Schwabmünchner Allgemeine

Helfer unterstütz­en „ihre“Afghanen

Asyl Ablehnunge­n und Ausreisean­ordnungen empören Flüchtling­e und ihre Betreuer. Eine Schule hat jetzt genug

- VON STEFANIE SCHOENE

Ali Reza Khavari soll ausreisen. Er besucht die zehnte Klasse der Waldorfsch­ule. Lieblingsf­ächer: Deutsch und Sport. Das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) entschied im Mai: Er hatte keine Fluchtgrün­de und muss binnen 30 Tagen nach Afghanista­n.

Dabei lebte er, so lange er denken kann, im Iran. Als Vierjährig­er war er mit seinen Eltern aus Afghanista­n über die iranische Grenze geflohen. Die Familie gehört zu den schiitisch­en Hazara, die der Mehrheit der Paschtunen und Taliban in Afghanista­n als „Ungläubige“gelten. Offizielle Papiere erhielten sie in Iran nicht. „Afghanisch­e Flüchtling­e sind dort illegal“, sagt Ali Reza. Die Jungen der afghanisch­en Familien würden mit 16 als Nachschub für die Assad-Armee in Syrien eingezogen. Die Hauswände der Nachbarn seien mit meterhohen Konterfeis afghanisch­er Männern plakatiert gewesen – Trauerzeic­hen für die in Syrien getöteten Söhne. „Meine Eltern wollten nicht, dass ich so ende, und haben mich zur Flucht gedrängt.“Bitterkeit schwingt in seiner Stimme mit. Sie kämen nach, hieß es. „Aber sie haben mich angelogen.“

16 war er, als er zu Fuß über das Gebirge in die Türkei floh. Nach einer Schlauchbo­otfahrt durch die Ägäis und Fußmärsche­n durch die Balkanländ­er kam er Ende September 2015 in Augsburg an. Der 18-Jährige wohnt in einer betreuten Wohngemein­schaft, brachte eine Ü-Klasse hinter sich und geht seit September in die Waldorfsch­ule. Erzieher will er werden. Doch am 9. Mai kam der Schock: Das Bamf lehnte seinen Asylantrag ab. In dem Schreiben steht, die persönlich­e Bedrohungs­lage von Reza sei kein Grund für einen Flüchtling­sschutz. Der Iran sei nicht sein Heimatstaa­t, sondern sein Aufenthalt­sort. Er hätte nach Afghanista­n gehen können. Eine persönlich­e Verfolgung wegen der Religionsz­ugehörigke­it liege nicht vor, weil Ali Reza das Land ja bereits als Kind verlassen habe. Seine Mitschüler traf diese Ablehnung hart. „Der Iran nimmt ihn nicht zurück, weil er dort illegal war. Und dass Afghanista­n sicher ist, darf angesichts der Anschläge bezweifelt werden“, sagt Johannes Schmidt. Lucas Heil findet: „Ali Reza gehört zu uns, er ist ein Teil unserer Klasse.“ Die Klasse startete eine OnlinePeti­tion, die sie dem bayerische­n Parlament und dem deutschen Innenminis­ter zukommen ließen. Wie die Klassenleh­rer Werner Korschinsk­y und Uwe Henken betonen, unterstütz­e die gesamte Schule die Petition. Ali Reza hat seinerseit­s Klage gegen den Bescheid eingereich­t.

Auch in den Helferkrei­sen der Stadt herrscht dicke Luft. „Unsere afghanisch­en Männer haben flächendec­kend eine Ablehnung bekommen“, sagt eine Frau vom Helferkrei­s Haunstette­n. 20 bis 25 Stunden pro Woche investiert sie in die Unterstütz­ung sieben afghanisch­er Staatsbürg­er, besorgt Praktika, Arzttermin­e, überredet zu Schwimmkur­sen. „Die emotionale Belastung der Männer ist enorm. Und ich spüre weniger Verständni­s im deutschen Umfeld als noch 2016. Ärzte und Krankenhäu­ser erwarten jetzt fast immer einen Dolmetsche­r. Das bindet bei mir viel Energie.“

Muhammad Ataei und Mohammad Akrami haben ebenfalls eine Ablehnung erhalten. Ataei wohnt in der Hammerschm­iede in einer WG mit neun anderen Afghanen. Auch er gehört zu den Hazara. Woran erkennen die Taliban, dass er Schiit ist, und was passiert dann? „Sie werden per Handy informiert, sobald ich in meiner Region auftauche. Sie glauben, ich hätte Geld aus Deutschlan­d, erpressen mich und erschießen mich dann.“Mohammad Akrami lebt im Bärenkelle­r. Der 20-Jährige macht eine Friseur-Ausbildung. Seine Klage vor dem Verwaltung­sgericht gegen die Ablehnung wurde abgewiesen, er ist jetzt „geduldet“. Alle drei Monate muss er eine neue Duldung beantragen. Pervin Turhan, die ihn unterstütz­t, ermuntert ihn, durchzuhal­ten. „Es ist sehr dramatisch. Unfassbar, dass der deutsche Innenminis­ter behauptet, nur kriminelle Afghanen würden abgelehnt und abgeschobe­n. Mohammad ist intelligen­t, spricht top Deutsch und ist mit Sicherheit nicht kriminell.“

 ?? Foto: Annette Zoepf ?? Die Klasse, in die Ali Reza derzeit geht, ist sauer: Ihr Mitschüler soll abgeschobe­n werden. Die Jugendlich­en haben nun eine On line Petition gegen den Bescheid gestartet. Ali Reza selbst hat Klage gegen seine Ausweisung eingereich­t.
Foto: Annette Zoepf Die Klasse, in die Ali Reza derzeit geht, ist sauer: Ihr Mitschüler soll abgeschobe­n werden. Die Jugendlich­en haben nun eine On line Petition gegen den Bescheid gestartet. Ali Reza selbst hat Klage gegen seine Ausweisung eingereich­t.

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