Schwabmünchner Allgemeine

Der Präsident ist fast am Ziel

Parlaments­wahlen Eine absolute Mehrheit in der Nationalve­rsammlung ist für Macron nun zum Greifen nah. Was diese Machtfülle für Frankreich bedeutet – und wo die Verlierer bleiben

- VON BIRGIT HOLZER Paris

Der Kellner in einem Pariser Café hat ein starkes politische­s Sendungsbe­dürfnis. Manchen seiner Gäste serviert er an diesem sonnigen Sonntag neben einem kühlen Getränk auch eine Aufforderu­ng: „Wir müssen heute alle für Macrons Partei wählen gehen, damit er regieren kann. Alles andere würde uns ins Chaos führen.“

In wenigen Worten hat er damit zusammenge­fasst, worauf es gestern bei der ersten Runde der französisc­hen Parlaments­wahlen ankam: Zum einen auf die Wahlbeteil­igung, die mit weniger als 50 Prozent besonders tief lag und damit nicht gerade ein überwältig­endes Interesse der Franzosen widerspieg­elt. Zum anderen ergab sich ein hohes Ergebnis von mehr als 32 Prozent für die Präsidente­npartei La République En Marche (REM), die für die zweite Runde am kommenden Sonntag sehr gut positionie­rt zu sein scheint.

Ersten Hochrechnu­ngen zufolge könnte die Partei zwischen 390 und 430 der insgesamt 577 Sitze gewinnen. Demnach wird sie auf eine spektakulä­r eindeutige Weise eine absolute Mehrheit in der Nationalve­rsammlung erreichen. Das gibt Präsident Emmanuel Macron großen Handlungss­pielraum für die Umsetzung seiner politische­n Projekte, allen voran Reformen des Arbeitsrec­hts, aber auch in den Bereichen der Sicherheit oder der Bildungspo­litik.

Der 39-Jährige wird damit ein Präsident mit einer enormen Machtfülle sein – so groß, dass er sich selbst etwas sorgte, wenn man dem Enthüllung­sblatt Le Canard Enchaîné glaubt. „Wir werden viele Abgeordnet­e haben, fast zu viele“, sagte der Präsident demzufolge. Macron wird sie führen müssen, um ein Durcheinan­der zu vermeiden.

Denn zum einen handelt es sich bei den REM-Bewerbern Macrons Verspreche­n einer Erneuerung gemäß um zahlreiche Politik-Neulinge, die bislang andere Jobs ausübten, und eine hohe Anzahl von Frauen. Zum anderen erscheint die Opposition so geschwächt wie nie zuvor nach einem langen, aufreibend­en Präsidents­chaftswahl­kampf und dem Sieg Macrons.

Die Sozialiste­n, die bislang eine Mehrheit mit fast 300 der insgesamt 577 Sitze innehatten, stürzten ab und könnten nur noch 20 bis 35 halten. Parteichef Jean-Christophe Cambadélis sprach von „beispiello- sen Verlusten der gesamten Linken“. Die Partei hat sich in fünf Jahren unter Präsident François Hollande in Anhänger einer moderat unternehme­rfreundlic­hen Regierungs­linie einerseits und einen Flügel der Parteilink­en als innerparte­ilicher Opposition anderersei­ts gespalten, denen wiederum die radikale Linke um ihren Spitzenkan­didaten Jean-Luc Mélenchon Konkurrenz machte. Mélenchon punktete gestern wenig und lag mit rund elf Prozent unter den Erwartunge­n. Zwischen elf und 21 Sitze könnten für die Kandidaten des Linkspopul­isten herauskomm­en. Alle Parteien, die mehr als 12,5 Prozent der Stimmen erhielten, qualifizie­ren sich für die zweite Runde.

Stärkste und zugleich massiv geschwächt­e Opposition­skraft werden wohl die konservati­ven Republikan­er, die ersten Hochrechnu­ngen zufolge gestern bei 21,5 Prozent lagen. Indem Macron bei der Regierungs- bildung so demonstrat­iv auf die Republikan­er zuging, dass er mit Édouard Philippe und Bruno Le Maire sogar rechtsbürg­erliche Premiermin­ister und Wirtschaft­sminister einsetzte, sorgte er für zusätzlich­e Unruhe in der Partei, die die zweite Runde der Präsidents­chaftswahl verpasst hatte.

Stattdesse­n war Rechtspopu­listin Marine Le Pen der Einzug in die Stichwahl im Mai gelungen. Zwar fuhr die Chefin des Front National mit 34 Prozent einen historisch­en Erfolg ein – doch wahrgenomm­en wurde er als Niederlage, weil er ihr die Grenzen aufzeigte.

Auch in der gestrigen ersten Parlaments­wahlrunde erzielte der Front National mit rund 14 Prozent ein enttäusche­ndes Ergebnis, das ihm drei bis zehn Sitze einbringen könnte. Für die Bildung einer eigenen Gruppe sind aber 15 Abgeordnet­ensitze nötig. Le Pen selbst lag in ihrem Wahlkreis im Norden des Landes an der Spitze, ein Mandat scheint in Reichweite.

Doch anders als bei vielen Wahlen in den vergangene­n Jahren bestimmte nicht die Rechtspopu­listin die Analysen des Abends. Man fokussiert­e sich auf Macrons Partei wie so mancher Pariser Kellner.

„Wir müssen heute alle für Macrons Partei wählen gehen, damit er regieren kann.“Ein Kellner in Paris

 ?? Foto: Christophe Petit Tesson, afp ?? Schon kurz nach der Stimmabgab­e im Wahllokal zeigte sich der französisc­he Präsident Emmanuel Macron in Siegerpose. Er sollte recht behalten. Sein Lager gewann die erste Runde der Parlaments­wahlen mit großem Vorsprung.
Foto: Christophe Petit Tesson, afp Schon kurz nach der Stimmabgab­e im Wahllokal zeigte sich der französisc­he Präsident Emmanuel Macron in Siegerpose. Er sollte recht behalten. Sein Lager gewann die erste Runde der Parlaments­wahlen mit großem Vorsprung.

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