Schwabmünchner Allgemeine

Wird es doch noch knapp in Großbritan­nien?

Parlaments­wahlen Die Labour-Partei holt auf. Die Konservati­ven versuchen jetzt, bei den Arbeitern zu punkten

- VON KATRIN PRIBYL

Sunderland Es ist ein grauer Mittwoch. Im Zentrum der englischen Stadt Sunderland sind nur wenige Menschen unterwegs, die Angestellt­en in den etlichen Wettbüros sowie Ein-Pfund-Läden sitzen gelangweil­t hinter den Schaufenst­ern. Das Bild der Stadt mit ihren 70er-Jahre-Bauten und der Leere wirkt auf Außenseite­r beinahe trostlos und spiegelt damit die Stimmung vieler Bewohner wider. Unzufriede­n mit der Politik, unzufriede­n mit der wirtschaft­lichen Situation, unzufriede­n mit den Lebensumst­änden.

Es war Sunderland, das symbolisch für das Brexit-Votum im vergangene­n Jahr stand. Denn obwohl der exportorie­ntierte Autobauer Nissan in seiner Fabrik rund 7000 Arbeiter beschäftig­t und etliche Zulieferbe­triebe um sich schart, stimmten mehr als 60 Prozent der Bewohner für den Ausstieg aus der EU. Etliche Menschen wünschen sich die „gute alte Zeit“zurück, wie Politikwis­senschaftl­er Simon Lee von der Universitä­t Hull sagt. Damals, als Werften und Kohlegrube­n für Jobs sorgten. Oder die Region zumindest mehr Aufmerksam­keit aus London erhielt. Wenn die Politiker von „Abgehängte­n“und „Vergessene­n“ sprechen, meinen sie die Menschen im Nordosten Englands.

Vor nicht allzu langer Zeit noch mussten sozialdemo­kratische Kandidaten hier kaum um ihre Sitze kämpfen. Das Herz von Labour schlug im von der Arbeiterkl­asse geprägten Norden Englands. Das Wahlverhal­ten wurde in der Regel in der Familie weitervere­rbt. Einmal Labour, immer Labour. Die Konservati­ven waren abgetaucht. Doch dieses Jahr verteilen auch sie Handzettel und sogar Regierungs­chefin Theresa May schaute vorbei. Die Tories profitiere­n von den anstehende­n Brexit-Verhandlun­gen und der Unzufriede­nheit der Menschen mit Labour. Die Premiermin­isterin genießt in jenem Landesteil vor allem deshalb Popularitä­t, weil sie das Thema EU mit ihrem harten Brexit- und Anti-Einwanderu­ngskurs erfolgreic­h besetzt. Ihre Strategie, die Labour-Partei in deren Hochburgen zu attackiere­n, scheint zumindest in Teilen aufzugehen.

Politexper­te Simon Hull würde das jedoch nicht überbewert­en. Seiner Meinung nach erinnert Theresa May viele Menschen an ihre Vorgängeri­n Margaret Thatcher, die für den Verfall der alten Industriez­entren in Nordenglan­d verantwort­lich gemacht wird. „Darüber herrscht bis heute eine enorme Verbitteru­ng, diese Wunde ist nicht verheilt“, so Hull. Dass die Konservati­ven trotzdem zulegen könnten, sage mehr über die Labour-Partei und „ihre Selbstzufr­iedenheit“aus. „Sie sahen den Erfolg in Orten wie Sunderland als gegeben an.“

Das könnte sich rächen, indem viele ehemalige Labour-Anhänger der Wahl fernbleibe­n oder sich für kleine Parteien entscheide­n könnten. In etlichen Gegenden gab es Mehrheiten für den Brexit und bei der letzten Wahl fuhr die rechtspopu­listische Partei Ukip mit ihrer Anti-Einwanderu­ngsrhetori­k Erfolge ein. Diese Stimmen will nun May übernehmen, um sich eine überwältig­ende Mehrheit im Parlament zu sichern.

Die Labour-Partei hat keine klare Strategie zum EU-Ausstieg, auch weil sich die meisten Abgeordnet­en – anders als das Gros ihrer Wähler – für den Verbleib in der Staatengem­einschaft ausgesproc­hen haben. Die Brexit-Fans haben das nicht vergessen. Deshalb versucht Labour-Chef Jeremy Corbyn seit Wochen, die Aufmerksam­keit auf innenpolit­ische Themen wie Sicherheit, Bildung und das Gesundheit­swesen zu lenken.

Laut Umfragen mit gewissem Erfolg: Denn der Abstand zu den Konservati­ven ist geschmolze­n. Doch die Wahlkämpfe­r im Nordosten Englands trauen den Meinungsfo­rschern nicht. Ihre Realität? Sie hören an den Wohnungstü­ren im Nordosten Englands vor allem zwei Themen, die die Menschen umtreiben: Brexit und Einwanderu­ng. Es sind Theresa Mays Themen.

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Foto: afp Wie groß ist der Vorsprung? Theresa May bangt um ihre Mehrheit.

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