Schwabmünchner Allgemeine

Eine Hochschule im Stadl

Initiative In Unterberge­n entstand vor fünf Jahren die Idee für die Uni der Talente. Günter Wurm und Jonas Biet verraten, wie Bildung nicht zur Plage, sondern zur Bereicheru­ng für jeden Menschen werden kann

- VON EVA WEIZENEGGE­R

Schmiechen Unterberge­n/Mering Am Anfang stand eine Idee, und wie aus einem Samenkorn ein großer Baum werden kann, so wuchs aus dieser Idee ein neues Projekt, das nun auch Ableger weit über die Grenzen des kleinen Dorfes Unterberge­n gemacht hat. Die Rede ist von der Stadluni, die vor fünf Jahren ins Leben gerufen wurde und von anfangs 20 Studierend­en auf nun über 700 angewachse­n ist. Günter Wurm und Jonas Biet waren es, die der Vision einer Universitä­t für alle ein Zuhause schenkten. Grundidee ist: Jeder Mensch hat ein Talent und sei es noch so verborgen. „Dazu braucht man kein Abitur, und deshalb soll Bildung auch für jeden zugänglich sein“, sagt Günter Wurm.

Er selbst erzählt von seiner Schulzeit: „80 Prozent davon waren für mich die reinste Plage.“So sei ihm zum Beispiel Deutsch immer verhasst gewesen. „Ich hab darin nie gute Noten geschriebe­n, dann kam da plötzlich mit Rudolf Danner ein Lehrer an die Merchinger Schule, der wusste uns zu begeistern mit seinen neuen Lehrmethod­en und seiner Empathie, und plötzlich hatte ich eine Zwei in Deutsch.“Dass Lernen Spaß machen kann, Bildung ein Fenster zur Welt ist, das vermittelt die Stadluni. Noch steht sie lediglich einem kleinen Kreis offen, weil sie in einem Stadl, daher auch der Name, im Garten von Günter und Annemarie Wurm in Unterberge­n ihr Zuhause hat. „Zu einer Vorlesung kommen etwa 30 Leute, die sich anmelden müssen“, erklärt Günter Wurm. Alles andere würde sonst den Rahmen sprengen.

Vor jedem Vortrag stellen sich die Studierend­en kurz mit ihrem Namen und ihrem Talent vor. „Das verwundert manchmal diejenigen, die zum ersten Mal da sind“, erklärt Jonas Biet. „Manche sagen ,Ich hab doch gar kein besonderes Talent‘, doch bei näherer Überlegung findet jeder Studierend­e etwas, das er besonders gut kann. Von dieser Vorstellun­gsrunde haben wir schon so manchen Dozenten gewonnen.“Der 30-Jährige lebt mittlerwei­le mit seiner Familie in Augsburg, doch als einer der zwei „Halb-Dekane“der Stadluni kommt er noch regelmäßig nach Schmiechen oder Unterberge­n.

Der andere Halb-Dekan ist Günter Wurm und als Präsident fungiert Ahmed Messoudi, ein Arzt aus Geltendorf, der in München an der LMU tätig ist. Die Stadluni ist weltweit die erste private Talentuniv­er- sität, aber die Idee hat viele begeistert und weitere Kreise gezogen. So gibt es in Augsburg die Kelleruni, in München heißt sie Eat and Learn – in einer Firma wird während der Mittagspau­se gemeinsam gegessen und gelehrt –, und auch in Oldenburg gibt es eine weitere Talentuni. Studierend­er und gleichzeit­ig Dozent zu sein, schließt sich an der Stadluni nicht aus. „Im Gegenteil, genau das macht uns aus“, sagt Wurm. Die Dozenten kommen aus aller Welt und sind von 17 bis Mitte 60 Jahre alt. „Die Türkei, Mongolei, Sri Lanka, China und USA waren schon vertreten“, zählt Jonas Biet nur einige Länder auf.

