„Es wird viel aggressiver gefahren“
Rad Vor 40 Jahren fuhr der Augsburger Willi Singer die Tour de France. Ein Gespräch über die Technik, Doping, Eddy Merckx und Jan Ullrich
Am Samstag startet die Tour de France in Düseldorf. 3540 Kilometer spulen die Profis ab. Bei Ihrem Start 1977 waren es sogar 4101 Kilometer. Wie bewältigen das die Profis?
Singer: In den vergangenen Jahren sind die Etappen etwas kürzer geworden. Die Organisatoren wollen das Rennen schneller und interessanter machen. Die Fahrer, die dort an den Start gehen, ist die Crème de la Crème des Radsports, das sind die besten 200 Radfahrer der Welt. Die tun ja nichts anderes übers Jahr.
Sie sind vor 40 Jahren Ihre erste Tour gefahren, was hat sich seitdem verändert?
Singer: Bei den Rädern und der Technik hat sich viel getan. Wir hatten Räder, die neun Kilo gewogen haben, heute ist das Limit bei 6,8 Kilo. Wir hatten keine Klick-Pedale und die Schaltung saß damals am Rahmen im Schrägrohr und nicht im Bremshebel. Heute fahren die Profis die elektronischen Schaltungen. Außerdem sind die heutigen KarbonRahmen sehr leicht und extrem steif. Die Kraftübertragung ist eine ganz andere, alles, was aufs Pedal kommt, kommt auch am Hinterrad an. Außerdem hatten wir nur eine Maschine auch für das Zeitfahren. Heute hat man jeweils ein Rad für Flachetappen, für die Berge und natürlich für das Zeitfahren. Auch die Bereifung ist immer anders, der Materialaufwand ist immens.
Bei Ihrem Start fuhren Sie im Bianchi-Team von Rick Van Linden. Was waren Ihre Aufgaben?
Singer: Van Linden war ein Sprinter und hatte sich damals für einige Tage das Grüne Trikot für den Besten in der Punktewertung ergattert. Meine Aufgabe war es, Rick den ganzen Tag zu unterstützen, damit er nicht im Wind fahren und keinen Tritt zu viel machen muss. Ich musste schauen, dass er zu essen und zu trinken hat, damit er zum Finale fit war.
Haben die Helfer heute andere Aufgaben?
Singer: Heutzutage bereiten die Mannschaften die Sprintankünfte viel professioneller vor. Da bilden sich manchmal schon 20 Kilometer vor dem Ziel Züge, um den Sprinter in die beste Position zu bringen. Die Sprintvorbereitungen heute sind verrückt. Allerdings sind die Fahrer heute viel mehr spezialisiert. Die einen fahren die Klassiker, die anderen die Tour oder den Giro. Wir sind damals von Februar bis Oktober durchgefahren. Eddy Merckx hat vom Februar bis zur LombardeiRundfahrt mehr oder weniger alles gewonnen.
Wie haben Sie den großen Merckx in Erinnerung behalten?
Singer: Er war der Kannibale. Wenn er eine Chance auf den Sieg sah, dann hat er sie genutzt.
Wer ist Ihr Favorit auf den Toursieg?
Singer: Zuerst Chris Froome, aber Nairo Quintana, Alberto Contador, Richie Porte oder Thibaut Binot haben es auch drauf.
Wer über Radsport spricht, muss auch über Doping reden. Waren zu Ihrer aktiven Zeit alle Fahrer sauber?
Singer: Das kann ich so nicht beantworten. Aber auch wir mussten damals zur Dopingprobe, die ersten drei und ein paar Fahrer nach Los.
Wie stehen Sie zu Jan Ullrich, der offensichtlich gedopt, aber nie ein Geständnis abgelegt hat?
Singer: Er hat nie gestanden, aber er ist auch nie positiv getestet worden. In Italien oder Frankreich hat man Fahrer mit Doping erwischt und viele sitzen heute noch auf dem Rad. Bei uns werden die Radprofis zuerst in den Himmel gehoben und bei der kleinsten Kleinigkeit, er braucht nur mal schlecht zu fahren oder ein Dopinggerücht kommt auf, werden sie in die Pfanne gehauen.
Wird jetzt anders gefahren als zu Ihrer aktiven Zeit?
Singer: Es wird viel aggressiver gefahren, denn es geht um viel mehr Geld. Die Fahrer setzen alle Mittel ein.
Interview: Milan Sako
● Willi Singer fuhr 1977 bei der Tour de France für das Bianchi Team von Kapitän Rick Van Linden. Bis heute betreibt der 68 jährige Augsburger in der Altstadt (Bäcker gasse) einen Radladen.