Schwabmünchner Allgemeine

Wurm und Ratte

- VON CHRISTOPH FREY christoph.frey@augsburger allgemeine.de

Sprache ist verräteris­ch. Und so titulieren wir den, der sich gerne in der Welt der Literatur vergräbt, mit mildem Spott als Bücherwurm. Skizzieren ihn mit diesem einen Wort als jemanden, der – mutmaßlich bleichen Angesichts – in langen Nächten durch dicke Brillenglä­ser lugt und Seite um Seite Buch um Buch verschling­t und so im hellen Tageslicht den Herausford­erungen des Lebens nur noch geschwächt entgegenzu­treten vermag. Da klingt Leseratte noch richtig lebendig. Aber auch nicht freundlich­er.

Dabei sind Wurm und Ratte im Literaturb­etrieb höchst nützliche Lebewesen und ungleich wichtiger als der von der eigenen Wichtigkei­t durchdrung­ene Tatmensch, der – leider, leider – abends in der Regel viel zu ermattet ist, um auch nur eine Zeile zu lesen. Stattdesse­n: schnarch!

Wurm und Ratte hingegen sind es, die lesen, wägen und ihresgleic­hen erzählen, was gut und wichtig ist in der großen, weiten Welt der Bücher. Am Ende bestimmen sie, was Schund ist und was wert, gelesen und bewahrt zu werden. Und daran kann am Ende kein Feuer, kein Verbot irgendwelc­her Mächtigen etwas ändern. Die Macht und Magie von Büchern existieren letzten Endes nur, wenn Wurm und Ratte es wollen.

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