Augsburgs Unterwelt ist bundesweit einzigartig
Welterbe Unter der Innenstadt verlaufen rund 45 Kilometer Kanäle. Wo, ist zum Teil noch gar nicht bekannt, doch das Thema soll nun erforscht werden. Was man heute schon weiß, lässt dagegen staunen
Zwei Jahre ist es her, da brach in der Maximilianstraße plötzlich der Boden ein. Das Loch, das sich darunter auftat, gab nur sehr kurz den Blick in die Augsburger Unterwelt frei. Das Tiefbauamt behob den Schaden so schnell wie möglich: Füllmaterial hinein, Asphalt und Kopfsteinpflaster darüber, danach war alles wieder gut. Vermeintlich. Denn was 2015 in der Augsburger Prachtmeile geschah, könnte theoretisch schon morgen an einer anderen Stelle in der Innenstadt wieder passieren.
„Nach einer groben Schätzung verlaufen unter den Straßen, Plätzen und Gebäuden in der Innenstadt rund 45 Kilometer unterirdischer Kanäle“, sagt Bernhard Häck. Der Experte für Hohlraumforschung beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege hat letzten September einen Teil davon untersucht – und Erstaunliches herausgefunden: Das Augsburger Wasserversorgungssystem ist deutschlandweit einzigartig, weil seine Ursprünge bis ins Mittelalter zurückgehen und weil sich aus fast allen Epochen Baumaterialien und -konstruktionen nachweisen lassen.
Bislang sind diese Kanäle weitgehend unerforscht, zum Teil ist nicht einmal bekannt, wie sie verlaufen. Ein Grund ist, dass unterirdische Kanäle nur dann „auffallen“, wenn man bei Bauarbeiten darauf stößt – oder eben, wenn eine Konstruktion einbricht. Augsburg will sein Augenmerk nun gezielt auf die Wasserführungen richten. Hintergrund ist die Bewerbung um den WelterbeTitel, in dessen Rahmen die rund 200 Kilometer langen Lechkanäle eine Rolle spielen.
Die notwendigen wissenschaftlichen Untersuchungen können jedes Jahr nur in wenigen Wochen gemacht werden – dann, wenn die Kanäle abgelassen werden und kein oder nur wenig Wasser darin fließt. Die ersten Abschnitte besah sich Bernhard Häck vergangenen Herbst: einen Kanal, der unter dem Kloster Maria Stern am Vorderen Lech verläuft, je einen unter dem nördlichen (Hinterer Lech) und Teil (Mittlerer Lech) des St.-Jakobs-Stifts sowie einen unter dem Kloster St. Ursula (Hinterer Lech). Dabei habe sich schnell gezeigt, dass es im Augsburger Untergrund weit mehr an historischer Substanz gibt, als man zunächst vermutete – und zwar vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit.
Häck stieß unter anderem auf römische Säulen, Friese und Reliefs, die einst anderswo verbaut waren und später für den Kanalbau „zweckentfremdet“wurden. Er fand alte Holzbalken, die einst eingebaut wurden, um die Fließgeschwindigkeit des Wassers zu drosseln – ein System, dessen Existenz bis dato nicht bekannt war. Die Wissenschaftler fanden außerdem einen weiteren Beweis für die hohe Qualität des Augsburger Trinkwassers: Im Kanal leben Muscheln, die einen hohen Anspruch an ihren Lebensraum stellen und nur dort über- leben können, wo das Wasser hervorragend ist.
Im städtischen Welterbe-Bewerbungsbüro ist man überzeugt, dass diese neuen Erkenntnisse sich positiv auf die Welterbe-Bewerbung auswirken können: Um den Titel erhalten zu können, müssen die dafür relevanten Bauten und Konstruktionen als Denkmäler eingestuft und geschützt werden. Mit den Untersuchungsergebnissen Häcks, die heute genauer vorgestellt werden, ist ein weiterer Schritt in diese Richtung getan.
Am 1. August wird die Stadt Augsburg ihre Bewerbung bei der deutschen Kultusministerkonferenz abgeben. Das Schriftwerk wird dort geprüft, bevor es im Februar nächsten Jahres an die Unesco geht. Augsburgs historische Wasserwirtschaft hat nach Auskunft von Experten gute Chancen, den Titel zu erhalten – eben deshalb, weil das Zusammensüdlichen spiel von Kanälen, Technik und Bauwerken einzigartig und gut erhalten ist.
Übrigens: Das Loch in der Maximilianstraße führte das Tiefbauamt vor zwei Jahren auf schlecht verfüllte historische Fundamente und Kellergewölbe zurück. Bernhard Häck glaubt jedoch, es könnte sich auch um Kanäle handeln. »Kommentar