Helfer unterstützen „ihre“Afghanen
Asyl Ablehnungen und Ausreiseanordnungen empören Flüchtlinge und ihre Betreuer. Eine Schule hat jetzt genug
Ali Reza Khavari soll ausreisen. Er besucht die zehnte Klasse der Waldorfschule. Lieblingsfächer: Deutsch und Sport. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) entschied im Mai: Er hatte keine Fluchtgründe und muss binnen 30 Tagen nach Afghanistan.
Dabei lebte er, so lange er denken kann, im Iran. Als Vierjähriger war er mit seinen Eltern aus Afghanistan über die iranische Grenze geflohen. Die Familie gehört zu den schiitischen Hazara, die der Mehrheit der Paschtunen und Taliban in Afghanistan als „Ungläubige“gelten. Offizielle Papiere erhielten sie in Iran nicht. „Afghanische Flüchtlinge sind dort illegal“, sagt Ali Reza. Die Jungen der afghanischen Familien würden mit 16 als Nachschub für die Assad-Armee in Syrien eingezogen. Die Hauswände der Nachbarn seien mit meterhohen Konterfeis afghanischer Männern plakatiert gewesen – Trauerzeichen für die in Syrien getöteten Söhne. „Meine Eltern wollten nicht, dass ich so ende, und haben mich zur Flucht gedrängt.“Bitterkeit schwingt in seiner Stimme mit. Sie kämen nach, hieß es. „Aber sie haben mich angelogen.“
16 war er, als er zu Fuß über das Gebirge in die Türkei floh. Nach einer Schlauchbootfahrt durch die Ägäis und Fußmärschen durch die Balkanländer kam er Ende September 2015 in Augsburg an. Der 18-Jährige wohnt in einer betreuten Wohngemeinschaft, brachte eine Ü-Klasse hinter sich und geht seit September in die Waldorfschule. Erzieher will er werden. Doch am 9. Mai kam der Schock: Das Bamf lehnte seinen Asylantrag ab. In dem Schreiben steht, die persönliche Bedrohungslage von Reza sei kein Grund für einen Flüchtlingsschutz. Der Iran sei nicht sein Heimatstaat, sondern sein Aufenthaltsort. Er hätte nach Afghanistan gehen können. Eine persönliche Verfolgung wegen der Religionszugehörigkeit liege nicht vor, weil Ali Reza das Land ja bereits als Kind verlassen habe. Seine Mitschüler traf diese Ablehnung hart. „Der Iran nimmt ihn nicht zurück, weil er dort illegal war. Und dass Afghanistan sicher ist, darf angesichts der Anschläge bezweifelt werden“, sagt Johannes Schmidt. Lucas Heil findet: „Ali Reza gehört zu uns, er ist ein Teil unserer Klasse.“ Die Klasse startete eine OnlinePetition, die sie dem bayerischen Parlament und dem deutschen Innenminister zukommen ließen. Wie die Klassenlehrer Werner Korschinsky und Uwe Henken betonen, unterstütze die gesamte Schule die Petition. Ali Reza hat seinerseits Klage gegen den Bescheid eingereicht.
Auch in den Helferkreisen der Stadt herrscht dicke Luft. „Unsere afghanischen Männer haben flächendeckend eine Ablehnung bekommen“, sagt eine Frau vom Helferkreis Haunstetten. 20 bis 25 Stunden pro Woche investiert sie in die Unterstützung sieben afghanischer Staatsbürger, besorgt Praktika, Arzttermine, überredet zu Schwimmkursen. „Die emotionale Belastung der Männer ist enorm. Und ich spüre weniger Verständnis im deutschen Umfeld als noch 2016. Ärzte und Krankenhäuser erwarten jetzt fast immer einen Dolmetscher. Das bindet bei mir viel Energie.“
Muhammad Ataei und Mohammad Akrami haben ebenfalls eine Ablehnung erhalten. Ataei wohnt in der Hammerschmiede in einer WG mit neun anderen Afghanen. Auch er gehört zu den Hazara. Woran erkennen die Taliban, dass er Schiit ist, und was passiert dann? „Sie werden per Handy informiert, sobald ich in meiner Region auftauche. Sie glauben, ich hätte Geld aus Deutschland, erpressen mich und erschießen mich dann.“Mohammad Akrami lebt im Bärenkeller. Der 20-Jährige macht eine Friseur-Ausbildung. Seine Klage vor dem Verwaltungsgericht gegen die Ablehnung wurde abgewiesen, er ist jetzt „geduldet“. Alle drei Monate muss er eine neue Duldung beantragen. Pervin Turhan, die ihn unterstützt, ermuntert ihn, durchzuhalten. „Es ist sehr dramatisch. Unfassbar, dass der deutsche Innenminister behauptet, nur kriminelle Afghanen würden abgelehnt und abgeschoben. Mohammad ist intelligent, spricht top Deutsch und ist mit Sicherheit nicht kriminell.“