieterhöhungen vorgenommen worden, läge der Wert bei ca. 204.000 € (680 € x 12 x 25). Die Wohnung ist also infolge unterlassener Mieterhöhung nur die Hälfte wert! Man hat sich also um über 100.000 € selbst entreichert!
Wer jetzt glaubt, das Problem dadurch lösen zu können, in dem man Eigenbedarf anmeldet, der lässt die mieterfreundliche Rechtsprechung außer Acht. Eigenbedarf anzumelden ist zwar nicht (mehr) unmöglich, aber immer noch schwer. Denn das Gericht hat die Aufgabe, die Interessen des Mieters, in der Wohnung, in der er seit Jahrzehnten sein Umfeld hat, blei-ben zu können mit den Interessen des Vermieters, in diese Wohnung einziehen zu wollen, abzuwägen. Es wäre schon recht optimistisch von einem Chancen-risikoverhältnis von 50:50 ausgehen zu können. Wie ich bereits erwähnte, geht es in langjährig bestehenden Mietverhältnissen bei Mieterhöhungen nicht ohne einen auf Mietrecht spezialisierten Anwalt. Doch welche Lehre kann aus dem Beispiel für die Zukunft gezogen werden? Eine Neuvermietung sollte NIE ohne eine Vereinbarung über die regelmäßige Mieterhöhung abgeschlossen werden. Der Gesetzgeber gibt einem Vermieter dafür zwei Möglichkeiten an die Hand. Einmal die sogenannten Indexmiete. Sie ist bei Wohnraummietverhältnissen wenig praktikabel, weil die meisten Vermieter nicht wissen, welcher Index vom Statistischen Bundesamt heranzuziehen ist und weil die Berechnung nicht ganz so einfach ist. Viel bequemer ist die ebenso mögliche Staffelmiete. Hier wird im Mietervertrag festgelegt, um welchen Betrag in EUR (nicht in Prozent) sich die Miete jährlich erhöht. Bei der Festlegung des Betrages orientiert man sich am besten an der Inflationsrate (derzeit also zwischen 2 und 4 Prozent), drückt aber dann den berechneten Be-trag in Euro aus.
Mancher Vermieter scheut sich davor, weil im zehnten ausgewiesenen Jahr die Miete um ca. 30 Prozent höher ist als die Anfangsmiete. Wenn man dem Mieter aber vermittelt, dass er in zehn Jahren auch erheblich mehr verdient als heute, dann kann er das leicht nachvollziehen. Aber es gilt: Lieber einmal am Anfang ein etwas unangenehmeres Gespräch führen, als dann jedes Jahr ein unangenehmes oder gar keines um dann jährlich eine Reduzierung seines Vermögens hinnehmen zu müssen. Sie sehen: Eine Immobilie zu erwerben ist das eine. Gleichzeitig sollte aber auch dafür gesorgt werden, dass Sie Ihr Vermögen nicht durch unterlassene Mietanpassungen kontinuierlich mindern.
Der Marktwert beträgt üblicherweise das 20- bis 35-fache der Jahresmiete.