Und auch die Themen sind vielfältig. „Wie es das Leben ja ebenfalls ist“, fügt Wurm hinzu. So gab es beispielsw­eise ein Benimmtrai­ning mit dem Münchner Original Albrecht von Weech. Professor Peter Zerle aus Schmiechen dozierte über Nachhaltig­keit, Laura Brenner schilderte aus ihrem „Leben mit Handicap“. Die Biobauern Hubert Miller und Stefan Kreppold beleuchtet­en Aspekte der ökologisch­en Landwirtsc­haft und der bereits verstorben­e Kabarettis­t Happo Schmidt, er war der zweite Dozent in der fünfjährig­en Geschichte der Stadluni, schilderte eindrucksv­oll die Situation in Vietnam und Kambodscha. Unter den Dozenten war auch der für einen Oscar nominierte Filmemache­r Emanuel Rund. „Und dann ist da auch der Bademeiste­r Marcel Brandenber­g, der über ,Mann sein in der heutigen Zeit‘ sprach“, schildert Wurm das vielfältig­e Spektrum der Stadluni. Und natürlich haben Kinder in der Stadluni ihren Platz. „Für sie haben wir zum Beispiel einen Selbstvert­eidigungsk­urs mit Herman Beck und die Veranstalt­ung ,Ein Tag im Mittelalte­r‘ in Zusammenar­beit mit der Israelitis­chen Kultusgeme­inde München angeboten“, schildert Wurm.

Aber auch andere Formen der Vorlesung finden an der Stadluni statt. So gab es jüngst einen Elternaben­d. „Dabei ging es nicht um die klassische Veranstalt­ungsform, sondern die Studierend­en stellten ihre Eltern vor und was sie ihnen mit auf den Weg gegeben haben“, erklärt Biet. Auch Diskussion­srunden zu aktuellen Themen, wie zum Beispiel mit den Asylbewerb­ern in Unterberge­n zu den Übergriffe­n in der

Diese Uni geht sogar auf Reisen

Silvestern­acht in Köln, fanden bereits statt. Und die Stadluni geht auch auf Reisen. So gab es Exkursione­n zur Arche Noah, einer Initiative in Österreich, die sich um den Schutz und Erhalt des Saatguts bemüht, oder nach Passau zur Bierausste­llung und ins Altmühltal auf den Spuren der Heimatkult­ur.

Genauso wichtig wie die Bildung und Lehre ist an der Stadluni auch die persönlich­e Begegnung der Studierend­en und Dozenten. Am Ende jeder Veranstalt­ung steht meist auch genügend Raum für Gespräche, gemeinsame­s Essen oder Muszieren. „Genau das ist es ja, was auch wichtig ist und zu diesem besonderen Geist der Stadluni gehört“, sagt Günter Wurm. Gemeinsam mit den anderen Studierend­en gibt es nun seit Kurzem auch einen Verein für die Stadluni. „Eine Besonderhe­it unseres Vereins ist, dass sogar Kinder ab sechs Jahren stimmberec­htigt sind“, hebt Günter Wurm hervor.

An diesem Wochenende treffen sich wieder Studierend­e, diesmal im Rosshof in Mering, zu einer Talentmess­e und tauschen sich aus, nehmen die Chancen wahr zu gegenseiti­gen Begegnung und lassen die Stadluni und ihre Idee noch ein bisschen weiterwach­sen.

 ?? Fotos: Peter Holthaus ?? Die Stadluni Unterberge­n besteht nun seit fünf Jahren und bietet seitdem verschiede­ne Veranstalt­ungen an. Am Wochenende fin det eine große Talentmess­e statt.
Fotos: Peter Holthaus Die Stadluni Unterberge­n besteht nun seit fünf Jahren und bietet seitdem verschiede­ne Veranstalt­ungen an. Am Wochenende fin det eine große Talentmess­e statt.
 ??  ?? Präsident Dr. Ahmed Messoudi und Halbdekan Günter Wurm (rechts). Bildung solle für jeden zugänglich sein, sagt Wurm.
Präsident Dr. Ahmed Messoudi und Halbdekan Günter Wurm (rechts). Bildung solle für jeden zugänglich sein, sagt Wurm.
 ??  ?? Das Münchener Original Albrecht von Weech im Gespräch mit Martina Drexler (links) und Annemarie Wurm (Mitte).
Das Münchener Original Albrecht von Weech im Gespräch mit Martina Drexler (links) und Annemarie Wurm (Mitte).

Newspapers in German

Newspapers from Germany